Zukunft säen

Eigene Sorten – eine biodynamische Innovation

 

Erwachsene und Kinder, jung und alt, stehen ein einer Reihe am Feldrand. Sie schauen zum Bauern, der durch ein Megaphon Anweisungen gibt: In der Hand halten sie ein rotes Käppi, gefüllt mit Weizenkörnern. Die sollen sie gleich säen. Langsamen Schrittes und möglichst gleichmäßig auf der vorbereiteten Erde verteilen. Nach einer Viertelstunde ist alles getan: „Zukunft säen“ – so geschehen mehr als dreißigmal in diesem Herbst auf Demeter-Höfen.

Die Idee des biodynamischen Züchters Peter Kunz und des Demeter-Landwirts Ueli Hurter wächst aus der Schweiz nach Deutschland und setzt ein Zeichen für Ökolandbau und gegen Gentechnik (www.avenirsem.ch). Nebenbei zeigt sie ländliche Kulturtechniken, bringt Menschen auf die Höfe und macht bekannt, dass es biologisch-dynamische gezüchtete Sorten eigens für den Ökolandbau gibt: Die taugen besonders gut für Öko-Äcker und sind der Anfang einer Alternative zur Gentechnik.

Doch machen wir uns nichts vor, solches Saatgut würde lange noch nicht für alle Öko-Betriebe reichen, wenn die es wollten. Die meisten bauen ohnehin Getreide an, das für konventionellen Anbau optimiert wurde. Fast zwei Dutzend Getreidesorten haben sechs biologisch-dynamische Züchter und Züchterinnen entwickelt. Um aber unterschiedlichsten Verhältnissen gerecht zu werden, ist das noch zuwenig Auswahl. Auch sind sie nur zum Teil für den Handel zugelassen: Denn als Voraussetzung dafür müssen sie in Deutschland andere Sorten unter konventionellen Bedingungen ausstechen.

Die biodynamischen Gemüsezüchter sind da schon weiter und haben es weniger schwer mit den Behörden. Zwar wird es auch hier noch dauern, bis Alternativen zur Züchtung im Labor auch im Öko-Gemüsebau weit verbreitet sind. Aber es gibt mehr Züchter, einen rührigen Verein namens Kultursaat und an Saatgut herrscht dank eines eigens dafür geschaffenen Unternehmens, der Bingenheimer Saatgut AG, kein Mangel: 35 Sorten haben die Züchter von deutschen , österreichischen und Schweizer Demeter- Höfen schon angemeldet, jedes Jahr kommen welche dazu. Besonderer Clou: Ausgelesen wird auch auf Geschmack. So gibt es z. B. vier Möhrensorten mit unterschiedlichem Aroma und Verwendungszweck, frisch, gekocht - oder für Saft. Sortenreine Demeter –Säfte aus Möhre oder Sauerkraut kennt mancher vielleicht aus dem Bioladen – eine echte Innovation im Naturkostmarkt ebenso wie die neue Rote Beete Robuschka oder der Salat Laibacher Eis. Angefangen hat es bei den biologisch-dynamischen Gärtnern damit, dass sie eigenes Saatgut wollten. Das entspricht dem Gedanken von Landwirtschaft als Organismus eher als der Zukauf von Pflanzen mit agrarchemischem Vorleben. Dazu begannen sie, alte Sorten zu erhalten. Denn viele der modernen, die Hybriden, kann man nämlich nicht vermehren, sie sind nicht samenfest: Sät man sie aus, kommt etwas anderes heraus. Zur eigenständigen Neu-Züchtung war es dann nicht mehr weit.

Gemeinsam haben Getreide- und Gemüsezüchter einen Kodex für biologisch-dynamische Züchtung erarbeitet, der auch in die Demeter Richtlinien Eingang finden soll. Denn Züchtung gehört bei Demeter seit den Anfängen dazu – auch wenn sich erst jetzt die Erfolge einstellen. Neue Pflanzensorten zu entwickeln ist langwierig und braucht bei Getreide z. B. mehr als ein Jahrzehnt Geduld. Somit ist Züchtung teuer, ca. eine halbe Million Euro pro Getreidesorte. Nichts für kurzfristiges Investment, zumal es zuwenig Ökobauern gibt, um durch die übliche Züchterlizenz den Aufwand zu refinanzieren. Aber eine Investition in die Zukunft. Saatgut ist Kulturgut – was früher jeder Bauer gemacht hat, sollte heute von der Gesellschaft getragen werden. Zukunft säen - da kann jeder mit machen: handfest wieder im nächsten Frühjahr, oder unterstützend z. B. den Saatgutfonds der Zukunftsstiftung Landwirtschaft mit auffüllen. Lohn ist vielleicht eine neue Gurkensorte in der Abokiste oder ein besonders leckeres Brot. In ein paar Jahren.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, November 2008