Essay

Gärtnern als Politik

Community Gardening – Urban Agriculture – Interkulturelle Gärten in den Städten

von Elisabeth Meyer-Renschhausen

 

„Dieses Jahr fahre ich auf die Urban Agriculture Tagung an der Westküste“, erzählte mir errötend vor Stolz die 18jährige Puertoricanerin Estrella vor ein paar Jahren. Sie war gerade Managerin des Gemüsemarkts in ihrem armen Viertel im östlichen Brooklyn, einem Stadtteil von New York, geworden. Im nächsten Jahr las ich ihren Bericht über den Kongress in der Zeitschrift des lokalen Nachbarschaftszentrums. Das Staunen und die Begeisterung, mit ihrem Gemüse-Markt samt dazugehörigem „organic“1 Jugend-Gemüsegarten zu einer weltweiten Bewegung zur Rettung der einen Erde zu gehören, sprach aus jedem Satz. Wahrscheinlich war es für das Kind armer Migranten die erste weite Reise ohne schützende Familie.

Sehnsucht nach Natur und frischem Gemüse

„Urban Agriculture“, städtische Landwirtschaft – der Begriff für das gemeinschaftliche Gärtnern in nordamerikanischen Städten wurde mit Gründung des Urban Agricultural Networks 1992 vom Entwicklungsexperten Jac Smit eingeführt. Im Jahr zuvor war eine Studie zu Nairobi als einer „Stadt der Bauern“ veröffentlicht worden2. In den USA ist jedoch der Terminus „Community Gardening“, übersetzt: „Gemeinschaftsgärtnerei“, gebräuchlicher. Aber schon die Gründer der allerersten dieser Nachbarschaftsgärten nannten ihre Aktivitäten gerne halb scherzhaft „Community Farm“. Die entsprechende Homepage aus Kanada heißt http://www.cityfarmer..

 

Das Wort „Farm“ oder „urban agriculture“ macht deutlich, dass es nicht um Ziergärten oder Parks geht. Der Begriff zeigt vielmehr an, dass sich die Grenzen zwischen Stadt und Land verwischen, trotz oder vielleicht auch infolge der globalen Verstädterung. „Urban Agriculture“ meint den Gemüseanbau zum Selbstverzehr oder, wie im Falle der Jugendgartengruppe von Estrella zum örtlichen Verkauf. „Urban agriculture“, das ist entweder wilder oder erlaubter Gemüseanbau auf innerstädtischen Brachen. Um das rare Land in den Städten gegen lauernde Spekulanten verteidigen zu können, geschieht dieser neue Gemüseanbau fast immer gemeinschaftlich. Wo das nicht der Fall ist, wie in den weiten, wilden Städten Afrikas, haben die städtischen „Kleinstbauern“ mit oft erheblichen Umweltproblemen sowie mit Diebstahl zu kämpfen.

Selbstversorgung – ein wichtiger Aspekt

Verwendet man „Urban Agriculture“ gegenüber studierten Landwirten, stößt man eher auf Unwillen. Aus Sicht der „Zunft“ ist der Begriff Landwirtschaft der professionellen Erwerbslandwirtschaft vorbehalten. Selbstversorgung ist für die meisten der heutigen Landwirte nahezu das Gegenteil von ernsthafter Landwirtschaft. Nebenerwerbsbauern, die in Polen zudem von einer Rente zehren, zählt die Administration der EU nicht als Bauern. „Wir sind ja nur noch Hobbybauern“ meinen auch Kleinbauern im ländlichen Ostdeutschland bescheiden, daran erinnernd, dass ihnen zu DDR-Zeiten die Erzeugnisse ihrer „individuellen Hauswirtschaften“ vom Staat garantiert und zu guten Preisen abgekauft worden waren.

 

Der zweite neue Begriff, „Urban Gardening“, städtisches Gärtnern, wie in Berlin eine neue Professur bzw. der neue Sammelband von Christa Müller heißt, ist etwas weniger provokativ oder trennscharf und schließt die Ziergärtnerei mit ein. Deshalb bevorzugen die Hardliner der neuen Subsistenz-Bewegung für innerstädtisches Gemüseziehen den Begriff „urban agriculture“, „städtische Landwirtschaft“. Jac Smit war es wichtig, vor Augen zu haben, dass sich die Landwirtschaft in die Städte verlegt, wenn die Leute von ihren Höfen vertrieben werden, wie es in zahlreichen Ländern Afrikas und Asiens der Fall ist. Urbanisierung bedeutet ja alles andere als garantierte Anstellungen für ehemalige Kleinbauern. Angesichts immenser Armut auch in den Innenstädten der USA wollen Jac Smit bzw. seine Nachfolger auch im reichen Norden der Notwendigkeit eines städtischen Gemüseanbaus zur Anerkennung verhelfen.

Flirt mit der Erde und Stadtbelebung

Und tatsächlich entsteht eine ganz neue Orientierung, die viele hierzulande wohl erst bemerkt haben, als 2009 die First Lady der USA, Michelle Obama, auf allen Frontseiten der Zeitungen prangte, weil sie im Garten des Weißen Hauses mit Schulkindern Gemüse anbaute. Das betreibt sie weiterhin und erklärt im Internet in ihren Kurz-Filmen, dass eine sinnvolle Ernährungs-Erziehung via Gemüseanbau in Schulgärten laufen kann. Im gleichen Jahr befasste sich in den USA eine ganze Nummer der Stadtplanerzeitschrift Planning mit dem „nächsten großen Trend“, nämlich einem „Flirt mit dem Erdreich“ („flirt with the dirt“). Einige Städte wie Milwaukee am Michigan-See haben damit begonnen, „urban agriculture“ in ihre Flächennutzungspläne aufzunehmen.

 

Die hiesigen neuen interkulturellen, Nachbarschafts-, Selbsternte- oder temporären, nomadischen Gärten sind indirekt oder direkt inspiriert durch die Community Gardens aus den USA. Selbst wenn die „Internationalen Gärten“ in Göttingen, die als erste hierzulande Mitte der 1990er Jahre entstanden, das damals gar nicht recht wussten.

 

Community Gardens werden seit bald 40 Jahren in den Innenstädten von San Francisco, Los Angeles, Detroit, Boston, Philadelphia oder New York betrieben. Dort waren durch Vernachlässigung hässliche Brachen entstanden, die Städte verslumten in ihrem Inneren. In den 1970er Jahren begannen viele Leute dann, die vermüllten, leeren Grundstücke ohne viel zu fragen, zu begärtnern. Oft wurden diese ersten „Guerilla Gärtner“ von den Kommunalpolitikern direkt unterstützt, denen diese Idee der Selbsthilfe einleuchtete. Dabei entstand auf Grund der besonderen Bewohnerschaft der Viertel eine Allianz zwischen Studierten und Migranten, zwischen Künstlern und ungelernten Arbeitern, zwischen Weißen und Farbigen. Und so brachten die Gärten Frieden in die Viertel und die Kriminalität ging zurück. Vor etwa 35 Jahren trauten nur Studenten oder Arbeitsmigranten aus der Karibik sich, im verwahrlosten südlichen Manhattan einzumieten. Sie hoben hier die ersten „community gardens“ aus der Taufe. Heute sind diese Gemeinschaftsgärten in der s„Lower East Side“ wunderschöne Minipark-Oasen mit integriertem Kräuter- und Gemüseanbau. Letzteres meistens in Kastenbeeten, da man Wandfarbengifte u. ä. im Boden vermutet. Je nach Lage und Gartengröße kümmern sich Gruppen von zwischen zehn bis zu 30 oder mehr Menschen um die einzelnen Gemeinschaftsgärten. Im drückend heißen New Yorker Sommer spenden ihre Bäume den Fußgängern willkommenen Schatten. Und die Community Gardens stehen an den heißen Sommertagen meistens allen, auch Touristen offen, wenn sie ihr Picknick im kühlenden Gefächel alter Weiden verzehren möchten.

Gärtnern gegen die Armut

In den 1990er Jahren kam es zu einer zweiten Welle von Gemeinschaftsgartengründungen. Jetzt entstanden die meisten Gärten direkt in den Armenvierteln großer Städte, wo Farbige und Zuwanderer fast unter sich wohnen. Zunehmend weniger ging es um Grün gegen den Verfall, sondern immer direkter um Selbsthilfe in harten Zeiten, wo Ghettobewohnern von ihren schlechten Löhnen nach Zahlung der Miete kaum etwas zum Leben bleibt. Der erstaunliche Effekt ist die Integrationswirkung dieser neuen Art städtischer Landwirtschaft. Nehmen wir unseren Freund Abu in der öden nördlichen Bronx, wo sich Mietskaserne an Mietskaserne reiht. Er kommt aus den Südstaaten, war bei den „Black Panters“, wozu auch gehörte, Moslem zu werden und war nicht bereit, mit Weißen freundliche Worte zu wechseln. Später lange erwerbslos, hing er an der Flasche und wusste nicht, wie er seine Zähne repariert bekommen sollte. Heute geht es ihm dank seiner Mitarbeit im örtlichen Community Garden wieder blendend. Die Arbeit im Grünen, das Anleiten der Kinder, der Kontakt mit den anderen Gärtnern, und vor allem das mentale „aus dem Ghetto herauskommen“ über diese Kontakte hat ihn wieder auf Vordermann gebracht. Nun freut er sich über die Diskussionen mit den manchmal nervigen Aktivisten der „Green Guerillas“ oder von „Just Food“, die ihn und andere dazu überreden wollen, für die nächste Suppenküche eine dritte Ernte zu erzielen. Abu freut sich über jeden Besuch aus Übersee und genießt seine Rolle als Original der Community Gardening Bewegung.

 

Angesichts der notorischen Fehl-, Mangel und Unterernährung unter den nordamerikanischen Armen geht es den Aktivisten darum, Gemüse als aktiven Protest gehen eine diktatorische Ernährungsmittelindustrie anzubauen. Eine Konferenz der US-Bürgermeister sah 2001 das zu rasche Steigen der Mieten als Hauptursache für den wachsenden Hunger. Die Grass Root Initiatives wie die Green Guerillas, Just Food, Gardening Angels oder „Green Corps“ helfen den Menschen mittels Selbsthilfe in Gemeinschaftsgärten aus Lethargie und Not herauszukommen. In den USA, wo die Zeitungskultur verschwindet, entstand in den letzten Jahren dergestalt eine rasant wachsende zivilgesellschaftliche Bewegung mit zunehmendem Umweltbewusstsein, welches die Menschen nun sozusagen doppelt motiviert, Gemüsegärten anzulegen. Gärtnern und Kochen als politische Opposition!

Neues Gärtnern im alten Europa

Im alten Europa waren die Kleingärten, die Witwen-, Kriegs-, Erwerbslosen- und Inflationsnöte hervorgebracht hatten, im Gegensatz zu den USA nie ganz aufgegeben worden. Städtische Gartenkolonien waren als gesunde, friedliche Betätigungsform des „kleinen Mannes“ geblieben. Lediglich die Hühner, Ziegen, Kaninchen und Milchschafe, die in Notzeiten die Gärten der „Siedlungsstellen“, die Hinterhöfe und Balkons bevölkert hatten, waren nach und nach verschwunden. So entstanden in den 1970er Jahren vor allem Kinderbauernhöfe, bevor der gemeinsame Gemüseanbau wieder auf der Agenda erschien. Erst in den 1990er Jahren schwappte die neue Grünbewegung aus Nordamerika und Afrika nach Europa. In Göttingen, Leipzig und Berlin begannen Flüchtlinge, Asylsuchende und Migranten zusammen mit Einheimischen nach Flächen für gemeinschaftliche Gärten zu suchen. 1996 entstanden als erste die „Internationalen Gärten Göttingen“, heute auf drei Standorten stetig aktiv und mehrfach ausgezeichnet. Der Erfolg beruht auf diversen Förderungen, die es den Göttinger Gärten ermöglichte, die Koordinatoren zwischen Zeiten des puren Ehrenamts immer wieder auch zu honorieren. 2003 entstand aus der heutigen Stiftungsgemeinschaft „Anstiftung-Ertomis“ heraus die eigens zur Förderung dieser neuen Gartenbewegung gegründete „Stiftung Interkultur“ mit Sitz in München. Seither hat die Stiftung Interkultur in der Bundesrepublik Deutschland über 120 interkulturelle Gärten mit Rat, Vernetzung und einer kleinen Anschubförderung für Gartengeräte, Erde und Zäune mit auf den Weg gebracht. Zu den jährlichen „Netzwerk-Treffen“, zu denen jeder Gemeinschaftsgarten einen Delegierten entsenden darf, kamen auch Gemeinschaftsgärtner aus England oder Bosnien.

 

In Sarajewo z. B. haben amerikanische Quäker über fünf Jahre lang das Einrichten von Selbsthilfe-Gärten gefördert. In Paris fördert die Stadtverwaltung seit 2001 Gemeinschaftsgärten nach New Yorker Vorbild. Hier existieren schon weit über 20 solcher neuer „jardins partagés“, „geteilte Gärten“. Wie in Nordamerika verpflichten sich die Gärtner, ihren Garten zu festen Zeiten an zwei Tagen pro Woche auch für die Nachbarschaft offen zu halten. Die Stadt London plant, bis zur Olympiade in jedem Stadtteil mehrere Gemeinschaftsgärten einzurichten. Allerdings soll alles auf ehrenamtlichem Engagement beruhen, eine eher dreiste Idee angesichts der „Verwertungs-Ideologie“ in den Verwaltungen im Zeitalter neoliberaler Politik, zumal gerade Gartengruppen mit Spekulanten zu kämpfen haben. In London existieren bereits zahlreiche Gemeinschafts-Gärten, wie z. B. „Roots und Shoots“ („Wurzeln und Sprösslinge“), der Jugendlichen eine umfassende Umwelt-Weiterbildung anbietet. Es geht um biologischen Gemüseanbau, um Dachbegrünung, kluges Wassermanagement und Ähnliches. Und den Teenagern wird ermöglich, einen Teil ihrer Setzlinge vor Ort zu verkaufen. Ein Teil des Gartens ist eine verwunschene Wildnis mit mannshohen Salbei- und Rosmarinsträuchern für die Kinder des Quartiers. Kindergartengruppen und Schulklassen kommen her, um im Teich Kaulquappen zu beobachten oder über die Vermehrung von Obstbäumen nachzudenken.

Zum Weiterlesen:

  • Cities Farming for the Future – Urban Agriculture for Green and Productive Cities, ed. by René van Veenhuizen, Ottawa etc.: Ruaf Foundation and others 2006

  • Elisabeth Meyer-Renschhausen, Unter dem Müll der Acker – Community Gardens in New York City, Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag 2004

  • Elisabeth Meyer-Renschhausen und Anne Holl, Hrsg., Die Wiederkehr der Gärten – Kleinlandwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung, Innsbruck: Studien Verlag 2000

  • Elisabeth Meyer-Renschhausen, Renate Müller und Petra Becker, Hrsg., Die Gärten der Frauen – Zur sozialen Bedeutung von Kleinlandwirtschaft und Stadt und weltweit, Herbolzheim: Centaurus 2002

  • Christa Müller, Hrsg., Urban Gardening – Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt, München: oekom 2011

  • Christa Müller, Wurzeln schlagen in der Fremde – Die Internationalen Gärten und ihre Bedeutung für Integrationsprozesse, München: Ökonom Verlag 2002

  • Marit Rosol, Gemeinschaftsgärten in Berlin, Berlin: Mensch-und-Buch-Verlag 2006

  • Jac Smit, Annu Ratta and Joe Nasr, Eds., Urban Agriculture, Food, Jobs and Sustainable Cities, Washington: UNESCO-Publikation 1996

  • Ursula Taborsky, Naturzugang als Teil des Guten Lebens, Zürich/Frankfurt etc.: Fritz Lang Verlag 2009

Gemeinsam die Beziehung zum Lebendigen entdecken

In Berlin wurden für die Eisenbahnbrache „Gleisdreieck“ in der Nähe des Potsdamer Platzes seit 1998 „Gärten der Kulturen der Welt“ gefordert. Doch waren 2003 in Neukölln griechische Frauen schneller (Previoli-Garten) Bald darauf gründeten in Köpenick Umweltschützer, Kirchenleute mit der Indischen Solidaritätsaktion den ersten interkulturellen Garten, den „Wuhle-Garten“. Auf dem Gleisdreieck durften die Bürger erst 2004 loslegen. In den zusammen mit dem „Ökowerk“ am Teufelssee anlegten Demonstrationsbeeten wird hier daran erinnert, dass nahezu alle unsere Ernährungspflanzen „Migranten“ sind. Heute gibt es in Berlin über 20 Interkulturelle Gärten, etwa zehn weitere sind in Planung.

 

Für ältere Bürgerinitiativen ist es wichtiger, dass ihre halb vergessenen Kinderbauernhöfe und ökologischen Gemeinschaftsgärten, die in der Hausbesetzerzeit vor 30 Jahren entstanden, neu entdeckt werden und neue Freiwillige oder eine finanzierte Betreuerstelle erhalten. In den Massenquartieren Ostberlins bemühen sich die Wohnungsbaugesellschaften, Mietergärten zu fördern, um das Wohnen in den Häusern attraktiver zu machen. Bürgerinitiativen zur Erhaltung von Gärten und der freien Landschaft arbeiten hier mit mehr oder weniger Erfolg mit Kräften des Dritten Arbeitsmarktes. Aufgrund der engen Vorgaben der Arbeitsämter bzw. Jobagenturen, trifft das Glück derartiger Stellen nicht immer die Richtigen.

 

Seit kurzem entstehen Gartenprojekte, die einerseits auf unentgeltlicher Arbeit beruhen, andererseits auch „ihren Mann“ „ernähren“. So etwa die nomadischen „Prinzessinnengärten“, mitten in Berlin-Kreuzberg. Hier gärtnern die beiden Gründer in transportablen Bäckerkisten auf einem Grundstück, dessen Erde verseucht ist und das bald bebaut werden soll. Da sie am Rande des zentral gelegenen „Kreuzberg SO 36“ liegen und fast auf einem der Hauptfahrradwege, wurden sie anfangs von freiwilligen Helfern nahezu überrannt. Unter anderem ein Kinder-Umwelt-Bildungsprojekt, sowie das direkte Zubereiten und Verkaufen der Ernte sowie eine geschickte Öffentlichkeitsarbeit finanzieren das Projekt. Ähnlich wie die neuen Selbsterntegärten nach einem Modell der Uni Kassel-Witzenhausen. Zwei Agraringenieure bieten auf zwei verschiedenen Standorten in den Außenbezirken Berlins jeweils etwa 80 Interessierten an, gegen einen bestimmten Jahresbeitrag ein Beet gepflügt, eingesät bzw. mit unterschiedlichen Gemüse-Setzlingen besetzt pachten zu können. Eine ähnliche Vielfalt an großen und erfolgreichen interkulturellen und anderen Gemeinschaftsgärten finden wir heute in zahlreichen Städten wie in Hannover, München, Leipzig, Dresden, Dessau oder Oberhausen. Eigentlich fehlt nur noch, was die Stadt Milwaukee gerade beschlossen hat: ein großes Urban-Agriculture-Projekt zusammen mit und für interessierte Erwerbslose zu finanzieren.

Gärtnern als Politik?

Meist handelt sich übrigens um Menschen, die bisher kaum „öko“ gekauft haben. Wichtiger scheint mir, dass die neuen „Stadtbauern“ einen Bewusstseinswandel schaffen: ein Bewusstsein von Bodenfruchtbarkeit und den Vorzügen giftloser Landwirtschaft, von Bewässerungsfragen und Nachhaltigkeit. Kurzum ein anderes Weltverständnis, das endlich die gesellschaftliche Bedeutung einer behutsamen Landwirtschaft anerkennt. Ein neues Bewusstsein, dessen wichtigste Basis die sinnliche Erfahrung des selbst im Garten „Wurschtelns“ sowie der Erfolg des gemeinsamen Handelns ist. So entstehen Ansätze für einen Postwachstums-Lebenstil, ähnlich wie die europäische „Transition Town-Bewegung“ eine nachhaltige Lebensweise anstrebt.

 

Im globalen Süden bedeutet Ernährungssouveränität, sich das Recht auf Sattessen via Eigenanbau zu erhalten, da für den Lebensmittelkauf das Geld fehlt. In Nordamerika ist es unter jungen Gartenaktivisten selbstverständlich: Gärtnern ist aktiver Protest gegen die Diktatur der Ernährungsmultis. Bei uns bedeutet städtische Landwirtschaft, sich das Recht auf Lebensmittel eigener Wahl zu erhalten. Da der gemeinsame Gemüseanbau im Zeitalter von Lebensmittelindustrie, WTO und städtischer Spekulation mit ständigen Kämpfen um die Flächen verbunden ist, schweißt er zusammen. So ist das Kultivieren städtischen Gemüses stets auch eine Art politisches Handeln, quer zu allen politischen Parteien. „Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten“, soll Rabindranath Tagore gesagt haben.

 

Fußnoten:

  • 1 „organic“ oder „ecologic“ sind im Englischen die Worte für den biologischen Gemüseanbau, der in all diesen Gärten selbstverständlich ist, wenn in den Städten auch meistens nicht zertifiziert.

  • 2 Donald B. Freeman, A City of Farms – Informal Urban Agriculture in Open Spaces of Nairobi, Kenya, Quebec: McGill-Queen´s University Press 1991