Feld & Stall

Klimawandel und Bio-Züchtung

Welche Anforderungen ergeben sich daraus für die Sortenentwicklung?

von Peter Kunz

 

Die stärksten vom Klimawandel bewirkten Veränderungen treffen die Landwirtschaft, vor allem durch die Zunahme von Wetter­extremen: Das Jahr 2015 war extrem­ heiß und trocken, 2016 hingegen extrem nass und kühl und 2017 wiederum sehr warm. In Mitteleuropa ist die Weizenernte heute zehn Tage früher als noch vor vierzig Jahren. Wie stellt sich die Bio-Züchtung diesen Herausforderungen? Generell werden angepasste Sorten gefordert. Aber was heißt das genau? Genügen die heutigen Anstrengungen oder sind zusätzliche Werkzeuge und Maßnahmen nötig, um dieser Aufgabe vorausschauend gerecht zu werden?

 

Zweifellos brauchen wir Kulturpflanzen, die zur ökologischen oder biologisch-dynamischen Bewirtschaftungsform passen. Das sind Sorten, die mit den begrenzt verfügbaren Ressourcen besser umgehen können, als herkömmlich gezüchtete, deren Wachstum und Reifung im konventionellen Anbau von aller­lei Dünge- und Hilfsstoffen unter­stützt wird. Im Betriebsorganismus, der die Grundlage des Bio-Anbaus darstellt, bilden die Kulturpflanzensorten, zusammen mit den örtlichen Standortbedingungen und den agronomischen Maßnahmen wie Fruchtfolge, Düngung und Pflegemaßnahmen, eine fein ab­gestimmte Ganzheit, aus der sie wachsen, gedeihen und ihre Früchte bilden. Diese Einheit ist gleichzeitig­ Ausgangslage und Ziel der biodynamischen Züchtung. Deshalb arbeiten die biodynamischen Züchter konsequent unter biodynamischen Bedingungen. Aber genügt das, um angepasste Sorten zu finden? Trotz der bisherigen Züchtungserfolge wird dies in naher in Zukunft nicht mehr ausreichen!

Die Erwartung: standortangepasst

Landwirte, Verarbeiter und selbstverständlich auch die Konsumenten erwarten von den Kulturpflanzen stabile Ertrags- und Qualitätsleistungen. Die Grundversorgung muss Jahr für Jahr gewährleistet werden. Nur: bei der Sortenwahl für die Aussaat weiß auch der beste Prak­tiker nicht, ob seine Pflanzen im kommenden Jahr unter Hitze und Trockenheit oder unter Kälte und Nässe – oder womöglich kurz nacheinander sowohl unter dem einen als auch dem anderen Extrem, leiden müssen. Das auszugleichen, sollen die Pflanzen leisten – und erst recht die biologisch gezüchteten Sorten! Zudem wird eine Anpassung an regionale und standort­spezifische Bedingungen voraus­gesetzt, ausgedrückt in der Bezeichnung „Hofsorte“ – für jeden Hof eine speziell für diesen ge­eignete Sorte.

Was meint Anpassung eigentlich?

Die Anpassungsleistung der Kulturpflanzen beruht auf ihrem aktiven Umgang mit den Umweltbedin­gungen während der vegetativen Wachstumsphase. Dies äußert sich zunächst vor allem in der Wüchsigkeit und in der Biomassebildung und ist damit vor allem für die Ertragsleistung wichtig. Je frohwüchsiger die Kulturpflanzen sind, umso besser sind sie in der Lage, die Ressourcen­ des Standorts zu nutzen und zugleich den Witterungsex­tremen zu begegnen. Die darauf aufbauende und folgende Fruchtbildungs- und Ausreifungsphase ist unmittelbar mit der Qualitätsbildung verbunden. In dieser Phase sollen die Pflanzen „sich selber treu bleiben“ und sich von förderlichen oder erschwerenden Umweltbe­dingungen möglichst wenig be­einflussen lassen.

Anpassung äußert sich in der Stabilität der Sorten

Sind die Sorten stabil, so verändert sich die Anpassungsfähigkeit von einer auf die nächste Generation nicht. Die Anpassung der Sorten an klimatische Veränderungen und Witterungsextreme ist also nur insofern erwünscht, als dadurch die Ertrags- und Qualitätsleistungen besser gesichert werden können. Bei vielen Sorteneigenschaften, wie bei der Auswuchsfestigkeit, beim Protein-, Zucker- oder Ölgehalt der Früchte, ist eine Anpassung grundsätzlich nicht erwünscht. Vielfach besteht der Zuchtfortschritt gerade darin, die Kulturpflanzen von widrigen Witterungsbedingungen möglichst unabhängig zu machen. Je nach Eigenschaft meint Anpassung etwas anderes.

Natürliche Selektion, Anpassung und Qualität

In der natürlichen Selektion wird oft ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Sorten gesehen. Die Natur „werde es schon richten“. Doch heißt natürliche Selektion immer „survival of the fittest“: die Pflanzen mit den meisten Nachkommen verbreiten sich am stärksten. Diese natürliche Selektion auf Reproduktionsleistung geht stets auf Kosten der Frucht- und oft auch der Qualitätsbildung. Die Züchter selektieren deshalb immer in einem gewissen Ausmaß gegen die Reproduktion: also eher weniger, dafür aber besser ausgebildete Früchte oder Samen.

 

Die beste Qualität entsteht im Gleichgewicht von Reproduktion und Fruchtbildung. Eine gute Sorte wird als zuverlässig bezeichnet, weil sie dieses Gleichgewicht stabil zu halten vermag. Dann wird sie über viele Jahre für Anbauer, Verarbeiter und Konsumenten zufriedenstellende Ergebnisse bringen. Anpassungsfähige Sorten zeichnen sich gerade nicht dadurch aus, dass sie zu einem spezifischen Ort oder einer Region passen. Ihre Anpassungsfähigkeit besteht vielmehr in ihrer Fähigkeit, unter sehr unterschiedlichen Bedingungen zu gedeihen und das Spezifische ihres Standortes in ihren Früchten zur Erscheinung zu bringen.

Ganz praktisch: Züchtung auf Anpassungsfähigkeit

Für die gezielte Züchtung auf hohe Anpassungsfähigkeit braucht es ein besonderes Vorgehen. Wichtig ist, dass die zukünftigen Sorten unter sehr unterschiedlichen oder gar gegensätzlichen Wachstumsbedingungen angebaut und geprüft werden. Da die Anpassungsleistung hauptsächlich während der vegetativen Wachstumsperiode erfolgt, müssen sich die Züchtungs- und Prüfstandorte vor allem im Verlauf und in der Intensität der vegetativen Phase unterscheiden. Ein futterwüchsiger Standort mit konstant guter Wasserversorgung fördert vorwiegend vegetatives Wachstum: viel Stroh, hoher Krankheitsdruck sowie ein relativ geringer Kornertrag bei mittelmässiger Kornausbildung ist die Folge. Demgegenüber fördert ein trocken-warmer Standort mit sandigem Boden vorwiegend die generative Phase und die Kornausbildung: der Strohertrag ist geringer, dafür ist die Reifung inten­siver und die Körner sind sehr gut ausgebildet, sofern der Wasserstress nicht zu groß ist. Solche Extre­me werden in unserer Züchtungsarbeit durch die Standorte Feldbach und Rheinau repräsentiert. In Rheinau muss oft bereits ab Mai bewässert werden, damit die Bestände nicht komplett zusammenbrechen und vertrocknen. In Feldbach sind die Pflanzen selbst im trockensten Sommer immer noch starkwüchsig. Auf diese Weise­ müssen die Sortenkandidaten schon in gemäßigten Jahren mit extremen Witterungsbedingungen umgehen.

 

Der Standort wirkt als Ganzheit und die Fähigkeit der Sorte, mit dem Standort umzugehen, wird so unmittelbar in die Bewertung integriert. Nur jene Sortenkandidaten werden weitergeführt, die starkwüchsig sind und zugleich an beiden Standorten eine überdurchschnittlich gute Kornausbildung zeigen. Nur so ist gewährleistet, dass sie sich später als Sorte unter verschiedensten Bedingungen stabil verhalten und mit den begrenzt verfügbaren Ressourcen im Bio-Anbau effizient umgehen können. Das strenge Vorgehen hat sich bewährt – wie die Praxisresultate der Sorten der letzten Jahre deutlich demonstrieren. Es lohnt sich deshalb, die Vorgehensweise auszubauen und zu verfeinern!

 

Wenn die Qualitätsleistung bei der Züchtung die höchste Priorität hat, können weitere Zuchtfortschritte und damit auch eine gesunde Anpas­sung der Pflanzen an den Klimawandel erreicht werden. Das Pflanzenwachstum kennt eine unendliche Vielfalt an Wegen, zu diesem Ziel zu kommen. Die große Herausforderung für die Züchter ist, das Potenzial in seiner Vielfalt im Zuchtgarten zu sehen, die wirklichen Anpassungsleistungen zu erkennen und darauf basierend die richtigen Selektionsentscheidungen zu treffen.

Peter Kunz ist biodynamischer Getreidezüchter in der Schweiz, http://www.gzpk.ch