Feld & Stall

Rinderhaltung ohne Schlachtung

Modelle mit und ohne Milcherzeugung

von Patrick Meyer-Glitza

 

Schon der aus Weilbronn nahe Stuttgart stammende Bauer und Dichter Christian Wagner (1835-1918) wollte „eine größere Wertschätzung des Lebens einführen ... eine Gemeinde gründen, deren Äcker und Wiesen Domänen des Zukunftsreiches wären, wie es meine wenigen schon sind ... Wo das Gnadenbrot äßen im Hause bis an ihr Ende die Gespielen deiner Kinder, das Kätzchen und der Hund, sowie die treue Nährmutter derselben, die milchgebende Kuh und eierlegende Henne.“ (Wagner 2003, S. 24). Christian Wagner und Karamchad Mohandas (Mahatma) Gandhi (1869-1948) traten historisch schon früh für eine Rinderhaltung ein, in der die Tiere nicht geschlachtet werden.

 

Wie sieht eine Rinderhaltung ohne Schlachtung unter heutigen Bedingungen aus, was sind die Motive der Tierhalter dabei? Anhand von qualitativen Interviews mit Tierhaltern aus Deutschland, Großbritannien und Indien wurden diese Fragen bei fünf Fallbeispielen, die schon seit mindestens zehn Jahren eine Rinderhaltung ohne Schlachtung praktizieren, untersucht.

 

Für ethische Vegetarier besteht das Problem, dass ihr Milchkonsum mit dem Schlachten der Milchkühe sowie mit der Mast der vor allem männlichen Kälber aus der Milchkuhhaltung ursächlich verbunden ist. So entsteht die Frage, ob es Alternativen gibt. Eine vegane Ernährung ist eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit wäre eine vegetarische Milcherzeugung ohne Schlachtung, welche die Nutzung des Dungs sowie die Einbindung der Rinder in den Betriebskreislauf weiterhin ermöglicht.

Zwischen Pflege und Nutzung

Während sich die Fragestellung der Arbeit ursprünglich auf die Milch­erzeugung in einer Rinderhaltung ohne Schlachtung bezog, wurden im Verlauf der Erhebung „Lebenshöfe“ als Fallbeispiele mit einbezogen. Die Tierhalter dieser Fallbeispiele retten Rinder vor der Schlachtung und nutzen entweder gar keine Produkte der Rinder, oder nur den sprichwörtlich anfallenden Dung (sowie z. T. Ochsen zur Anspannung) – aber nicht die Milch die der Kuh entnommen wird. Die untersuchten Betriebe können damit (auf einem Kontinuum) zwischen einem Care- bzw. Pflege-Pool und einem Nutzungs- bzw. Produktions-Pool eingeordnet werden. Der Care Pool beinhaltet die fünf folgenden Grundsätze:

  • Universal: Es werden alle auf den Betrieben aufgenommenen oder geborenen Rinder, inklusive der männlichen, alten, pflegebedürftigen und sterbenden Tiere in das Lebensrecht und die Pflege einbezogen. Bis auf eine Ausnahme der in die Stichprobe eingegangenen Höfe befinden sich auf allen Betrieben immer auch andere landwirtschaftliche Nutztiere, für die derselbe Grundsatz gilt – wie potenziell ebenso für die Wildtiere, mit denen es zu einem Kontakt kommt.

  • Bedingungslos: Das Lebensrecht und die Pflege der Tiere hängen nicht von einer erbrachten Leistung ab. Auch wenn auf einigen Betrieben Milch, Dung – für Düngerprodukte und z. T. andere aus Rinderdung hergestellte Produkte wie Insektizide, Räucherstäbchen und Seife – zum Verkauf genutzt werden, sowie Ochsenanspannung gewollt ist, sind diese keine Vorbedingung.

  • Das ganze Leben: Die Rinder haben das Versprechen einer lebenslangen Fürsorge bis zu einem natürlichen Tod (oder einer „preference respecting“ Euthanasie, Regan 2004, S. 113ff.). Für den Umgang mit den alternden, kranken (wie z. B. Arthritis) und (natürlich) sterbenden Rindern fehlt es allerdings an Informationen, die vergleichbar dem (veterinärmedizinischen) Lehrbuch „Geriatrie bei Hund und Katze“ (Kraft 2003) wären. Wobei einige Betriebe viel Erfahrung in der homöopathischen Behandlung gesammelt haben. Die Begleitung sterbender Rinder kann über Wochen und sogar Monate gehen und ist (darin) der Pflege sterbender Menschen vergleichbar.

  • Familisierung: Ähnlich wie bei Heimtieren werden die Rinder als Individuen wahrgenommen, gefördert und tendenziell mit in die Familie aufgenommen. Das lange Zusammenleben und die Pflege intensivieren die Mensch-Tier-Beziehung, aber z. T. auch die Belastung, wenn viele Tier-Familienmitglieder in den Tod begleitet werden.

  • Prävention: Gemeinsam ist den Fallbeispielen die Praxis und der Wunsch, als Modell zu wirken. Dabei wird eine (sehr unterschiedlich intensive) Öffentlichkeitsarbeit betrieben.

Milch als Nebenprodukt

Für die Lebenshöfe kann man von einem Dreiklang von Retten-Pflegen-Schützen sprechen. In Europa betreiben vor allem Höfe der Hare-Krishna-Gemeinschaften eine Milchkuhhaltung ohne Schlachtung. Generell gilt, dass mit einer Rinderhaltung ohne Schlachtung die Milcherzeugung der Herde und damit der Milchkonsum radikal reduziert werden. Bei einem Fallbeispiel lag die durchschnittliche jährliche Milchleistung bei knappen 3.000 Liter pro Jahr. Cow Nation und Ahimsa Milk verkauften 2011 Milch aus ihrer Rinderhaltung ohne Schlachtung in London entsprechend für 1,60 £ pro Pint (568 ml) und für 2,40 £ pro Liter. Das Leben der Tiere ist das Hauptprodukt und Milch ist z. T. eher ein Beiprodukt der Landwirtschaft und ihrer Dungerzeugung. Milch wird zu einem Luxusgut oder wäre abzugeben an Menschen und Tiere, die sie brauchen (Donaldson und Kymlicka 2013).

 

Ein Phänomen der beiden melkenden Beispielbetriebe waren die langen Laktationen von durchschnittlich ca. drei Jahren bei einer maximalen Länge von neun Jahren. Längere Laktationen gibt es auch in der Bio-Ziegenhaltung. Die verlängerten Laktationen gleichen teilweise aus, dass aufgrund der vielen alten und männlichen Tiere und der daher sehr geringen Remontierungsrate es viel weniger frisch laktierende Kühe (z. B. eines von elf Tieren bei einem Durchschnitts­alter von elf Jahren) gibt als bei Betrieben mit vergleichbarer Herdengröße. Für eine Milcherzeugung dürfen pro Jahr durchschnittlich nur so viele Kühe kalben, wie auch natürlich sterben oder euthanasiert werden, um eine stabile Herdengröße zu halten. Durch die langen Laktationen können aber pro Jahr mehr Kühe zur selben Zeit gemolken werden als gekalbt haben.

 

Auf einem Betrieb trat zusätzlich bei fünf Kühen das Phänomen einer spontanen und zugleich saisonalen Laktation auf, nachdem die Tiere z. T. ein bis zwei Jahre trocken gestanden waren. Die Kastration der Bullen und sogar auch der Büffelkühe bei dem indischen Fallbeispiel sind Kompromisse um das Überleben der Tiere zu sichern.

 

Auch wenn die Betriebe vor allem auf Grünlandstandorten sind, bleiben Fragen der ökologischen und ökonomischen Tragfähigkeit. Ihre Tierhaltung beinhaltet artgerechte Aspekte wie: Natursprung, wenig Kraftfutter (1 bis 2 kg täglich), stabile und bei den Lebenshöfen gemischte Herden, bis auf einen Betrieb muttergebundene Kälberaufzucht und Weidegang. Die Rinderhaltung ohne Schlachtung ist für Vegetarier eine Möglichkeit des (reduzierten) Milchkonsums, während dabei das Leben der Rinder erhalten wird.

Patrick Meyer-Glitza forschte für seine Dissertation zu Rindviehhaltung ohne Schlachtung.

 

Danksagung:

Ich möchte Prof. Ton Baars dafür danken, dass er die Arbeit an dieser Fragestellung mehrere Jahre entscheidend begleitet hat.

Literatur

  • Donaldson, S. und W. Kymlicka (2013): Eine politische Theorie der Tierrechte, Suhrkamp, Berlin.

  • Kraft, W. (Hrsg.) (2003): Geriatrie bei Hunden und Katzen. Parey Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart, Stuttgart, 2. Auflage.

  • Wagner, C. (2003): Eine Welt von einem Namenlosen. Das dichterische Werk. (Hrsg.) U. Keicher, mit einem Vorwort von W. Kirsten. Wallstein Verlag, Göttingen.

  • http://www.ahimsamilk.org [07.04.2012]

  • http://www.goodfoodnation.co.uk/cow-nation.php [07.04.2012]

  • Regan, T. (2004): The Case for Animal Rights. University of California Press, Berkeley und Los Angeles.