Ernährung

Verpflegung an Waldorfschulen zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Ergebnisse einer Erhebung

von Anne Abeler

 

Waldorfschulen haben ein besonderes Ausbildungskonzept, aber auch eine besondere Verpflegung? Das fragte sich Anne Abeler in ihrer Masterarbeit im Studiengang „Nachhaltige Dienstleistungs- und Ernährungswirtschaft“ an der Fachhochschule Münster. Über die Hälfte aller deutschen Waldorfschulen nahmen an der Ende 2012 gemeinsam mit dem Bundesverband für biologisch-dynamische Landwirtschaft „Demeter e.V.“, dem „Bund der Freien Waldorfschulen e.V.“, dem Beratungsunternehmen für nachhaltige Außer-Haus-Verpflegung „a’verdis – Roehl & Dr. Strassner GbR“ und der Fachhochschule Münster durchgeführten Studie teil. Von 228 angeschriebenen Schulen beantworteten 115 den 40 Fragen umfassenden Bogen. Die Ergebnisse zeigen neben der Verpflegungsstruktur die Ernährungsqualität und pädagogische Konzeption der Waldorfschulverpflegung auf.

Anspruch an eine optimale Waldorfschulverpflegung

Mehr Ganztagsschulen, mehr Nachmittagsunterricht, mehr Verpflegungsbedarf in Deutschlands Schulen! Damit übernehmen Schulen neben der Verantwortung für die Qualität der Verpflegung ihrer Schüler ebenso einen bildenden Auftrag in Sachen Ernährung. Das gilt ganz besonders für Waldorfschulen. Dieser besonderen Schulform liegt die Anthroposophie nach Rudolf Steiner zugrunde, ebenso wie der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Die Waldorfschulen sollten somit eine besondere Verbindung zu ökologisch erzeugten Lebensmitteln haben. Darüber hinaus finden sich Ernährungsempfehlungen in den Ausführungen Rudolf Steiners (vgl. Willmann 1981, 1984). Später haben anthroposophische Ärzte wie Rudolf Hauschka, Gerhard Schmidt und Udo Renzenbrink die Ernährungsthematik vertieft. Aktuell wird die „Anthroposophische Ernährung“ von Petra Kühne beschrieben (vgl. Kühne 1999, 2008). Sie beschäftigt sich als Vorstand des „Arbeitskreises für Ernährungsforschung e.V.“, mit einer ganzheitlichen und ökologischen Ernährung auf Grundlage der Anthroposophie.

 

Die Gemeinsamkeit der Waldorfpädagogik mit der biodynamischen Landwirtschaft lässt den Schluss zu, dass Waldorfschulen auch in der Schulverpflegung ein anthroposophisches Konzept verfolgen. Ein solches Konzept sollte mit Blick auf die Ernährungsempfehlungen auf Grundlage der Anthroposophie den hohen Anforderungen an Ernährungsqualität und -bildung gerecht werden. Somit sollte in Waldorfschulen eine ganzheitliche, ökologische Ernährung und Esskultur sowie eine dementsprechende päda­gogische Konzeption der Verpflegung umgesetzt werden. Idealerweise werden schonend verarbeitete, vorwiegend vegetarische Speisen aus regionalen, saisonalen und biologisch-dynamischen Lebensmitteln angeboten. Ein umfassendes pädagogisches Ernährungskonzept sollte die Gesundheit fördern, soziale Begegnung ermöglichen, praktische Erfahrungsräume entlang der Wertschöpfungskette zur Erlangung von Selbstkompetenz bieten und die Bewusstseinsbildung für Nachhaltigkeit fördern.

Aktuelle Situation der Waldorfschulverpflegung

Knapp 94 Prozent der Waldorfschulen, die geantwortet haben (n = 115), bieten Ganztags- oder Nachmittagsunterricht an. Mit rund 97 Prozent gibt es in nahezu allen befragten Schulen ein Mittagessen. Ein Großteil der Schulen hat ein oder zwei Menüs pro Tag im Angebot, die in der Regel aus zwei oder drei Gängen bestehen. Insgesamt steigt die Vielfalt des Menüangebotes mit der Schülerzahl. Je mehr Gänge ein Menü hat, desto höher ist in der Regel auch der Preis. Durchschnittlich liegt der Preis für ein Mittagsmenü an einer Waldorfschule bei 3,07 Euro. Alles in allem ist es damit teurer als in anderen Ganztagsschulen. Erstaunlicherweise hängen die Preise der Mittagsverpflegung in Waldorfschulen nicht vom Einsatz von Bio-Produkten ab. Das bedeutet, dass der Einsatz biologisch-dynamischer Lebensmittel nicht unbedingt zu einer Preissteigerung führen muss. Hier wäre interessant, wie die Mehrkosten für ökologische Lebensmittel kompensiert werden.

Ernährungsqualität und Werteorientierung

Eine hochwertige Verarbeitung, biodynamische Lebensmittel und viel vegetarische Kost zeichnen die Waldorfschulverpflegung aus. In über drei Viertel der Schulen mit einem Verpflegungsangebot wird das Essen frisch zubereitet. Jeden Tag ein vegetarisches Menü gehört zum Angebot fast jeder Waldorfschule dazu. Knapp 40 Prozent der Schulen mit einem Verpflegungsangebot (n = 111) verzichten vollkommen auf den Einsatz von Fleisch.

 

Mehr als ein Viertel der Waldorfschulen mit Verpflegungsangebot stellt das Mittagessen komplett in Bioqualität bereit, während nur rund 5 % keine ökologischen Produkte für ihre Verpflegung verwenden. Ein Großteil der Schulen bevorzugt saisonale und regionale Produkte. In über 20 % der Schulen, die saisonale Lebensmittel nutzen, liegt der Warenanteil bei 75 % und mehr. Über 60 % der Waldorfschulen mit Verpflegungsangebot kaufen bei Höfen aus der Umgebung und rund 40 % nutzen Produkte aus dem Schulgarten. Alles in allem berücksichtigen viele Waldorfschulen Prinzipien anthroposophischer Ernährung bei der Verpflegung ihrer Schüler und erfüllen damit bereits einen hohen Standard an Ernährungsqualität.

 

Gemessen an den hohen Anforderungen einer Ernährung auf Grundlage der Anthroposophie gibt es an den Schulen allerdings noch Verbesserungsmöglichkeiten. Solchen Maßstäben umfassend gerecht zu werden, erfordert ein hohes Maß an Organisation, Knowhow, Geld und Zeit.

Ernährungsbildung

In der Ernährungslehre, im Hauswirtschaftsunterricht, beim Kochen oder in den Fächern Gartenbau und Pflanzenkunde thematisieren über die Hälfte der befragten Schulen Prinzipien anthroposophischer Ernährung.

 

Ein großer Teil der antwortenden Waldorfschulen hat einen Schulgarten. Weniger als die Hälfte der Gärten wird nach den biologisch-dynamischen Anbauprinzipien bewirtschaftet. 97 Prozent der Schulen mit einem Garten nutzen diesen für das Unterrichtsfach Gartenbau. Die häufigsten Aufgaben der Schüler sind die Pflege der Pflanzen, deren Anbau und Ernte. In rund 59 Prozent der Fälle verarbeiten die Schüler die Produkte des Gartens für die Schulverpflegung. Ein Landwirtschaftpraktikum ist ebenfalls Teil der Ausbildung an Waldorfschulen. Bis auf die Anbauweise in den Schulgärten sind die meisten Waldorfschulen im Bereich Lebensmittelerzeugung pädagogisch gut aufgestellt.

 

30 Prozent der befragten Waldorfschulen haben keine Räumlichkeiten, um mit ihren Schülern Verpflegungstätigkeiten durchzuführen. Bei den restlichen 70 Prozent handelt es sich meistens um die Mensa oder eine Lehrküche. Knapp die Hälfte dieser Schulen nutzt die Räume im Rahmen von Unterricht und rund ein Viertel bietet Praktika für die Schüler an. Die Vor- und Zubereitung der Speisen ist dabei die zentrale Tätigkeit, gefolgt von der Speisenausgabe, Speisenplanung und Beschaffung. In über 60 Prozent werden die Speisen nach der Zubereitung gemeinsam verzehrt und in mehr als der Hälfte der Fälle wird das Essen für die Schulverpflegung produziert. Im Hinblick auf die Grundlagen anthroposophischer Ernährung werden die Aspekte einer hochwertigen Verarbeitung am häufigsten bei den Verpflegungstätigkeiten mit den Schülern berücksichtigt. Das Fach Hauswirtschaft oder ein Küchenpraktikum sind keine festen Bestandteile an Waldorfschulen.

 

Um den gesamten Weg des Lebensmittels für die Schüler nach anthroposophischen Gesichtspunkten darzustellen, wäre es wünschenswert, die Arbeit im Schulgarten stärker mit den Verpflegungstätigkeiten zu verbinden. Ebenso wichtig ist es, die theoretischen Unterrichtsinhalte mit praktischen Tätigkeiten zu verknüpfen und ein übergreifendes pädagogisches Konzept zu entwickeln, das den Schülern in Verbindung mit einer dementsprechenden Schulverpflegung aufzeigt, dass eine ganzheitliche und ökologische Ernährung und Esskultur praktizierbar ist und Spaß machen kann.

Projekt „Initiative Schulrestaurant“

Im Vergleich zur Verpflegungssituation an deutschen Schulen schneiden die Waldorfschulen sehr gut ab. Doch auf dem Weg zu einer optimalen Verpflegungssituation liegen noch einige Hürden vor ihnen. Meistens haben sie Probleme mit der Organisation, den Finanzen und dem Personal. Die Mittagspause muss mehr auf die Schulverpflegung abgestimmt werden, den Räumen fehlt es an adäquater Ausstattung und dem Speisenangebot an Vielfalt. Mit der „Initiative Schulrestaurant: kochen – schmecken – denken“ des Bundes der Freien Waldorfschulen ist ein Anfang gemacht. Das Projektteam besteht aus Experten aus dem Bereich der nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung sowie der anthroposophischen Ernährung und dem Geschäftsführer des Bundes der Freien Waldorfschulen. Die Integration der Werteorientierung auf Grundlage der Anthroposophie in die Waldorfschulverpflegung ist das übergeordnete Ziel der Initiative. Das Projekt soll gezielt auf die Bedürfnisse der Waldorfschulen ausgerichtet werden und dementsprechend unterstützende Maßnahmen für die Küchen entwickeln. Auf der ersten Tagung in Kassel im Februar 2013 kamen über 100 Interessierte zusammen, um sich über die Waldorfschulverpflegung auszutauschen. Gemeinsam mit den Waldorfschulen will die Initiative ein Konzept für eine attraktive Waldorfschulverpflegung entwickeln, bei der sich die Schüler wie in einem „Schulrestaurant“ fühlen.

 

Eine Aufgabe wird die Ausbildung von Fachkräften sein. Denn für eine optimale Verpflegungssitua­tion ist Küchenpersonal notwendig, das sich mit einer anthroposophischen Ernährung auskennt und mit Schülern umgehen kann. Ebenso wichtig sind Lehrer, die zusätzlich zur Waldorfpädagogik auch hauswirtschaftliche Fachkenntnisse mitbringen. Nur so können der theo­retische Unterricht, die Arbeit im Schulgarten, die Verpflegungstätigkeiten der Schüler und die Schulverpflegung sinnvoll miteinander verwoben werden. Sowohl für die Ernährungsqualität, ein pädagogisches Ernährungskonzept und die Entwicklung eines dementsprechenden Ausbildungskonzeptes für das Küchenpersonal und die Lehrkräfte bedarf es zunächst einmal einer gemeinsamen Werteorientierung in Sachen Waldorfschulverpflegung.

Biodynamische Unterstützung

Als Unterstützung für die Waldorfschulen wäre auch eine Koopera­tion mit dem Demeter e.V. denkbar. Die Waldorfschulverpflegung ist ohne Zweifel ein attraktiver Absatzmarkt für Demeter-Lebensmittel. Ebenso wichtig ist es, junge Menschen für diese Form der Landwirtschaft zu begeistern. Denn die Waldorfschüler könnten nicht nur die zukünftigen Käufer von Demeter-Lebensmitteln sein, sondern auch deren Erzeuger. Der Verband sollte die Schüler davon überzeugen, dass eine biodynamische Ernährung Sinn und Spaß macht. Mögliche Aufgaben sind, die Vernetzung der Verpflegungsverantwortlichen zu fördern, Fortbildungsprogramme sowie Beratungs- und Informationsangebote zu entwickeln. Zudem ist es sinnvoll, regionale Netzwerke zwischen Schulen und Höfen zu schaffen und zu betreuen. Möglicherweise können bereits bestehende Vernetzungen der Schulen zu Praktikumsbetrieben genutzt werden. Die Höfe können die regionale Warenbeschaffung verbessern, Bildungsorte sein oder die Schulen dabei unterstützen, ihre Schulgärten auf biologisch-dynamischen Anbau umzustellen.

Literatur:

  • Kühne, P. (1999): Was ernährt unsere Kinder. Von Nährstoffen und Lebensmitteln. In: Verein für Anthroposophisches Heilwesen (Hrsg.) (1999): Beiträge für eine bewusste Lebensführung in Gesundheit und Krankheit, Heft 164. Bad Liebenzell.

  • Kühne, P. (2008): Anthroposophische Ernährung. Lebensmittel und ihre Qualität. Bad Vilbel.

  • Willmann, K. T. (Hrsg.) (1981): Rudolf Steiner. Themen aus dem Gesamtwerk 6. Naturgrundlagen der Ernährung. Stuttgart.

  • Willmann, K. T. (Hrsg.) (1984): Rudolf Steiner. Themen aus dem Gesamtwerk 7. Ernährung und Bewusstsein. Stuttgart.

Anne Abeler,

M. Sc. Nachhaltige Dienst­leistungs- und Ernährungs­wirtschaft, studierte an der FH Münster mit den Schwer­punkten Bildung und Kom­munikation für nachhaltiges Handeln, nachhaltiges Ernährungs- und Konsumverhalten sowie nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung.

anneabeler(at)gmx.de

 

Die komplette Studie erhalten Sie bei der Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen

unter dem Titel „Die Verpflegung an Waldorfschulen – Eine deutschlandweite Befragung“, ISBN 978-3-944911-01-4