Essay

Wissen was gut ist

Biologisch-dynamischer Rebbau zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Von Rudolf Trossen

 

Die Rebe! Welch Gegensatz zu einem Weizenfeld. Dort geometrische Formen, vom Kiesel getragene Aufrichtekraft, linienhafte schmale Blätter, goldenes, hartes Korn, hier schwellendes, saftendes, mondenhaft wassergetragenes Wachstum. Sensible Ranken tasten kreisend nach Halt. Große, elegant gezahnte Blätter, handartig gebuchtet, atmen das Licht aus dem Äther, verdichten das Unsichtbare zur Substanz. Jedes Blatt ein Wunder. Im Inneren sorgen die großen Zellen unablässig für Kühlung, saugt der Rebstock aus den tiefsten Schlünden und Ritzen im Fels das kostbare Nass. Tiefer als jeder Baum dringt die Wurzel der Rebe ins Reich der Mineralien. Mattgrüne Beeren dösen der Reife entgegen, tags wie auf kleiner Flamme gekocht, nachts vom wärmenden Hauch des Schiefers umschmeichelt. Bald werden sie weich und glänzend. Eine "chymische" Hochzeit beginnt:

 

Traubensaft, und darin der Traubenzucker, werden gebildet, das Kostbarste, was die Natur hervorbringen kann. Menschengemäß wie kein anderer Stoff, Blut der Erde, wie Hildegard von Bingen sagte. Im Kelch des Abendmahls gewandelt - Christi Blut. Seit Jahrtausenden von Menschen geschätzt als Nahrung in karger Winterzeit, begleiten die Traube und ihr Saft die Kulturentwicklungen der Menschheit, Mut, Kraft und Freude schenkend.

 

Und dann der Wein: empfindlichste Reagenz der Natur. Keine andere Pflanze bietet dem Genießer so gut sinnlich wahrnehmbar den Geschmack der Erde, der Örtlichkeit dar: das "Terroir"; Farbe und Duft der Erde, das Wetter dieses Jahres, und was Merkur und Venus am Himmel getan, was Wurm und Asseln im Erdreich geflüstert, das Zirpen der Meise, das Scherzen der Leser im Herbst, das Wispern der Hefen, des Winzers lenkende Hand: ein Original, unverwechselbares Erlebnis, einzigartig. Trank gewordene Erden-Augenblicklichkeit. Ein Kunstwerk, wenn denn der Winzer ein Künstler ist und die Natur das ihrige tun konnte.

 

Woher rührt diese Fähigkeit der Rebe zur feinsten Wahrnehmung, der Offenheit für den Umkreis, diese immense Kraft der Verwandlung, Steigerung und Differenzierung, diese Gewalt über den Stoff?

Das Geheimnis der Rebe

Aus Vitis sylvestris, der Waldrandbewohnerin der Bergwälder des Hindukusch, mit ihren kleinen, bitteren Beeren, wurden vor langer Zeit durch die kundige Hand Wissender die heutigen Kulturreben der Gattung Vitis vinifera geschaffen. Die Bibel sagt "Noah" wenn sie auf den Ursprung des Weines deutet, woanders heißt er "Manes" und sogleich leuchtet ein Mysterium auf, schimmert ein Geheimnis durch Bilder und Metaphern der Mythologien. Von Rudolf Steiner wissen wir, dass die Rebe eine einzigartige Fähigkeit besitzt: All die Kräfte, die bei anderen Pflanzen in den Samen strömen und die neue Generation konfigurieren, schießen bei der Rebe in das Fruchtfleisch hinein, und werden dem Menschen verfügbar. Um dieses Geheimnis herum schufen die Eingeweihten der Griechen einen gewaltigen Mythos.

Der Wein als Begleiter zur Freiheit

Die Gabe des Dionysos fuhr wie ein Sturmwind durch die Antike und zerstörte die Ordnung, die ihre Wurzeln in der Führung der alten Mysterien hatte. Aus Indien kommend, versammelte der Gott die Ausgestoßenen der Stämme, die Neues wagend sich mischten. Mit dem Wein kam der Rausch, und dann heilige Nüchternheit, Sinn fürs Jetzt, Möglichkeit und Mut zur Freiheit. Kunst entstand im Dunstkreis der Feste, im Theater erlebte der Bürger sich selbst, Komik und Satire wurden zur öffentlichen Kunst, erlaubten erstmals Distanz zu den Autoritäten. Selbstbewusstsein wuchs, Kritik und Demokratie wurden möglich, und die Dramen boten geistige Nahrung dem sich entwickelnden Individuum. Die Kultur der Rebe begleitete und befruchtete den Weg des Menschen zu sich selbst, zum ICH. Ist diese Aufgabe bald erfüllt, dämmert die Weinkultur ihrem Ende entgegen, oder harren noch andere, neue Aufgaben der Rebe und ihrer einzigartigen Fähigkeit?

Vor dem Abgrund

In der gegenwärtigen Landwirtschaft erkennt man Zeichen eines tief greifenden Wandels. Ein Pionier des biologisch-dynamischen. Landbaus sagte einmal: "Fünftausend Jahre Landbaukultur gehen zu Ende." Der Bauer ist tot, es lebe die GPS-gesteuerte Saat- und Erntemaschine. Wir werden Zeugen, wie die entfesselten Kräfte der Selbstsucht, frei nach dem Motto: "Geiz ist geil", gekleidet in ungeheure, profitsuchende Geldströme, sich der Lebensgrundlagen der Menschheit bemächtigen: Wasser und Saatgut. Es geht den "Global Playern" des Agro-Business offensichtlich um die völlige Kommerzialisierung der Nahrungsmittelerzeugung. Die Gentechnik spielt in diesem Vorhaben eine wichtige Rolle. Es schadet nicht, in diesem Zusammenhang die Dokumentation "Septemberweizen" wieder anzuschauen. Nur wenn eine von aufgeklärten Konsumenten gelebte Ethik dem blinden Prinzip der Profitmaximierung Maß und Ziel gibt, bleibt Hoffnung auf eine gedeihliche Entwicklung. Es wird keine Zukunft mehr geschenkt. Menschen müssen sie wollen und gestalten. Das ist der Preis der Freiheit.

"Frankenstein-Wein" und Verbrauchertäuschung

Werfen wir aus aktuellem Anlass einen Blick auf die ebenso durch einseitige Interessen gesteuerten Vorgänge im Weinbereich. Durch eine Perfektionierung von Bewässerung und Kühlung in den letzten Jahren, wurde es möglich, dass potente Anleger, in Wüsten und ähnlichen Gegenden in Übersee riesige Reb-Plantagen pflanzen ließen. Aus Tiefbrunnen wird das kostbare Wasser gesaugt für eine an die Tomaten- und Paprikazucht gemahnende Art "Hydro-Rebkultur". Authentischer Geschmack oder charaktervolle Weine mit Tiefe und Spannung können so nicht entstehen, weil die Rebe sich kaum mit der Erde verbinden kann. Sie wurzelt lediglich im "erregten Wässrigen", bleibt im Vordergründigen, wird zu einer Karikatur. Dann treten spezielle "flying winemaker" in Aktion, mit Hefen und Enzymen, gerösteten Hobelspänen oder Holzlatten und Taninnen aus der Tüte wird der Wein mit der gewünschten Holznote versehen, mit Zucker und Wasser werden dann Alkohol und Süße justiert. Durch ein spezielles neues Verfahren, die "Spinning Cone Column", kann ein Wein fraktioniert, zerlegt werden. Er wird quasi geschlachtet und ausgeweidet, um aus den gewonnen Einzelteilen einen anderen Wein in jede nur gewünschte Richtung aufzupeppen. Es entsteht ein "Frankenstein-Wein", oder besser ein "Playboy-Wein", der so schmeckt wie manche Damen in besagten Magazinen aussehen: retuschiert und mit Implantaten auf Opulenz getrimmt. Das Fatale ist, dass man diese "Monster" am Etikett nicht erkennen kann. Diese flüssigen Falsifikate überschwemmen den Markt zu Dumpingpreisen unter Missbrauch von Namen, Begriffen und Bildern der traditionellen Weinwelt und verdrängen die Weine des alten Europa aus den Regalen. Aus einem relativ natürlichen, handwerklichen Erzeugnis "Wein" wird ein Industrie- Produkt "Wein" aus natürlichen Zutaten ohne Kennzeichnung. Der Weinfreund kann sich nicht orientieren, wird getäuscht. Das ist der Punkt.

 

Aromatisierte Getränke gab es schon immer, nur hießen die auch so, z.B. Punsch. Aber seit dem Aufkommen der Weingesetze zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist klar definiert, was Wein ist. Gerade hat die EU diese Definition auf Druck der US-Regierung zugunsten deren Weinindustrie verändert. Zehntausende kleine und mittlere Weinbau-Betriebe in Europa werden so geopfert auf dem Altar bestimmter Wirtschaftsinteressen. Das wird Folgen im Landschaftsbild haben, und Europa wird ärmer, wirtschaftlich, kulturell, sozial und ökologisch. Wer bedenkt das, wenn er diese Hightech-Weine kauft? Junk Food haben wir schon. Brauchen wir wirklich noch "Junk-Wein"?

Banalisierung des Geschmacks

Der Mensch nimmt die Welt durch seine Sinne wahr und schmilzt diese Wahrnehmungen in Begriffe um, in sein Bild der Welt. Je differenzierter die Begriffe sind, desto farbiger wird diese Welt. Alles was die Sinne weckt, schärft, kultiviert, ist gut, weil es urteilsfähig, autonom macht. Alles was die Sinne abstumpft oder deren Entwicklung verhindert, bremst und korrumpiert, ist daher kritisch zu sehen. Der Mensch weiß dann nicht mehr, was schmeckt, was "gut und böse" ist, kann zu vielen Fragen des Lebens keine Stellung nehmen, wird unsicher und durch die Werbung manipulierbar.

 

Schauen wir mit diesem Blick auf die Nahrungsmittelindustrie und deren Praktiken, erleben wir, wie an der Verengung dieses Freiheitsraumes gearbeitet wird. Die Geruchs- und Geschmackseindrücke vieler Produkte sind durch Geschmacksverstärker und künstliche Aromen oftmals laut, intensiv, überwältigend und verlogen - Beispiel Erdbeeraroma aus Sägemehl. Vieles ist zu süß, zu salzig, zu fett, und es macht krank.

 

In der Weinbranche gibt es Ähnliches. Recht viele Weine, auch europäische, sind gesichtslos und vordergründig, mit wenig Differenzierung, weil sie auf ungeeigneten Standorten wuchsen. Durch die "neuen oenologischen Verfahren" entsteht nun erstmals gesetzlich sanktioniert die Möglichkeit, das alte Kulturgetränk "Wein" völlig seines Ursprungs zu entkleiden und Jahr für Jahr den gleichen Geschmack industriell herstellen zu können. Das Typische der Jahrgänge wird verschwinden, und die uniformierte Langeweile erobert im Gewande des Fortschritts eine der letzten Bastionen der Unverwechselbarkeit. Die Mechanisierung ergreift ein weiteres Stück Natur.

Die Qualität im Blick

Wie in der Landwirtschaft gibt es Ansätze einer modernen, geistgetragenen Bewirtschaftung auch im internationalen Weinbau. Die oben beschrieben Praktiken rufen den Protest und Widerstand besonnener Winzer hervor. Bei vielen europäischen Spitzenwinzern gibt es schon seit einigen Jahren Tendenzen, die Örtlichkeit, das erwähnte "Terroir" wieder mehr in den Blick zu nehmen. Diese Winzer pflegen einen Begriff von Ethik und haben vor allem einen Sensus für Qualität.

 

Umfassender noch steht dieser Begriff im Mittelpunkt der Arbeit der ökologischen, aber im Besonderen der biologisch-dynamischen Winzer. Waren es gestern nur eine handvoll begeisterter Enthusiasten, die sich einer so wenig beachteten, sehr speziellen Bewirtschaftung gewidmet haben, so sind es heute zusehends mehr und größere Güter, die manches Element aus dem Zauberkasten biologisch-dynamischer Methoden benutzen. Es gibt Betriebe an der Spitze der Qualitätspyramide, besonders in Frankreich, die erfolgreich biologisch-dynamisch wirtschaften, ohne dies nach außen hin besonders zu deklarieren.

 

Die Handhabung der Präparate ist weiter verbreitet als man auf den ersten Blick hin meint, allerdings möchte nicht jeder engagierte Winzer in die doch sehr speziellen Demeter-Verbandszusammenhänge eintauchen. Auch das umständlich wirkende Kontroll- und Anerkennungsverfahren schreckt manche eher ab. So hat ein eigener Weinbau-Fach-Verband wie ECOVIN in den Augen vieler dynamisch interessierter Winzer eindeutige Vorzüge. Demnächst werden in Brüssel europäische Kellerwirtschaftsrichtlinien für den ökologischen Weinbau beraten und beschlossen werden. Zeit also auch für Demeter, fortschrittliche Positionen zu finden und konstruktiv in die Gespräche einzugreifen.

 

Biologisch-dynamischer Rebbau ist momentan "Kult". Es gibt viele Anfragen an den Verband und es finden vermehrt Tagungen für interessierte Praktiker statt. Die Zeit scheint reif zu sein, zum Einen für eine bestimmte Vertiefung praktischer Gesichtspunkte wie Düngung und Bodenpflege, und anderseits lockt das scheinbar Geheimnisvolle dieser Richtung und verspricht auch in der Außendarstellung des Weingutes dem Kunden und der Presse gegenüber einen besonderen Reiz.

Wissenschaft oder Spleen?

In der an Einförmigkeiten schon so reichen internationalen Weinwelt erregt ein Betriebsleiter, der sich den Luxus einer Rinderherde gönnt, und mit dem gewonnen Mist seinen Weinberg düngt, oder der sich an Mond-Konstellationen orientiert und mit dem Pferd pflügen lässt, natürlich einiges Aufsehen. Journalisten mögen diese Originale mit dem Charme und Feuer eines Propheten. Leicht kann es aber auch passieren, dass die Besonderheiten eines Standorts oder die Vorlieben eines Winzers für das "Ganze" gehalten werden, und so entstehen rasch eine Reihe von Klischees: Der biologisch-dynamische Winzer verwendet keine Enzyme, keine Reinzuchthefen, er klärt den Most nicht vor, er verwendet keinen Zucker, Kalk oder Schwefel, er benutzt keinen Vollernter, keinen Separator, keinen Konzentrateur, er braucht keine Eichenholz-Chips, keinen Cross-Flow-Filter, Edelstahltanks, Kühlanlagen, und schützt seine Weine vor Erdstrahlen und Neonlicht. Der Kellerboden ist aus gestampftem Lehm, filtriert wird nur an Fruchttagen mit Handpumpe bei Kerzenlicht und eine Madonna lächelt überm Kellereingang. Ist das nun bio-dynamisch? Oder werden die Stärken, Vorlieben oder Sentimentalitäten des ein oder anderen Winzers zu einer Art Dogma hochgejazzt? Ist das vielleicht gar nicht das Wesentliche, das "Weglassen" von irgendwas, das Negieren moderner Kellertechnik usw.? Es geht im Kern um den Begriff "Qualität", und das ist ein weites Feld, das ich im Rahmen dieser Arbeit nicht wirklich beackern kann.

 

Wir müssen mit der gewachsenen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit behutsam umgehen, darauf achten, dass wir nicht in der "Exotenecke" landen und als Nostalgiker belächelt werden. Jede Schrulligkeit, jeder Spleen und auch jeder schwache, langweilige oder oxydative Wein mit einem "Demeter" Zeichen kann rasch für das "Typische" des Bio-dynamischen gehalten werden. Und dass ausgerechnet die überhaupt nicht aus den Angaben Rudolf Steiners herleitbaren Handlungen, wie z.B. der Pferdeeinsatz und das Arbeiten mit einem Aussaatkalender in der Öffentlichkeit als Symbole für den biologisch-dynamischen Weinbau gelten, will mir nicht gefallen, weil dies suggeriert, wir wären kalendergläubig, fortschrittsfeindlich und würden die Bewirtschaftungsweisen unserer Großväter wieder aufleben lassen.

 

Der biologisch-dynamische Landbau hat nichts mit "New Age", Glauben oder Sozialromantik zu tun. Er entstammt einer Wissenschaft des Lebendigen, der Geisteswissenschaft Rudolf Steiners und ist die modernste Landbaumethode, die es gibt. Der biologisch-dynamische Rebbau allerdings steckt noch in den Kinderschuhen, und es gibt reichlich Bedarf an internationaler, undogmatischer Forschung, damit wir festen Boden unter die Füße bekommen. Weil die Rebe so sensibel ist, zeigt sie im Wein jeden Fehler des Winzers, jede Nachlässigkeit, aber auch die ganze Anmut, Würze und den Zauber eines lebendigen Weinbergs. Sie ist ein guter Zuchtmeister, eine Erzieherin zum Realitätssinn, zur Nüchternheit.

Was ist das Besondere am biologisch-dynamischen Rebbau?

Das ist nicht in wenigen Sätzen zu formulieren. Und danach befragt, wird vielleicht jeder Praktiker etwas anderes sagen, die Theoretiker sowieso. Einiges steht ja im "Leitbild", das erfahrene Praktiker kürzlich mit dem Forschungsring erarbeitet und vorgestellt haben. Für mich ist der biologisch-dynamische Rebbau ein Weg, ein Abenteuer, der Traumberuf. Es ist aufregend und anstrengend ein Winzer zu sein, aber auch tief beglückend, derart umfassend in der Wirklichkeit zu stehen, und die Frucht seiner Bemühungen noch Jahre später lustvoll auf der Zunge zu spüren und dieses Erlebnis mit anderen teilen zu können. Es ist nicht nur das Arbeiten mit den Präparaten, das Hineintasten in die Komplexität einer landwirtschaftlichen Individualität, das fasziniert. Es ist darüber hinaus eine Frage der Haltung, einer durchaus dienenden Gebärde, des bewussten und verantwortungsvollen Stehens inmitten der Naturreiche, vermittelnd zwischen belebter und unbelebter Natur, Leben ermöglichend, Lebensräume schaffend und kommunizierend tätig zu sein zwischen Weinberg, Keller und dem erlebenden Genießer, die das Besondere am biologisch-dynamischen Rebbau ausmacht.

Mit der Natur für guten Wein

Es kommt darauf an mit den Wesen, Kräften und Rhythmen der Natur zu arbeiten, und nicht gegen sie. Aber dazu muss man sie suchen und erkennen. Ein Winzer kann ohne sensible Sinne keinen guten Wein machen. Er muss extrem wach in der Wahrnehmung sein, seine Sensorik stets trainieren und weiter ausbilden. Er muss aufwachen aus der träumerischen Seelenhaltung der Bauern der Antike und des Mittelalters. Er muss lernen, Wunsch und Wirklichkeit zu unterscheiden, urteilsfähig werden, wissen was gut ist und wo Prozesse beginnen, die die Rebe oder den Wein schwächen oder in die Verderbnis führen. Und über allem steht: Lerne lieben, was du tust. Das ist schwer genug.

Wollen wir "Gläubige" bleiben oder "Wissende" werden?

Letztlich sind wir alle "Erstlinge", Anfänger und Lehrlinge. Hochmut ist fehl am Platze. Die Inhalte der Koberwitzer Vorträge sind noch lange nicht hinreichend begriffen, geschweige denn lebendig in uns. Welcher Demeter-Winzer hat denn wirklich die Werke studiert, die damals 1924 den Kursteilnehmern als Bedingung der Teilnahme empfohlen wurden? Der Kurs ist wahrlich knochentrocken, nicht lieblich oder angenehm schmeichelnd wie eine Riesling oder Grauburgunder Auslese. Jeder Begriff muss erarbeitet werden. Aber auf diese Art bleibt man frei. Und das ist die Signatur der Gegenwart.

Das Fundament: Der Landwirtschaftliche Kurs

Mit dem Landwirtschaftlichen Kurs Rudolf Steiners ist ein Grundstein gelegt, stehen uns Winzern eine Fülle von Instrumenten und Maßnahmen zur Verfügung. Keine andere Landbaumethode bietet auch nur annähernd solche Einsichten in Zusammenhänge und Möglichkeiten der Gestaltung, bis hin zur planvollen Entwicklung eines Landschaftsorganismus.

 

Aus den Worten Rudolf Steiners leuchtet uns eine Geistessonne entgegen. Halten wir unsere Aufmerksamkeit wie die Rebe ihre Blätter in dieses Licht, saugen wir mit den kräftigen Wurzeln unserer Beobachtungskraft Wahrnehmung nach Wahrnehmung nach oben, heben wir sie ins Bewusstsein, und bilden wir mit der Kraft des Geistes lebendige Begriffe. Lassen wir unsere Kräfte, wie die Rebe in die reifenden Früchte, so wir in die sozialen Zusammenhänge überströmen. Schauen wir auf den Rebstock, tauchen wir ein in sein Wesen, lernen wir von ihm. Begreifen wir unser Tun als Dienst an der Erde. Lieben wir sie mit Taten: Machen wir guten Traubensaft, machen wir guten Wein!