Feld & Stall

Viel Technik – wenig Tier (-wohl)?

Melkroboter auf dem Demeter-Betrieb

von Franziska Bühlen und Dr. Silvia Ivemeyer

 

Melkroboter sind auf dem Vormarsch – in der konventionellen Milchviehhaltung gehen bereits fast 50% der Investitionen in Melktechnik auf das Konto von Automatischen Melksystemen (AMS). Für den Bio-Bereich gibt es hierzu keine belastbaren Zahlen, aber in der Beratungspraxis werden wir immer öfter mit der Einführung von AMS auf Demeter-Betrieben konfrontiert – und auch mit der Skepsis anderer Demeter-Bauern gegenüber dieser Entwicklung: Wie wirkt sich ein AMS auf die Tiergesundheit, insbesondere die Eutergesundheit aus? Wie kann der für die wesensgemäße Rinderhaltung bedeutsame Weidegang mit dem AMS vereinbart werden? Und wie passt das AMS, in das die Kühe mit Kraftfutter gelockt werden müssen, zum viel diskutierten Ziel der Kraftfutterreduktion in der Wiederkäuerfütterung?

Fragestellungen auf dem Einzelbetrieb

Für Norbert Schnell, Demeter-Bauer aus Amtzell bei Wangen im Allgäu, waren diese Fragen Teil seiner Vorüberlegungen zur Umstellung auf einen Melkroboter. Seit langem war klar, dass der alte Anbindestall für die 40 Kühe umgebaut werden musste. Nicht nur die EU-Öko-Verordnung, sondern auch die aus Sicht des Betriebsleiters fehlende Tiergerechtheit der Anbindehaltung und die Arbeitswirtschaft waren hierfür entscheidend. Inspiriert von einem Kollegen aus der Demeter-Arbeitsgemeinschaft, der ein AMS in den Umbau des Altstalles integrieren konnte und mit dem System sehr zufrieden ist, begann Norbert Schnell das Für und Wider eines AMS abzuwägen. Ein wichtiger Punkt für ihn war die Arbeitsentlastung: Als junger Landwirt hat er noch einige Arbeitsjahre vor sich. Da seine Frau als Lehrerin außerhalb des Betriebes arbeitet, wäre langfristig alternativ die Einstellung einer zusätzlichen Vollzeitkraft notwendig geworden. Hinzu kamen bauliche Aspekte. Bedingt durch die auf drei Seiten beengte Lage des Altgebäudes und die Geländebeschaffenheit musste Platz gespart werden. Aber vor allem die Frage der Vereinbarkeit des AMS mit der bisher intensiv genutzten Weide war für Norbert Schnell eine Grundsatzentscheidung. Bisher konnte Tag und Nacht geweidet werden. Da einige Weideflächen jedoch auf der anderen Seite einer kleinen Straße liegen, stellte sich die Frage, wie der Weidegang mit dem AMS umgesetzt werden könnte.

Befragung von Bio-Betrieben mit AMS

Mit diesen Fragen muss sich jeder Betrieb bei den Vorüberlegungen zum Umstieg auf automatisches Melken auseinandersetzen: Vor allem hinsichtlich der Vereinbarkeit eines AMS mit Weidegang besteht die Gefahr eines Zielkonflikts. Um Fragen bezüglich der Tiergesundheit und der Weidenutzung von Herden mit AMS zu klären, wurde im Sommer 2013 eine Diplomarbeit an der Universität Kassel/Witzenhausen verfasst. Neben einer Literaturrecherche zu den Auswirkungen des AMS auf die Tiergesundheit wurden 42 Bio-Betriebe mit AMS überwiegend in Deutschland, einzelne auch in Nachbarländern wie den Niederlanden, zur Weidenutzung befragt.

Vereinbarkeit von Melkroboter und Weidenutzung

Es stellt sich hinsichtlich der Weidenutzung vor allem die Frage, ob Betriebe nach der Umstellung auf ein AMS noch Weidegang betreiben und in welchem Umfang. Die Befragung der 42 Bio-Betriebe mit AMS ergab, dass fast ein Drittel (29%) der Betriebe, die vor der Einführung des AMS geweidet hatten, den Weidegang nach der Einführung eines AMS komplett einstellten. Dieser Effekt des AMS ist nicht im Sinne der ökologischen Milchviehhaltung. Auch die Weidefläche pro Kuh ging im Schnitt auf den befragten Betrieben mit AMS von 0,35 ha/Kuh auf 0,2 ha/Kuh zurück. Dadurch wird ein großer Teil der Futteraufnahme in den Stall verlagert. Da die Kühe in Ställen mit AMS möglichst ständig Zugang zum Melkroboter haben sollten, um ausreichend häufige und regelmäßige Melkungen zu erreichen, sowie Staus am AMS zu vermeiden, können je nach betrieblicher Situation manche Flächen nicht mehr als Weide genutzt werden, was auf einigen Betrieben den Rückgang der Gesamt-Weidefläche mit sich brachte. Außerdem führte die zum Teil erhebliche Aufstockung der Herden seit der AMS-Einführung auf den befragten Betrieben zum Rückgang der Weidefläche pro Kuh. Erfreulicherweise gab es hinsichtlich des zeitlichen Umfangs der Weidenutzung kaum Verschiebungen. Die meisten Herden hatten sowohl vor als auch nach der AMS-Einführung ganztägig oder nachts Zugang zur Weide.

Die Eutergesundheit – Betreuung und Management sind entscheidend

Die Auswertung wissenschaftlicher Untersuchungen zu den Auswirkungen automatischen Melkens auf die Eutergesundheit zeigte, dass dass es euterschonend erfolgt. Durch das viertelweise Abhängen der Melkbecher kann das Blindmelken einzelner Viertel ausgeschaltet werden. Außerdem kann die Melkfrequenz an Laktationsstadium und Milchleistung angepasst werden, was im Übrigen auch den natürlichen Abläufen bei einer säugenden Kuh besser entspricht als das strikte zweimalige Melken über die gesamte Laktation. Entscheidend für das Sicherstellen einer guten Eutergesundheit ist aber eine sehr gute Kontrolle der Daten des AMS (z. B. Leitfähigkeit und Milchmenge), um Infektionen frühzeitig zu erkennen und behandeln zu können. Da im Melkroboter keine visuelle Kontrolle der Sauberkeit der Euter vor dem Anhängen der Melkbecher erfolgen kann, muss in Roboterställen besonderer Wert auf die Boxenpflege gelegt werden. Diese und einige weitere Risikofaktoren können dazu führen, dass sich die Zellzahlen nach der Einführung des AMS im Vergleich zur Situation vorher eher verschlechtern. In diesem Zusammenhang ist es hinsichtlich Hygiene und Sauberkeit im Stall entscheidend, dass die Herde sehr gut betreut und das AMS sehr gut gewartet wird – auch das Management sollte insgesamt sehr gut sein.

Ohne Kraftfutter geht’s nicht

Insbesondere in AMS-Ställen mit freiem Kuhverkehr wird den Kühen sehr viel Bewegungs- und Wahlfreiheit eingeräumt. Die Kühe werden hier nicht gezwungen, den Roboter zu passieren, um vom Liege- zum Fressbereich zu gelangen. In der Praxis setzen laut der Umfrage Bio-Betriebe zum Großteil freien Kuhverkehr um (75 % der befragten Bio-Betriebe mit AMS). Damit die Kühe dennoch über den Tag verteilt zum Melken kommen und der Aufwand für das Nachtreiben von Kühen in einem überschaubaren Rahmen bleibt, muss im AMS eine Lockfütterung erfolgen. Die Ergebnisse der Befragung bestätigen dies – die Bio-Betriebe fütterten alle Kraftfutter im AMS. Die durchschnittliche Höhe der täglichen Kraftfuttergabe pro Kuh lag bei etwa 3 kg. Zudem zeigte sich, dass etwas mehr als die Hälfte der Betriebe mehr Kraftfutter fütterten als vor der Einführung des AMS. Je nach Rasse, Milchleistungsniveau, bisheriger Kraftfutterfütterung und Zielsetzung bzw. Einstellung des Landwirtes zum Kraftfuttereinsatz muss auf einzelbetrieblicher Ebene entschieden werden, ob die Notwendigkeit des Kraftfuttereinsatzes im AMS auf den Betrieb einen – womöglich entscheidenden – Nachteil darstellt.

Und die Hörner?

Für die Kühe bietet das AMS bezüglich des Tierwohls einige Vorteile, die gerade bei horntragenden Kühen zum Tragen kommen. So gibt es insbesondere für rangniedere Kühe keinen Stress im Wartebereich, beim Treiben in und aus dem Melkstand und anschließend am Fressgitter. Rangniedere Kühe können abwarten, bis der Zugang zum AMS für sie frei ist. Allerdings kann ein AMS auf einem Betrieb mit horntragenden Kühen wohl kaum bis an die Grenzen ausgelastet werden. Auch die Umsetzung von geregeltem Kuhverkehr birgt die Gefahr, dass es in den entstehenden Sackgassen zu Verletzungen kommt. Die Erfahrungen aus der Praxis von Betrieben mit AMS und horntragenden Kühen zeigen, dass die Herden insgesamt auffällig ruhig sind. Dies ist vermutlich der oben genannten Tatsache zuzuschreiben, dass rangniedere Kühe der Konfrontation mit ranghöheren Tieren aus dem Weg gehen können, indem sie das AMS und auch den Fressbereich dann aufsuchen, wenn für sie „die Bahn frei“ ist.

Die Vorteile für den Einzelbetrieb

Norbert Schnell hat sich trotz der zu erwartenden Erschwernisse und Einschränkungen im Bezug auf die Weidenutzung für das AMS entschieden. Wie viele der im Rahmen der Diplomarbeit befragten Betriebe hat er von der intensiven Portionsweide mit nahezu 100% Futteraufnahme auf der Weide vor der AMS-Einführung auf ein Standweidesystem umgestellt. Somit können die Kühe die Vorteile der Weide, wie das Ausleben der arttypischen Verhaltensweisen wie Grasen und Sozialverhalten, ungehindertes und bequemes Liegen und die positiven Effekte für Euter- und Klauengesundheit nach wie vor genießen. Die Futteraufnahme findet jedoch hauptsächlich am Futtertisch statt, was einen Mehraufwand für das Eingrasen mit sich bringt – für Norbert Schnell ein kleiner Wermutstropfen.

 

Da er horntragende Kühe hält, hat sich Norbert Schnell für freien Kuhverkehr entschieden. Er treibt zweimal täglich die überfälligen Kühe, d. h. diejenigen, die innerhalb der letzten 11 bis 16 Stunden (je nach Laktationsstadium) nicht gemolken worden sind, vor den Roboter. In der Regel sind das etwa vier Kühe – was aus Schnells Sicht tolerierbar ist. Ein weiterer Vorteil des AMS bei der beengten Hoflage des Stalles und der neu zu schaffenden Melkeinrichtung im Zuge des Umbaus des Altgebäudes: es ist deutlich weniger Fläche und damit auch umbauter Raum notwendig als für einen Melkstand, der eventuell noch einen Warteraum braucht. Neben der Platzersparnis bringt dies verringerte Baukosten für die Gebäudehülle mit sich.

Gute Tierbeobachtung – das A und O im Roboterbetrieb

Es ist jedoch unabdingbar, die Kühe gut im Blick zu behalten, wofür jeder Bauer sein eigenes System entwickeln muss. Norbert Schnell fixiert die Kühe zweimal täglich im Fressgitter. So können die Kühe in Ruhe fressen und er kann sie gut beobachten, Euter, Klauen und Allgemeinzustand überprüfen. Mittels durchdachter, regelmäßiger Abläufe, aufmerksamer Betreuung der Kühe und gutem Hygienemanagement konnte Norbert Schnell die Eutergesundheit verbessern.

Hohes Ziel: bessere Lebens­qualität für Bauer und Kuh

Norbert Schnell ist nach den ersten zwei Jahren mit dem Melkroboter sehr zufrieden. Vor allem die größere Flexibilität der Arbeitserledigung bringt für ihn als jungen Familienvater einen Gewinn an Lebensqualität. Der Besuch von Kindergartenfesten am späten Nachmittag war vorher undenkbar und ist durch den Melkroboter kein Problem mehr. Für die Kühe bietet das AMS den Vorteil eines ruhigen Ablaufes ohne Rangeleien für rangniedere Kühe und eines euter­schonenden Melkvorganges.

 

Autoren

Franziska Bühlen, Beratungsdienst Ökologischer Landbau Ulm e.V.

Dr. Silvia Ivemeyer, Fachgebiet Nutztierethologie und Tierhaltung, Universität Kassel/Witzenhausen

Quellen

Bühlen, F. 2013: Vereinbarkeit Automatischer Melksysteme mit dem Tierwohl in der ökologischen Milchviehhaltung. Diplomarbeit an der Universität Kassel/Witzenhausen