Feld & Stall

Ebermast kurz gefasst

  • weniger Futterverbrauch

  • höhere Tageszunahmen

  • bessere Futterverwertung

  • mehr Fleisch und weniger Fett

  • höhere Ansprüche an die Fütterung

  • schlechtere Ausschlachtung

Ebermast kann lohnen

Der Demeter-Betrieb Heinrich Dümler macht es vor

von Sebastian Fuchs

 

„Bei der chirurgischen Kastration von Ferkeln sind zumindest Schmerzmittel anzuwenden, soweit eine Narkose nicht möglich ist“, so will es die „Demeter-Richtlinie Erzeugung IV.2: Viehwirtschaft 4.2 Haltung von Schweinen“. In der EU werden jährlich etwa 100 Mio. männliche Ferkel ohne Schmerzausschaltung chirurgisch kastriert. Über die Schmerzhaftigkeit kann, wenn auch erst 2003 wissenschaftlich nachgewiesen, für jeden, der die Prozedur einmal miterlebt hat, kein Zweifel bestehen. Alternativen wie die Kastration unter Injektionsnarkose, Inhalationsnarkose, Lokalanästhesie und lokale Vereisung sind entweder kostenintensiv und aus diesem Grund gerade für mittlere und kleine Betriebe uninteressant oder verursachen vergleichbare Schmerzen wie die Kastration selbst. Gängige Praxis auf Biobetrieben bleibt die postoperative Schmerzbehandlung mit Metacam und ein schaler Beigeschmack bei den meisten Landwirten.

Es geht auch ohne

Für Heinrich Dümler, Demeter-Landwirt aus Wörth am Rhein, stellt sich die Frage nach einer verträglichen Form der Kastration gar nicht erst. „Der unversehrte Hoden des Ebers gehört für mich genauso zum intakten Hoforganismus wie das Horn an die Kuh. Wesensgemäße Haltung endet nicht bei Stallgestaltung und Fütterung, sondern wird essenziell durch den Habitus, nennen wir es ruhig Stolz des Tieres, beeinflusst.“

 

Der Grund für eine Kastration liegt im Stoffwechsel und Hormonhaushalt der männlichen Schweine. Androstenon, ein Steroid, das im Hoden gebildet wird, und Skatol bzw. Indol, mikrobielle Abbauprodukte von Tryptophan im Eberdarm, die sich im Fettgewebe anreichern, verursachen einen urin- und schweißartigen Geruch, der sich vor allem beim Erhitzen des Fleisches entwickelt. Die Intensität des sogenannten Ebergeruchs wird von Verbrauchern je nach Alter, Geschlecht und Veranlagung sehr unterschiedlich wahrgenommen. Etwa 30 % der Bevölkerung können Androstenon ähnlich wie Moschus gar nicht riechen, ältere Menschen und Frauen nehmen ihn in der Regel intensiver wahr.

Stinker vermeiden

Auch die Entstehung von „Stinkern“ ist von vielen Faktoren abhängig. Die einzelnen Rassen unterscheiden sich sehr stark in der Ausbildung von Geruchsebern, bei Landrassen sind es deutlich weniger. Fütterung und Haltung haben maßgeblichen Einfluss, genügend Freilauf und vor allem eine räumlich ausreichende Trennung der Eber von den weiblichen Tieren beeinflussen die Fleischqualität positiv. Eine gleichgeschlechtliche Haltung reguliert sowohl den Hormonhaushalt und damit das Ansteigen von Androstenon als auch mögliches aggressives Verhalten der heranwachsenden Eber. Mit den größten Einfluss hat die Fütterung: je ärmer an Tryptophan, desto weniger Skatol und Indol im Schweinefett, so lautet die vermeintlich einfache Formel. Aminosäuren sind jedoch von jeher die Archillesferse in der ökologischen Schweinemast, das Reduzieren von Tryptophan macht eine ausreichende Proteinversorgung nicht einfacher, weshalb die Ebermast fütterungstechnisch als um einiges anspruchsvoller gilt als die Mast von Kastraten.

 

Weitere Stellschrauben sind Schlachtgewicht und Schlachtzeitpunkt. Schlachtet man Eber vor der Geschlechtsreife, minimiert dies das Risiko. Doch die sehr unterschiedlichen Literaturergebnisse schließen nicht aus, dass ein Eber mit unter 80 kg Schlachtgewicht bereits geschlechtsreif ist. Auffällig ist, dass von Februar bis April der Androstenonspiegel saisonbedingt ansteigt, weshalb dieser Zeitraum als Mastziel gemieden werden sollte.

Bessere Zunahmen, aber Geruchsrisiko

Die gleiche Erfahrung macht auch Heinrich Dümler mit jedem neuen Mastdurchgang. „Dreh- und Angelpunkt für eine Minimierung der Stinker sind Haltung, Fütterung und Rasse.“ Die Deckeber sind in erster Linie Schwäbisch Hällische, aber auch mit Duroc hat er gute Erfahrungen gemacht. Die männlichen Tiere weiden in großer Entfernung zu den weiblichen. Die Weidehaltung wird ergänzt durch ausschließlich hofeigenes Futter in Form von Erbsen, Kleegras und Raufutter. Positive Nebeneffekte: der Wurmbefall geht gegen null, was der Landwirt auf die wesensgerechte Fütterung zurückführt, die Tiere verfetten deutlich geringer. Er ist der Überzeugung, dass sich die hormonelle Unversehrtheit seiner Eber maßgeblich auf die Tiergesundheit und die Vitalität auswirkt.

 

Die Fütterung von Ebern ist zwar anspruchsvoller, sie wird aber belohnt. Ihre Tageszunahmen sind signifikant höher als die von Kastraten, sie benötigen pro kg Zuwachs bis zu 0,4 kg weniger Futter und haben bei mittlerem Schlachtgewicht 6 % mehr Muskelfleisch und 8 % weniger Fett. Verringerte Ferkelverluste, da Verluste durch postoperative Komplikationen ausbleiben, die gesparten Kosten für Betäubung und Schmerzmittel, geringerer Futterverbrauch und ein erhöhter Magerfleischanteil summieren sich so schnell zu einem betriebswirtschaftlichen Vorteil von 30 %. Der Wermutstropfen: je mehr Stinker pro Mastdurchgang, desto geringer der wirtschaftliche Mehrwert.

 

Betriebswirtschaftliche Überlegungen, die allein auf Effizienz und Mastdauer ausgelegt sind, spielen für Heinrich Dümler keine Rolle. Er würde die Fütterung auch nicht als anspruchsvoller bezeichnen, sondern als langfristiger. Seine Eber erreichen erst nach 12 bis 15 Monaten ihr Schlachtgewicht, als Ergebnis der proteinärmeren Fütterung. Diese ist deutlich günstiger und unabhängig vom Getreidepreis, trotz längerer Mastdauer kommt unterm Strich das Gleiche heraus.

Vermarktung und Kommunikation entscheidend

Trotz zahlreicher positiver Studien zur Fleischqualität und einer hohen Kaufbereitschaft von Seiten der Verbraucher – der Handel reagiert nach wie vor allergisch auf das Thema Ebermast. Grundsätzlich ist das Inverkehrbringen von Ebern bis zu einem Schlachtgewicht von 80 kg ohne Auflagen möglich, danach ist der Schlachtkörper durch eine amtlich anerkannte analytische Methode als tauglich zu bewerten, wobei die anerkannte Methode nicht näher definiert ist. In der Praxis durchgesetzt hat es sich, nach der Schlachtung mit Teilstücken aus dem Hals eine Koch- und Bratprobe durchzuführen und diese anschließend von einem, am besten mehreren, geruchssensitiven Mitarbeiter(n) testen zu lassen.

 

Die konventionellen Absatzwege bleiben auch bei Heinrich Dümler den weiblichen Tieren vorbehalten. Seine Eber schlachtet, verarbeitet und verkauft er ausschließlich in Eigenregie. Seine Kunden sind von Qualität und Geschmack begeistert. Stinker sind die Ausnahme und sollte doch einmal einer dabei sein, wird er durch die routinemäßige Brat- und Geruchsprobe nach der Schlachtung identifiziert und zu Rohware wie Schinken und Salami verarbeitet. In jedem Fall ist die Kommunikation mit den Kunden entscheidend, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden und über ein Verständnis der Zusammenhänge zur Akzeptanz zu gelangen.

Alternativ: Rohwurst

Ist ein Geruchseber identifiziert, bleibt nur die Verarbeitung des kompletten Tiers zu Rohwurstwaren. Diese werden weder bei der Herstellung noch bei der Zubereitung erhitzt, was die Geruchsbildung stark unterdrückt. Zusätzlich helfen bestimmte Verfahren, den Ebergeruch zu minimieren. Die Verarbeitung zu Kochschinken reduziert die Androstenonkonzentration um bis zu 60 %, Räuchern mindert den Skatolgehalt um bis zu 64 %.

 

Eine Blindverkostung von Rohwurstwaren aus der Ebermast mit einem Anteil von geruchsbelastetem Eberfleisch in Höhe von 10 %, die im Auftrag des FIbL durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, dass über 70 % der Befragten den Eberfleischerzeugnissen einen sehr guten bis zufriedenstellenden Geschmack bescheinigten. Immerhin 48 % bezeichneten den Geschmack als sehr gut bis gut, 47 % würden die Produkte kaufen und 35 % stuften sie als Premiumqualität ein.

 

Um den Geschmack seiner Produkte macht sich Heinrich Dümler keine Sorgen, den bekommt er von seinen Kunden ständig positiv bestätigt. Ein wenig Kummer bereitet ihm vielmehr, dass er immer noch als Spinner gilt, angesichts der Hartnäckigkeit, mit der er sein Ziel der wesensgemäßen Tierhaltung verfolgt. Das Gefühl, für quergedachte Landwirtschaft als Exot dazustehen, dürfte den meisten Demeter-Landwirten der etwas älteren Generation durchaus bekannt vorkommen. Auch ihnen hat die Zeit recht gegeben.

Verwendete und weiterführende Literatur:

  • Verwendete und weiterführende Literatur:

  • Ÿ Marktforschungs- und Durchführbarkeitsstudie für Fleisch und Fleischprodukte, aus Bio-Ebermast, FiBL, 2009, orgprints.org/17991/

  • Ÿ Ebermast oder Schmerzlinderung, Landwirtschaftskammer NRW, Dr. Friedhelm Adam, www.lfl.bayern.de/publikationen/daten/schriftenreihe/p_37263.pdf

  • Ÿ Zwischenbericht 2007 über das kagfreiland-Projekt „Eber statt Kastraten“, www.kagfreiland.ch

  • Ÿ Demeter Betrieb aus der Schweiz mit erfolgreicher Eberfleisch-Direktvermarktung, http://www.silberdistel-kost.

Sebastian Fuchs

kümmert sich als Trainee beim Demeter e.V. um den Bereich Fleischvermarktung.

 

Heinrich Dümler

bewirtschaftet einen Demeter-Betrieb in 76744 Wörth