Wann Landwirte meditieren

Zeit zum In-Sich-Gehen zwischen Technik, Tieren und Terminen

 

Der falsche Bart ist abgenommen, der Umhang in den Schrank gehängt, der Stern wieder auf dem Speicher: Viele Demeter-Landwirte lassen es sich nicht nehmen, das Christgeburtsspiel in ihrem Stall aufzuführen und selbst mitzumachen. Selbst der Demeter-Aufsichtsratsvorsitzende und Landwirt Christoph Simpfendörfer, der eigentlich mehr als ausgelastet ist. Doch im Dezember lässt das Treiben auf den Feldern und in den Gemüselagern langsam nach. Es ruft unmittelbar nur das Vieh. Und auch im Januar ruht die Natur, während sie tief im Gestein sich bereit macht für die nächste Vegetationsperiode. Zeit, Innenraum zu bilden, nach Monaten des Aufgesogen-Seins durch Sonne und Wetter, Natur und Geschäftigkeit. Das Getane sacken lassen, das innere Bild der eigenen Landwirtschaft abrunden, sich mit anderen treffen, um Aspekte und Quellen zu vertiefen, ob zur Bedeutung der Kuh fürs Biodynamische, zum „gerechten Wirtschaften“ oder zum Christlichen in der Landwirtschaft. Manche bringen an Dreikönig mit Freunden ein Präparat rund um den Hof aus.

 

Im Winter ist Zeit, den Betrieb mal durchzumeditieren – notfalls im Kurzurlaub auf Teneriffa. Steiner spricht zwar irgendwo in seinen acht Vorträgen kurz vom Bauern als Meditanten, als jemand, der „hellriechend“ werden sollte. Doch ist das Intuitive einem heutigen Bauern nicht automatisch gegeben und es gibt wenig Austausch und Anleitung dazu, am ehesten bei der Landwirtetagung im Februar am Goetheanum oder in„Lebendige Erde“. Der Landwirt ist heute mehr Manager als Rinderflüsterer oder Möhrenversteher. Trecker fahren die Lehrlinge, Gemüse hacken die Saisonkräfte, das Vieh versorgt die Frau, er selbst klemmt hinterm Steuer des Vans, um Gemüse auszuliefern, hängt genervt am PC, um Kontrollformulare auszufüllen, oder schraubt an der Holzhackschnitzelanlage, weil es die wieder nicht tut. Wenn er nicht in Preisverhandlungen sitzt. Auch Kühemelken ist im Melkstand nicht meditativ, am ehesten vielleicht noch das stundenlange über den Acker ruckeln mit dem Schlepper. Mehr Technik entfremdet. So gibt es neben Tipps zunehmend Angebote, die nicht auf Fertigkeiten, sondern auf Fähigkeiten setzen: wie man Rinderherden ohne Streß führt, oder wie Winzer Bildekräfte der Rebe wahrnehmen können. Und da gibt es ja noch das Rühren der biodynamischen Präparate. Eine Stunde, linksrum, rechtsrum, den Trichter vertiefen, dann die Richtung umkehren, das Wasser schäumend brechen – wenn man es per Hand macht, hat man plötzlich auch Zeit für sich selbst, kann Aufmerksamkeit für Höheres als die alltäglichen Ziele entstehen.

 

Gesammelt sein muss ein Landwirt bei seinem Tagespensum aber auf jeden Fall. Dazu muss er sich Orte und Zeiten aktiv und im eigenen Rhythmus einrichten, in denen er dem inneren Überblick Raum gibt. Denn letztlich ist die Mischung aus täglicher Erfahrung, Reflektion und konzentriertem Sich-Einspüren die Grundlage für intuitives Handeln in der Praxis. Der biodynamische Wissenschaftler Ton Baars von der Uni Kassel-Witzenhausen zitiert dazu den Soziologen David Sennett, der handwerkliche Fähigkeit als bewusst erübte „Körperweisheit“ beschreibt. Baars nennt das in seinem Forschungsansatz zur „Erfahrungswissenschaft“ den „Master of Action“ im Gegensatz zum „Master of Science“. In gewissem Sinne kommt hier Goethes „anschauende Urteilskraft“ zur Wirkung, was heißt, dass man im Innern die wahrgenommenen Phänomene zu einem Ganzen verbindet. So entdeckte Goethe z. B. die Metamorphose der Pflanze. Die inneren Bilder verdichten – ein erster Ansatz zum Meditieren, der auch zeigt: Meditation ist für Bauern kein Selbstzweck, um selbst in höhere Weihen aufzusteigen, sondern wird erst relevant, wenn wir sie als Hilfe, der Welt zu helfen, begreifen.