Vorfahrt für Gentechnik?

Liberale bedienen auch die Gentechklientel

 

Es könnte demnächst Schlag auf Schlag gehen. Noch leben wir im weitgehend gentechnikfreien Wunderland, doch könnten die störrischen Europäer bald überrumpelt sein. Der EU-Gesundheits-Kommissar John Dalli hat die Genkartoffel Amflora für den allgemeinen Anbau zugelassen. Weitere „Innovationen“ der heimischen und der US-Agrarchemie stehen schon Schlange für eine Zulassungswelle. Mit dem Wahlsieg der FDP sehen die Gentechnikindustrie und ihre Befürworter nach jahrzehntelangem Ausharren endlich die Chance für den finalen Coup: die gentechnikkritische Bastion Europa zu schleifen.

 

So ließ sich im Vorfeld der EU-Entscheidung der Ausschuss zur Bewertung wissenschaftlicher und technologischer Optionen, dessen Vize die FDP-EU-Abgeordnete Koch-Mehrin ist, ausschließlich von der Gentech-Industrie informieren. Und im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist das Produkt Amflora - eine Züchtung der BASF - namentlich als zu fördern erwähnt. Ein Vorgang, als ob man Porsche-Cayenne oder Coca-Cola zum Regierungsziel erklärte.

 

Eine Reihe von Regeln sollen revidiert werden, von den Grenzwerten für Lebensmittel und Saatgut bis hin zur Haftung, die bisher verhindert, dass die Begeisterung für AgroGentechnik überhand nimmt. Denn seit Künast gilt hierzulande das Verursacherprinzip. Keine Versicherung nimmt das dem Anbauer ab – Gentechnik auf dem Acker gilt als nicht versicherbar!

 

Die Befürworter sind gut aufgestellt: der heimische Filz reicht von Universitäten, regionalen Gentechunternehmen bis in den einseitig besetzten Biotechnologierat der Bundesforschungsministerin. Die Agrarfakultäten wandeln sich mehr und mehr zu Labor- statt praktischer Landwirtschaftsforschung. Die prüfende EU-Behörde EFSA hat für Kritiker keinen Platz. Sowohl die Chefs der EU-Staaten als auch die US-Regierung haben sich vorgenommen, der Gentechnik auf dem Acker endlich zum Durchbruch verhelfen. Monsanto hat einen aus seiner ehemaligen Führungsriege als US-Landwirtschaftminister platziert.

 

Dabei kommt die konzertierte Aktion zur Unzeit: Im aktuellen „Jahr der Biodiversität“ wird mit der Amtshilfe für AgroGentechnik ein weiterer Schub zur Gleichförmigkeit auf den Äckern losgetreten. Und: die Befürworter müssen sich beeilen. Denn mehr und mehr kommen die negativen Nebenwirkungen des weltweiten Versuches mit Gentechnik, aktuell auf der viereinhalbfachen Fläche Deutschlands, ans Licht. Nicht nur, dass mehr Menschen denn je hungern, u.a. weil Jahrzehnte und Finanzen mit dem Warten auf diese Agrarhochtechnologie vertan wurden. Gentechnik auf dem Acker braucht auch mehr Pestizide statt wie behauptet weniger, so eine US-Langzeitstudie. Und die Gifte schädigen die Ökosysteme gravierend, töten z.B. in Südamerika Amphibien, so dass mehr Mücken munter das Dengue-Fieber verbreiten. Der Betrug um indische Ökobaumwolle wiederum zeigt, dass Gentechnik nicht einzudämmen ist: Koexistenz funktioniert nicht. Ohnehin frisst das deutsch-konventionelle Vieh schiffladungsweise importiertes Gentech-Soja, trotz Werbung für heimisch-regionale Landwirtschaft. Arbeitsplätze schafft diese angebliche Zukunftstechnologie immer noch nicht: ganze 620 Menschen waren in Deutschland 2006 damit beschäftigt, der gesamte Weltmarktumsatz wird auf 2 bis 5 Milliarden geschätzt. Diese Größenordnung hat allein schon der Markt für Biolebensmittel in Deutschland.

 

Also heißt es politisch werden, Widerstand unterstützen, vielleicht einen EU weiten Bürgerentscheid starten. Denn es geht um mehr als unseren Bauch. Es geht um die Integrität der Natur, die mit Gentechnik endgültig zum Artefakt würde, denn biologische Prozesse sind nicht rückholbar und sind im Freien unkontrollierbar. Wir Menschen verlören unseren kulturellen Widerpart und langfristig die wertvollste Ressource, eine zukunftsoffen sich selbst organisierende Natur.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3 Nr.5 , Mai 2010, http://www.info3.de