Lebendige Erde 2/2001:

Portrait

Landschaft will ernährt werden
Hof Luna schafft Lebensräume

Karin Heinze

  Das Tal, das sich von Südosten nach Nordwesten, parallel zum Leinetal, zwischen Bad Gandersheim und Alfeld erstreckt, erscheint auf den ersten Blick wie eine Bilderbuchlandschaft. Nicht umsonst bilden die "Sieben Berge" die Kulisse für "Schneewittchen und die sieben Zwerge", das vor langer Zeit sich dort ereignet haben soll. Gesäumt von lichten Buchenwäldern auf sanften Hügeln, liegen heute die Wiesen und Ackerflächen links und rechts der Landstraße, die sich von Everode Richtung Alfeld schlängelt. Der malerische Eindruck täuscht. Hier, wie überall, ist die Landwirtschaft geprägt von Flächenvergrößerung, die intensive Mechanisierung nach sich zieht. Die Landschaft wird dafür ausgeräumt: Gebüsch und Hecken, Feld - und Wiesenraine verschwinden. Damit auch die Lebensräume für Blumen, Kräuter, Vögel, Wildtiere.

  Demeterbauer Wilhelm Bertram (41) und seine Lebensgefährtin Andrea Hetzler (34) schaffen, zusammen mit dem Hof-Verein "Landleben" e.V., Mitarbeitern und Freunden, neue Naturräume auf den 120 Hektar, die zu Hof Luna gehören. Der Betrieb, schon seit sieben Generationen im Familienbesitz, liegt im 500 Seelen Dorf Everode. Es ist der einzige Bio-Betrieb im weiteren Umkreis, 30 km fährt man bis zum Bioland-Nachbarn, 50 km bis zum nächsten Demeterhof. Zum Anwesen gehören 16 Hektar Eigenland, der Rest ist zugepachtet. Das Dauergrünland, hauptsächlich auf den schweren Tonböden an den Nordhängen, nimmt bei knapp 30 Milchkühen und rund 40 Stück Rindern (Nachzucht und Mastvieh) die Hälfte der Fläche ein. Die Ackerflächen, vornehmlich an den lehmigen Südhängen, bestellt Wilhelm Bertram mit Winterroggen, Weizen, Dinkel, Einkorn und Kartoffeln. Für das Vieh baut er Kleegras, Luzerne und Hafer-Gerste-Erbsengemenge auf den insgesamt schwer zu bearbeitenden Böden an.

  Hört sich nach ganz normalem Bio-Betrieb an. - Beschäftigt man sich eingehender mit dem Hof, erlebt man Überraschungen.

 

Kulturlandschaft gestalten
  Fast ein Zehntel der gesamten Fläche von 120 Hektar wird von Hecken, Obstbaumalleen und Gewässern eingenommen, die Hof Luna und Landleben e.V. nach und nach an Wegrändern, Feld- und Wiesenrainen angelegt haben. Für Wilhelm Bertram bedeuten diese Landschaft gestaltenden, lebendigen, durchlässigen "Abgrenzungen" zwischen den einzelnen Schlägen seines Landes Harmonie. Die verschiedenen Wachstumsebenen im Wechsel von landwirtschaftlicher Nutzfläche und Pflanzungen, schaffen Raum für die unterschiedlichen Bedürfnisse von Flora und Fauna. Eine naturnahe Kulturlandschaft entsteht. "Die Artenvielfalt bei Insekten und Vögeln hat sich mehr als verdoppelt, seit die Hecken hier ein prägendes Element geworden sind", erzählt Wilhelm Bertram nicht ohne Stolz. Der Lebensraum, der durch die Hecken entsteht, bietet ideale Bedingungen für eine Tierwelt, die für ein Gleichgewicht der Schädlinge bei den Kulturen sorgt.

  "Landschaft ernährt den Menschen mit ihrem Anblick und ihren Früchten, aber der Mensch muss auch zur Ernährung der Landschaft beitragen", so Bertram. Die Natur besitze kein unerschöpfliches Potenzial an Selbstheilungskräften. Die Anwendung von Bio-Methoden im Landbau genüge nicht allein, um einer Landschaft ihre Vitalität und ihr typisches Gepräge zu erhalten bzw. wieder zu geben.

  Rund 30 Sorten einheimische Gehölze, Hagebutte, Hasel, Schlehe, Weißdorn, auch Bäume wie Ahorn, Eiche und Esche sind in den Hecken vertreten: Es soll die ganze Saison über blühen und fruchten. Zwar finanziert das Land zu 80 Prozent das Pflanzmaterial für solche Hecken, doch das Setzen und die Pflege müssen vom Landwirt übernommen werden und das bedeutet nicht wenig. Ohne die Hilfe und finanzielle Unterstützung von außen wäre diese selbstgestellte Aufgabe kaum zu bewältigen. Glücklicherweise unterstützt der Verein um den Hof die Zielsetzung Landschaftspflege ganz und gar. Oft genug waren Vereinsmitglieder in den vergangenen Jahren mit Pickel und Spaten unterwegs, um Hecken zu pflanzen. Schon im ersten Jahr der Umstellung interessierten sich Menschen aus der Umgebung - besonders aus dem Gartenbauverein in Alfeld - für das Projekt Hof Luna. Auf einem Hoffest im Sommer 1987 initiierte Joachim Bauck als Gastredner die Gründung eines Vereins, der ein Jahr später in´s Leben gerufen wurde. Seit 1992 ist "Landleben e.V." als gemeinnützig anerkannt.
 

Die Erde heilen
  Nach dem Studium in Witzenhausen, schaltete Wilhelm Bertram ein Wanderjahr ein und sammelte auf verschiedenen Höfen Erfahrungen. Darauf folgte ein Jahr in Indien, wo er in verschiedenen Projekten mitarbeitete, unter dem Aspekt, in die Entwicklungshilfe zu gehen. Doch es kam anders. Der elterliche Hof rief. Aus gesundheitlichen Gründen mussten Bertrams in der Landwirtschaft kürzer treten und überschrieben den Hof ihrem Sohn. Der begann gleich 1987 mit der Umstellung von 40 Hektar Fläche auf Demeter. Schon während des Studiums war die Ausrichtung zum Bio-Landbau klar gewesen. Der Impuls zur biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise wurzelt im Indienaufenthalt. Vor allem das Erleben der tibetischen Kultur förderte die Erkenntnis, spirituelle Hintergründe fortan in die landwirtschaftliche Arbeit einfließen zu lassen. Der Einführungskurs in Darmstadt, Selbststudium und die Arbeitstreffen in der Bäuerlichen Gesellschaft erweiterten das Wissen dahingehend.

  Anregungen aus anderen Kulturkreisen sind für Wilhelm Bertram wichtig. Besonders Gedanken und Praktiken aus dem indianischen Wissen versucht er zeitgemäß zu übersetzen und heilend für Erde, Pflanzen, Tier und Mensch anzuwenden. "Der Ritualplatz ist der wichtigste Platz des Hofes", erläutert er zu dem langgestreckten, etwa 2500 qm großen Stück Land, oberhalb des Hofes. Vor acht Jahren wurde dieser Kultplatz eingerichtet, um dort Erdheilungszeremonien, Meditationen und Schwitzhüttenrituale abzuhalten. Zum einen habe diese Arbeit schon vielen Menschen wieder den Zugang zur Natur wie zur Landwirtschaft geöffnet, andererseits gehe eine enorme Heilkraft für die Erde davon aus.
 

Vielfalt erhalten heißt Landschaft pflegen
  Die Landschaftspflege gehörte für Wilhelm Bertram von Anfang an zu einem der Hauptanliegen, die er auf dem Betrieb verwirklichen wollte. Der Zusammenhang zwischen Naturerhaltung durch besondere pflegerische Maßnahmen als eine Aufgabe der bäuerlichen Kultur ist für ihn ganz deutlich. Viel Energie und Überzeugungsarbeit ist deshalb schon in dieses Thema geflossen.

  Zwei Projekte, die sich unverhofft ergaben, passen genau zu der gewählten Richtung. So die Bewirtschaftung der Naturschutzfläche "Wernershöhe" seit über 12 Jahren und, jüngst, die Teilnahme am Projekt "Ansätze zur Einbeziehung und Weiterentwicklung von Naturschutzzielen im Ökologischen Landbau". Das Forschungsvorhaben, das vom Bundesamt für Naturschutz unterstützt wird, will anhand verschiedener Betriebsbeispiele aufzeigen, wie die Entwicklung einer vielfältigen Kulturlandschaft in die landwirtschaftliche Arbeit einzubeziehen ist und welche Möglichkeiten der Ökolandbau hier zukünftig hat.

  Der Leiter des vierjährigen Projektes, Landschaftsökologe Dr. Thomas van Elsen, Gesamthochschule Kassel/Witzenhausen, hofft, dass Ergebnisse in die Frage der Honorierung ökologischer Leistungen von Biobetrieben einfließen.

  Die "Wernershöhe" liegt fünfzehn Kilometer von Everode entfernt, auf einer Hochfläche (300 m ü.N.N.) am Rande der Sieben Berge. 25 Hektar Acker - Grenzertragsflächen - die langfristig vom Land Niedersachsen für Naturschutzmaßnahmen gepachtet wurden. Den Studenten der Uni Hannover dient die Fläche zur Erforschung der Entwicklung von Pflanzengesellschaften und des Kleintierbesatzes. Die große Bedeutung für den Naturschutz beruht auf dem engen Nebeneinander verschiedenster Naturräume: extensiv bewirtschaftete Ackerflächen, Laubwälder und Kalkhalbtrockenrasen, die zum Teil noch seltene Pflanzen (Orchideen - und Enzianarten) beherbergen.

  Der Ornithologische Verein Hildesheim, der die Wernershöhe betreut, bot Hof Luna 1989 die Fläche zur Bewirtschaftung an. Die flachgründigen Böden sind nährstoffarm und lassen sich durch das Zu-Tage-Treten der "Kalkscherben" schwer bearbeiten. In der Fruchtfolge stehen Winterroggen, abwechselnd mit Hafer-Gerste-Erbsen-Gemenge und ein Jahr Grünbrache. Zuerst pfluglose Bearbeitung, mittlerweile flaches Pflügen mit spätem Umbruch und Kleeuntersaaten begünstigen die Erhaltung sowie Entwicklung von Ackerwildkräutern. Zahlreiche Arten, die vom Aussterben bedroht waren, konnten auf der Wernershöhe wieder Fuß fassen. Rote-Liste-Arten wie kleinblütiger Frauenspiegel, Feldrittersporn, Ackerlichtnelke oder einjähriger Ziest fühlen sich hier bereits wieder wohl. Im Sommer ist die Hochfläche ein Paradies für Botaniker. "Hier ernten wir Getreide bester Qualität", lobt Wilhelm Bertram den Standort, "wenn auch mit geringem Ertrag." Möglicherweise habe das mit dem positiven Einfluss der Wildkräuter auf die Kulturpflanzen zu tun. Allerdings ist die Wernershöhe ein ausgesprochener Roggenstandort. Versuche mit anderen Getreidearten fielen dem Wildschweinproblem zum Opfer.

  Nur eine Hecke belebt die unendlich anmutende Fläche. Gerne hätte Hof Luna noch mehr Sträucher hier oben gepflanzt, denn der Wind fegt beträchtlich über die von Südosten nach Südwesten abfallende Hochfläche, doch das erlaubt die Verpächterin nicht. Auch unten im Tal bedeutet es häufig langwierige Überzeugungsarbeit und nicht selten Verhandlungsgeschick, um Hecken anlegen zu können. Oder - auch das kommt vor - um sie später zu schneiden. Vielen Menschen fehle heute das richtige Gefühl dafür, was für eine Landschaft zuträglich ist und wann Pflegearbeiten notwendig sind. Dazu gehört manchmal auch ein Radikalschnitt knapp über dem Boden: wenn die Hecke unten zu licht wird, muss sie "auf den Stock gesetzt" werden. "Das trifft oft auf Unverständnis." Andererseits kommen immer wieder Leute auf ihn zu, um ihm Land zu verpachten, weil sie gerne möchten, dass es biologisch bewirtschaftet wird und weil sie die Pflanzarbeit von Hof Luna schätzen.
 

Diese Arbeit bezahlt niemand
  In Alleen sind rund 150 Hochstamm-Obstbäume, hauptsächlich alte Sorten, aufgepflanzt. Der Aspekt der Landschaftsentwicklung, den all diese Maßnahmen beinhalten, sowie deren Naturschutzeffekt, wird heute auch auf Bio-Betrieben nur selten in großem Umfang berücksichtigt. Solche Arbeit wird eben wenig honoriert, geschweige denn bezahlt. Von Amts wegen werden den ehrenamtlichen Landschaftspflegern nicht selten Probleme gemacht. So zum Beispiel bei der Anlage des Feuchtbiotops. Dabei entwickelt sich der längliche Teich, den der Verein Landleben 1998 am Rande einer Ackerfläche schieben ließ, prächtig. Unter der spiegelnden Wasserfläche zeigt sich dem Betrachter eine vielfältige Flora. "Das ist alles ohne unser Zutun gekommen", berichtet Wilhelm Bertram fasziniert, "die Rohrkolben, all die Wasserpflanzen; das ist doch erstaunlich." Auf dem leicht ansteigenden Streifen sollen noch zwei weitere Teiche entstehen. "Das Feuchtbiotop bringt noch einmal eine ganz andere Qualität in die Landschaft, zieht andere Tier- und Pflanzenarten an", so Bertram.
 
Gemeinschaft schafft viel - Dorf und Landschaft bereichern
  Neben den Pflanzaktionen hat der Verein Landleben sich finanziell dafür eingesetzt, dass der Hof Zukunft hat. Zwei baulich direkt an Hof Luna anschließende Gebäude wurden gekauft. Der langgestreckte Fachwerkkomplex wurde bereits von Vereinsmitgliedern und Mitarbeitern des Hofes renoviert. Das Haus wird heute als Wohnhaus genutzt. Im zweigeschossigen Backsteinbau, der früher eine Zigarrenfabrik beherbergte, ist unten ein Hofladen eingerichtet. Projekt für die nähere Zukunft ist die sukzessive Sanierung der weiteren Gebäudeteile. Für dieses Jahr ist der Ausbau eines "Öffentlichkeitsraumes" für Seminare und Ausstellungen, mit Backstube und Kaffeeausschank vorgesehen. Ein Raum für die Milchverarbeitung soll ebenfalls entstehen. Andrea Hetzler, Grafikdesignerin von Beruf, bietet vom Hof aus ihre Dienste für umweltorientierte Firmen und Initiativen an. Sie baut damit ein weiteres Standbein für Hof Luna auf. Gesucht werden noch Menschen, die verantwortlich mit in den Betrieb einsteigen bzw. einen Verarbeitungszweig übernehmen oder Neues gestalten wollen.

  Die Menschen auf Hof Luna, der Verein und andere Freunde haben der Landschaft um Everode herum schon viel hinzugefügt. Es handelt sich um Lebendiges: mit den Heckensträuchern und Obstbäumen kamen Tiere und Begleitpflanzen. Die Gegend wurde reicher. Reicher an Vielgestaltigkeit, an neuen Arten - kurz die vielzitierte Biodiversität nahm zu. Und zwar durch das Tun einiger engagierter Menschen, die es für sinnvoll erachten, diese unspektakuläre Arbeit zu leisten und noch nicht einmal etwas dafür erwarten, sondern sich an ihrer Aktivität und an dem, was die Natur daraus macht, erfreuen.

Hof Luna, Andrea Hetzler, Wilhelm Bertram, Im Siek 10, 31085 Everode
 

"Kleine" Katastrophen wecken nur wenige Leute auf

Überall im Leinebergland war Anfang August vergangenen Jahres die Feuerwehr im Einsatz. Heftige Regenfälle trugen große Teile des Mutterbodens auf den großflächigen frisch eingesäten Rapsfeldern an den Hängen ab. Die Schlammlawinen überwanden Gräben, verwüsteten Gärten und füllten Keller. "Die Bevölkerung wie die Betroffenen nehmen das als Naturereignis hin", erzählt Wilhelm Bertram, "und es wird weiter gemacht wie vorher." Feldraine und Büsche sind schon seit zwanzig Jahren gerodet, um die "effektive" Nutzung der Flächen mit großen Maschinen zu ermöglichen. Es würde es schon reichen, die großen Schläge zu unterteilen und mit unterschiedlichen Kulturen zu bestellen, um die Erosion zu vermindern. doch: "Wo Hecken sind, wächst kein Getreide", so das schlagende Argument der Landwirte.
 

Die "Harzer" passen in die Landschaft

Sie verwerten das Futterangebot der Weiden gut, machen regen Gebrauch vom Mineral- und Gerbstoffangebot der Hecken und sind zudem in der hügeligen Landschaft problemlos zu Fuß. Die Rede ist von der Herde Harzer Rotvieh auf Hof Luna. Die zierliche, aber sehr vitale Rasse steht mittlerweile auf der Roten Liste der bedrohten Haustierrassen. Auf Hof Luna leben 28 der insgesamt 73 Tiere der alten Zuchtlinie, die es noch gibt. Bertram schätzt die Robustheit wie die fett- und eiweißreiche Milch des Harzer Rotviehs, das ursprünglich als Dreinutzungsrind Milch Fleisch und Arbeitstier von Bergleuten im Harz gezüchtet wurde.