Die nächste Dimension

Über Leicht- und Schwergewichte in der Biobranche

 

Hitlisten sind in: Rankings von Popsongs, Fußballclubs, Universitäten oder schlicht von Freundinnen weiblicher Teenager. Wer ist die oder der beste? Oder größte? Auch Unternehmen lassen sich nach bestimmten Kriterien in eine Reihenfolge bringen, wie z. B. im täglichen Wort zur Börse vor der Tagesschau. Nur für die Boombranche Biolebensmittel fehlten verlässliche Zahlen, kein Wunder, ist dieser Wirtschaftzweig ja noch relativ jung. Das Branchenblatt BioHandel hat sich nun in seiner Märzausgabe erstmals daran gewagt. So erfahren wir, dass die Molkerei Söbbeke und Rapunzel mit Abstand die größten Biolebensmittelhersteller sind, gefolgt von Davert, Voelkel, Allos, Lebensbaum und NaturataSpielberger. Wir errechnen aber auch, dass der Jahresumsatz des Branchenprimus Söbbeke mit knapp 46 Mio. Euro im Verhältnis zu den fast 1,2 Milliarden Inlandsumsatz von Müllermilch, der drittgrößten deutschen Molkerei, immer noch Kreisliga ist. Selbst am Beispiel des erfolgreichen Bio-Großhändlers Dennree rücken sich die Dimensionen zurecht: um die 300 Mio. Euro Umsatz, Rang 28. Der größte Lebensmittelhändler Deutschlands, Edeka, macht hundert mal mehr. Auch Alnatura setzt gerade mal knapp 100 Mio. um. Ungefähr das ist auch die Größenordnung der Marke Demeter. Die umsatzstärkste Bio-Marke ist übrigens Bioland. Noch. Denn die größte Gruppe der Biobauern ist die ohne Verband.

 

Man sollte vielleicht dazu sagen, dass der Biomarkt in Deutschland, auch wenn er der drittgrößte weltweit nach den USA und Japan ist, hierzulande nur 3% des Gesamtumsatzes an Lebensmitteln ausmacht. Aber beim Wachstum ist die kleine Biobranche unübertroffen, meldet drei Jahre schon zweistellige Umsatzzuwächse in Folge. Deshalb möchten sich auch die Großen mit Bio profilieren. Oder Kapital geben, wie die Lidl- Eigner der mehr als hundert mal kleineren Biosupermarktkette von Basic. Die Profilierung mit Bio gelingt den Discountern zur Zeit am besten: von null Bio zu der Einkaufsstätte mit dem größten Bioumsatz: Fast zwei Fünftel aller Bioprodukte werden hier gekauft, nur ein Viertel im Naturkostfachhandel, je ca. 11% im Supermarkt oder beim Biobauern.

 

Aber auch die Bioszene schläft nicht, bietet Service und mehr Kompetenz, vergrößert die Einkaufsfläche. War vor gut 20 Jahren, in der Zeit der Food-Koops und Hinterhofmüsli-Dealer ein wohnzimmergroßer Biosupermarkt ein prinzipieller Aufreger, so lockt heute z.B. der größte, LPG im Berliner Stattteil Prenzlauer Berg, mit 1600 Quadratmetern auf zwei Etagen inklusive Rolltreppe und Tiefgarage zum Bio-Einkauf.

 

Nicht nur die Größe als solche ist ein Erfolg, sie macht auch Manches erst möglich: Aldi könnte kein Bio verkaufen, wenn das Unternehmen noch wie einst Dennree mit ein paar LKWs über´s Land fahren müsste, um die Ware zu sammeln. Mehr Bio-Bauern, mehr Angebot, weniger Erfassungskosten. 100% Bioproduktion war z.B. für Söbbeke daher erst seit 2003 möglich. Das braucht Geduld für die Marktentwicklung. Und die haben die ganz Großen selten, wie Danone, die auch mal einsteigen wollten. Lidl kauft seine Biomilch in Dänemark. Das Tempo des Wachstums birgt auch Gefahren, wie der Durchmarsch der Discounter zeigt: mehr als jede zweite Biomöhre wird bei Aldi verkauft – wo das hinführt zeigt der aktuelle Milchpreisstreit: Aldi hat Ende April kurzerhand und ohne Absprache den Preis für seine Lieferanten um zehn Cent gesenkt.

 

Das Wachstum verändert die Gewichte am Markt. Und die „alte“ Ökobranche muss sich neu aufstellen. Zusammenschlüsse auf vielen Ebenen sind dringend nötig, nicht nur gegen Konkurrenten, sondern vor allem wegen neuer Dimensionen.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, Mai 2008