Essay

Öko-Intensivierung ist unverzichtbar

Wie kann der Beitrag des Ökolandbaus zur Welternährung aussehen?

von Johannes Kotschi

Ernährungssicherung ist ein globales Ziel und längst ist uns klar, dass dieses nicht allein durch Produktionssteigerung erreicht werden kann. Mindestens ebenso wichtig sind die gerechtere Verteilung von Ressourcen, veränderte Ernährungsgewohnheiten, die Vermeidung von Verlusten usw. Klar ist aber auch, dass die Landwirtschaft gefordert ist, ihre Produktion erheblich zu steigern. Da sich landwirtschaftliche Nutzflächen kaum erweitern lassen, kann diese Produktionssteigerung nur über höhere Flächenproduktivität erreicht werden.

Intensivierung: gestern chemisch, heute ökologisch

In der Vergangenheit konnte die Produktivität mit hohem Betriebsmitteleinsatz (Mineraldünger, chemischen Pflanzenschutz und Hochertragssorten) enorm gesteigert werden. So ließ sich die globale Getreideproduktion im Zeitraum 1950 – 2000 fast verdreifachen. Diese „grüne Revolution“ wurde im Wesentlichen auf Gunststandorten und unter optimalen Wachstumsbedingungen (Nährstoffe und Wasser) möglich. Dagegen wurde ein erheblicher Teil landwirtschaftlicher Nutzflächen – vor allem die mittleren und ärmeren Standorte kaum erreicht, und dies betrifft den größten Teil der direkt von Landwirtschaft lebenden Menschen – immerhin 2,5 Milliarden. Nach neueren Schätzungen wirtschaften immer noch ca. 95% aller Betriebe weitgehend traditionell. Diese überwiegend kleinbäuerliche Landwirtschaft trägt auch heute noch ganz erheblich zur Welternährung bei, auch wenn in vielen Regionen die Produktion nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten konnte, Ernährungssicherung zunehmend zum Problem geworden ist, und 80% der weltweit Hungernden nicht in Städten, sondern auf dem Lande leben.

 

Die Frage ist nun, wie eine weitere Intensivierung erreicht werden kann. Der bisherige Intensivierungserfolg auf Gunstflächen lässt sich nicht beliebig fortsetzen. Im Laufe der vergangenen 50 Jahre hat er stetig abgenommen. Während der jährliche Zuwachs der Flächenproduktivität in den 50er Jahren noch 3 bis 4% erreichte, liegt er heute bei 0,5 bis 1%. Andererseits hat der Misserfolg auf ärmeren Böden vor allem auch wirtschaftliche Gründe. Mineraldünger, Pflanzenschutz und Hochertragssorten sind gemessen am Mehrertrag oft zu teuer.

 

Jenseits betriebswirtschaftlicher Überlegungen sprechen auch die gewaltigen Umweltprobleme gegen bisherige Intensivierungsstrategien. Die Belastungsgrenzen von Ökosystemen und ihr Leistungsverlust sind heute vielfach erkennbar. In den Industrieländern ist vor allem die chemieintensive Produktion zu nennen. Die Nitratanreicherungen im Trinkwasser durch synthetischen Stickstoff und das „Umkippen“ überdüngter Gewässer durch den Nährstoffaustrag landwirtschaftlicher Böden sind heute Allgemeinwissen. Weniger bekannt ist, dass Lachgas-Emissionen aus mineralischem Stickstoff den größten Teil des landwirtschaftlich bedingten Treibhauseffektes ausmachen. Andererseits sind in vielen Entwicklungsländern Bodenerosion, Bodenversalzung und Abnahme der Bodenfruchtbarkeit auf dem Vormarsch. So ist für beide Gruppen – die chemieintensive, industrielle Landwirtschaft, wie auch die an Produktionsmitteln arme, kleinbäuerliche Landwirtschaft – eine Neuorientierung erforderlich.

 

Inzwischen wird auf breiter Basis über einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft nachgedacht. Ein zentraler Punkt dabei ist die effizientere Nutzung von Ressourcen. In der Vergangenheit hat sich mit der Verdreifachung der globalen Getreideproduktion der Verbrauch an synthetischem Stickstoff verachtfacht, d.h. die Ressourcenproduktivität nahm kontinuierlich ab. Für die Zukunft fordert der Umweltpolitiker Ernst Ulrich von Weizsäcker in seinem neuen Buch „Faktor 5“ eine Verfünffachung der Ressourcenproduktivität und hält diese Steigerung auch für möglich. Rohstoffverknappung und steigende Preise werden eine starke Produktivitätssteigerung erzwingen.

Leistungen und Potenziale des Ökolandbaus

Über 85 Jahre verfolgt die ökologische Landwirtschaft bereits den Weg einer Ressourcen schonenden Produktion. Dabei geht es auch um Intensivierung, aber mit einem anderen Verständnis, man könnte sie ökologische Intensivierung nennen. Die ökologische Landwirtschaft bedient sich dazu der Erkenntnisse der Ökosystemforschung. Die wichtigste Gesetzmäßigkeit dabei ist sicherlich, landwirtschaftliche Betriebe als weitgehend geschlossene Einheiten, als Organismen zu betrachten, oder wie in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft sogar als Individualität. Dies findet seinen Ausdruck in physischer Sicht, indem Stoff- und Energieflüsse in Kreisläufen gelenkt werden. Nährstoffe beispielsweise sollen so effizient und wiederverwendbar wie möglich genutzt werden, denn Düngung dient primär der Pflege und dem Aufbau der Bodenfruchtbarkeit. In ökonomisch-sozialer Hinsicht bedeutet dies, dass Betriebe ein hohes Maß an wirtschaftlicher Autonomie und Ernährungssouveränität besitzen.

 

Interessant ist nun, dass gerade mittlere und ärmere Standorte erhebliches Potenzial für ökologische Intensivierung haben. Das betrifft vor allem die Entwicklungsländer, die Tropen und Subtropen und allgemein Regionen, in denen die Nahrungsproduktion defizitär ist. An erster Stelle stehen alle Maßnahmen, die den Humusgehalt im Boden steigern, und dadurch verstärkt Nährstoffe und Energie in Kreisläufe leiten. Das Spektrum der Maßnahmen reicht von Nutzung tierischer Dünger und Komposte über Gründüngung und Intensivbrachen bis hin zum Aufbau agro-forstlicher Systeme, bei denen tief wurzelnde Bäume den Oberboden mit Nährstoffen und organischer Substanz anreichern.

 

Ebenso bedeutsam sind Maßnahmen zur Boden- und Wasserkonservierung, die Bodenerosion verhindern, Niederschlagswasser auffangen, pflanzenverfügbares Wasser im Boden anreichern und so den Biomasse-Ertrag steigern. Auf diese Weise kann Bodenhumus aufgebaut werden, der Nährstoffe speichert ohne sie festzulegen, der Niederschläge besser aufnimmt und im Boden speichert. Ergänzend zu den biologischen Maßnahmen spielen Mineraldünger in dieser Aufbauphase eine wichtige Rolle. Nicht selten sind degradierte Böden von akutem Phosphatmangel betroffen und stark versauert. Kalk- und Phosphorgaben sind dann unverzichtbar. Auch Kaliummangel ist keine Seltenheit.

 

Wie wissenschaftliche Untersuchungen zunehmend belegen, sind die Leistungen ökologischer Landwirtschaft vielfältig. Die Bewahrung biologischer Vielfalt, der Schutz des Klimas und die Erhaltung zahlreicher Ökosystemleistungen gehören zu den wichtigen gesamtgesellschaftlichen Leistungen ökologischer Landbewirtschaftung. Die Frage, welche Erträge die ökologische gegenüber der konventionellen liefert lassen sich anhand der Ergebnisse einer umfangreichen Auswertung von insgesamt 293 Vergleichsuntersuchungen folgendermaßen zusammenfassen: Die Erträge aus ökologischer Landwirtschaft in Industrieländern liegen bei 92 %, in Entwicklungsländern bei 180 % im durchschnittlichen Vergleich zu konventioneller Produktion. Und die sich stetig verschlechternden terms of trade – überproportional steigende Kosten für Produktionsmittel bei stagnierenden oder gar sinkenden Erzeugerpreisen verstärken die ökonomischen Vorteile der ökologischen Landwirtschaft. Jedoch das wohl wichtigste Argument zur Vermeidung von Hunger im ländlichen Raum ist die geringere Risikoanfälligkeit ökologischer Produktion in Dürreperioden.

 

Deshalb geht es – global betrachtet – weniger darum, auf den bereits hochintensiv genutzten Gunststandorten Getreideerträge von 8 auf 12 Tonnen pro Hektar anzuheben; vielmehr gilt es, die verbliebenen 95 % der überwiegend bäuerlich strukturierten Betriebe so zu fördern, dass ausgehend von geringer Bodenfruchtbarkeit und mit begrenzt verfügbaren Betriebsmitteln die Produktion gesteigert, die Ernährung gesichert und Vermarktungsüberschüsse erzielt werden können. Produktionssteigerung meint dann, Getreideerträge von einer Tonne auf zwei, drei oder vier Tonnen pro Hektar anzuheben. Gleichzeitig kann durch eine Erhöhung der Vielfalt im Anbausystem das Produktionsrisiko verringert werden.

Ökolandbau und Welternährung: nicht ganz so einfach

Ein erster Schritt ist getan: Ökologische Produktionsmethoden – vor allem auch jenseits von Zertifizierung und Richtlinien – sind in den vergangenen 30 Jahren immer beliebter geworden. Immer mehr Bauerngruppen und zivilgesellschaftliche Organisationen schließen sich dem an, und der von Europa ausgehende Ökologische Landbau hat dazu wesentlich beigetragen. Aber die zertifizierte ökologische Landwirtschaft gegenwärtiger Prägung bedarf weiterer Intensivierung und größerer Nachhaltigkeit. Dazu müssen Engpässe überwunden, Methoden erweitert, sowie bisheriges Wissen stärker als bisher verbreitet werden.

 

Einen Engpass bilden zweifellos die Richtlinien für Biozertifizierung. Einerseits sind sie für die Verbraucher(innen) vertrauensbildend und Grundlage wachsender Nachfrage, andererseits werden sie zunehmend zum Hindernis für Betriebsentwicklung. Dem Wesen von Regulierung folgend werden die Richtlinien immer detaillierter und aufwändiger, und ihre Entwicklung hat sich verselbständigt. Auch steht die Absicht nach „Harmonisierung“ (Vereinheitlichung) unterschiedlicher Richtlinien bei gleichzeitiger Detaillierung im Widerspruch zu den Grundprinzipien ökologischer Landwirtschaft. Der sich selbst regulierende Betriebsorganismus bedarf der Freiheit der Gestaltung und der Eigenverantwortung, wenn er sich unter seinen standortspezifischen Gegebenheiten optimal entwickeln soll. Deshalb werden regionale Richtlinien und Garantiesysteme benötigt, die aus dem jeweiligen natürlichen, kulturellen und sozio-ökonomischen Kontext heraus entwickelt, anstatt von außen vorgegeben werden. Auch wäre grundsätzlich zu überlegen, ob es nicht sinnvoller ist, den Prozess der Ökologisierung zu zertifizieren anstelle des Produktes. Internationale Richtlinien sollten deshalb nicht aufgegeben werden, aber statt sie zunehmend detaillierter zu gestalten sollten sie – bei aller Vielfalt der Standorte – wesentlich vereinfacht und allgemeiner gehalten werden.

 

Auch bei der Vermarktung müssen wir umdenken. Der internationale Biomarkt dient den Bedürfnissen des wohlhabenden Nordens, hilft den Kleinbauern im Süden aber kaum. Anstelle von Exportförderung gilt es, lokale, regionale und nationale Märkte aufzubauen. Dazu gehört auch, dass Erzeuger nicht nur im Anbau, sondern auch in der Vermarktung unterstützt werden. Preisermittlung, Harmonisierung von Angebot und Nachfrage, Entwicklung von Vermarktungsstrategien und schließlich die Bildung von Erzeugergemeinschaften sind wichtige Aspekte.

 

Ökologisierung ist nicht zuletzt auch eine Frage von Machtverhältnissen, denn Landwirtschaft ist Gegenstand großer wirtschaftlicher Interessen. Diese prägen stark den Diskurs um den richtigen Intensivierungsweg. Deshalb sollte landwirtschaftliche Beratung von Produzenten mit politischer Bewusstseinsbildung und mit Rechtsbeistand verbunden werden. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie z. B. Navdanya in Nordindien oder Ubinig in Bangladesh sind hier neue Wege gegangen. Sie informieren die Bäuerinnen und Bauern über ihre international verbrieften Rechte, wie Saatgut zu vermehren und zu verbreiten (farmers' rights), über die Folgen handelsbezogener geistiger Eigentumsrechte bei Pflanzen und Tieren (TRIPs Abkommen der WTO), und über die internationale Vereinbarung zur biologischen Sicherheit im Umgang mit gentechnisch verändertem Saatgut (Cartagena Protokoll). Politische Bildungsarbeit verknüpft mit landwirtschaftlicher Beratung hat sich als sehr erfolgreicher Ansatz landwirtschaftlicher Entwicklung erwiesen. In vielen Gemeinschaften ist nicht nur die bessere Wirtschaftlichkeit eine treibende Kraft für Umstellung, sondern auch das gestiegene Selbstwertgefühl der Menschen. Ökologisierung ist eben auch eine Frage der Würde und der Unabhängigkeit gegenüber Staat und Industrie.

Vorreiterrolle des Ökolandbaus erneuern

Eine ökologische Landwirtschaft, die für den agrarischen „Mainstream“ kontinuierlich Innovationen generiert, muss in ihrer Vorreiterrolle neu gegriffen werden. Dafür bedarf es einer methodischen, einer regionalen und einer inhaltlichen Neuorientierung:

  • Der Ökosystem-Ansatz erfordert Forschungsmethoden, die stärker auf Transdisziplinarität und Interdisziplinarität setzen und neben den formalen Wissenssystemen auch traditionelle und gemeinschaftliche Wissens- und Erfahrungssysteme einbeziehen.

  • Erhebliche Steigerungspotentiale der globalen Nahrungsproduktion liegen in den Tropen und Subtropen. Deshalb sollte sich die Ökolandbau-Forschung in diesem Klimagürtel ebenso intensiv engagieren, wie unter den gemäßigten Klimabedingungen.

  • Den Aspekten Ernährungssicherung, Ertragssteigerung und nachhaltiger Intensivierung sollte im Verhältnis zu anderen Forschungsfragen mehr Gewicht beigemessen werden, als bisher. Dabei dürfen Klimaschutz und der Erhalt der Biodiversität nicht aus dem Auge verloren werden.

Für eine konsequente Öko-Intensivierung halte ich drei Bereiche für besonders wichtig. Zum einen die Steigerung der Bodenfruchtbarkeit durch systematischen Humusaufbau und Erhöhung der biologischen Aktivität im Boden. So können Nährstoffkreisläufe weiter gestärkt und Nährstoffverfügbarkeit erhöht werden.

 

Zweitens müssen moderne Landsorten gezüchtet werden, die nicht nur ein höheres Ertragspotential besitzen, sondern auch an Umweltveränderungen, wie zunehmende Trockenheit oder Hitzeperioden, besser angepasst sind. Die evolutionäre Pflanzenzüchtung gemeinsam mit Bäuerinnen und Bauern hat sich dabei als sehr erfolgreich erwiesen.

 

Drittens müssen wesentlich stärker als bisher Methoden des Boden- und Wasserschutzes entwickelt werden, damit zunehmender Bodenerosion Einhalt geboten und die zunehmend knapper werdende Ressource Wasser effizienter genutzt werden kann.

 

Ein Umbau der Landwirtschaft hin zu ökologischer Intensivierung ist überfällig. Der Ökolandbau ist vielleicht am ehesten berufen, diesen herbeizuführen. Aber er muss sich grundlegend erneuern, um diese große Aufgabe zu meistern.

 

Autor: Dr. Johannes Kotschi, Agrecol, arbeitet in der Entwicklungszusammenarbeit und war u.a. am TAB Projekt Forschung zur Welternährung für den Deutschen Bundestag beteiligt.

kotschi(at)agrecol.de

Quellen

  • J. KOTSCHI (2009): Die Rolle des Ökolandbaus für die Welternährung. GAIA 18/3 (2009): 200-204.

  • J. KOTSCHI (2010): Beitrag der Ökologischen Landwirtschaft zur Welternährung. Gutachten an den Deutschen Bundestag. Vorgelegt dem Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). AGRECOL. Januar 2010.