Feld & Stall

Horntragende Milchkühe im Laufstall

Einzelbetriebliche Gestaltungsmöglichkeiten

von Ulrich Mück

Die Haltung horntragender Milchkühe im Laufstall macht in besonderem Maß deutlich, dass Tierhaltung nicht allein unter technischen und stallbaulichen Gesichtspunkten planbar ist. In den Artikeln „Rang und Vorrechte bei Rindern“ (LE 2-2018) und „Horntragende Milchkühe im Laufstall“ (LE 3-2018) erläuterte ich anhand eigener Erfahrungen als Berater von Demeter-Milchviehbetrieben und von Ergebnissen des Forschungsprojektes „Hörner im Laufstall“ die Bedeutung der Herdenführung und die Wichtigkeit des Verständnisses der Sozialform „Herde“. In vielfältiger Weise treten Wirkungen auf die Tiere und deren Herdenverhalten untereinander auf, ausgehend von Art und Zeitpunkt der Fütterung, der Gestaltung und Ausstattung der Stallbereiche, den Stalleinrichtungen und den Managementmaßnahmen des Milchviehhalters. Um eine ruhige Herde zu erhalten, ergeben sich dadurch prinzipiell viele Gestaltungsmöglichkeiten. Jeder Milchviehhalter und Berater steht allerdings immer wieder vor der ganz individuell geprägten einzelbetrieblichen Situation der Rinderherde und der Art der Haltung im Laufstall – und der Frage, wie mit möglichst kleinen Maßnahmen an welcher Stelle genau dieses Hofes Einfluss genommen werden kann, um eine ruhige Herde mit wenigen Auseinandersetzungen zwischen den Tieren zu erhalten.

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Hörner im Laufstall“ belegen, dass ungünstige Situationen in einem Bereich durch Maßnahmen und positive Gestaltungen anderer Einflussbereiche ausgeglichen werden können. Die Auswirkungen von Veränderungen der Haltungsbedingungen konnten zudem teilweise am Verhalten der Tiere beobachtet und mit den hornbedingten Schäden, also der Herdenruhe, in Beziehung gebracht werden. Einige der Ergebnisse davon sind im Artikel „Horntragende Milchkühe im Laufstall“ (LE 3-2018) dargestellt. Auf einen anderen möchte ich nachfolgend eingehen sowie einzelbetriebliche Lösungen und Beispiele darstellen.

Möglichst viel Platz je Kuh?

Als zentraler Punkt für die Haltung horntragender Kühe wurde in den bisherigen Veröffentlichungen und Beratungsempfehlungen der deutlich höhere Platzbedarf genannt und kalkuliert: Größere Fressplatzbreite, 10 % zusätzliche Fressplätze und Liegeboxen, breitere Lauf- und Fressgänge, größere Liegeboxen mit vorderem Boxenausgang, größerer Wartebereich vor dem Melkstand, eine Separierungsbox für Rindernde und eine Bullenbucht.1, 2, 3, 4 Es wird dabei von 24 % bis 90 % mehr Stallfläche inkl. Auslauf je horntragender Milchkuh gegenüber der Haltung von hornlosen Öko-Milchkühen ausgegangen. Dies ist ein entscheidender wirtschaftlicher Faktor und hat maßgeblich Anteil an den höheren Kosten der Haltung horntragender Milchkühe. Allein die Investitionskosten belaufen sich bei 24 % bis 45 % höherem Flächenbedarf, bezogen auf den Liter verkaufter Milch (Ansatz: 5500 l/Kuh) auf mindestens 1,4 bis 3,5 ct5. Zusätzliche Arbeitskosten sind darin­ noch nicht enthalten.

In der Regel kann die Stallfläche eines bestehenden Betriebes nicht vergrößert werden. Es ist meist nicht wirtschaftlich dies zu tun und zudem gibt es bislang staatlicherseits keine Fördermittel für den höheren und unbestreitbar tierwohlbezogenen Flächenbedarf horntragender Milchkühe. Deshalb kommt häufiger die Verkleinerung der Tierzahl infrage, wenn horntra­gende Kühe gehalten werden wollen. Doch wieviel Fläche braucht eine Hornkuh wirklich? Tatsächlich bieten die meisten der 39 beteiligten Betriebe deutlich mehr Stallfläche als 10,5 m²/Kuh an. Diese Zahl schreibt die EU-Ökoverordnung für eine reine Stallhaltung von Milchkühen inkl. Auslauf vor, sofern im Sommer kein Weidegang besteht. Fast alle beteiligten Betriebe hatten Weidegang. Die Abbildung 1 zeigt, dass es sowohl Betriebe mit hohem Flächenangebot pro Kuh gibt (grüne Flächenangaben), die viele Schäden an den Tieren aufweisen, als auch Betriebe mit 12,6 m²/Kuh oder weniger (≤ 20 % Mehrangebot an Fläche gegenüber EU-Öko-VO). Bemerkenswert ist, dass es unter denjenigen mit wenig Fläche Betriebe gibt, in denen die Herde ruhig ist und die Tiere nur wenige hornbedingte Schäden haben. Großzügige Ställe mit viel Stallfläche garantieren zudem nicht, dass die Herde ruhig ist. Es gibt Betriebe mit weit über 15 m²/Kuh unter denjenigen mit den meisten hornbedingten Schäden. Auch an der Herdengröße kann nicht unbedingt festgemacht werden, ob es mit horntragenden Kühen klappt oder nicht, was zumindest für Betriebe bis 60 Milchkühe auch aus der Darstellung hervorgeht. Die am Projekt beteiligten Betriebe mit mehr Milchkühen hatten fast alle noch weniger als 70 % horntragende Kühe in der Herde, so dass für größere Herden den Projektergebnissen keine sicheren Hinweise zu entnehmen sind.

Fläche ist nicht alles

Natürlich kommt es nicht nur auf die Fläche, sondern auf die tiergerechte Gestaltung aller stallbaulichen Bereiche, der Durchgänge, der Stalleinrichtungen, etc. an. Ein „Hotspot“ kann das gesamte Herdenklima stark negativ beeinflussen. Die Ergebnisse des Projektes und viele einzelbetriebliche Erfahrungen der Betriebsleiter sprechen jedoch dafür, dass mit geeigneten Maßnahmen in den Einflussbereichen Herdenführung, Herdenmanagement und Mensch-Tier-Beziehung ungünstige stallbauliche Faktoren ausgeglichen werden können. Auch in Ställen mit weniger als 15 m² Fläche können horntragende Herden mit wenigen Auseinandersetzungen und Schäden gehalten werden (Abb. 1). Als empfehlenswertes Mindestmaß haben sich etwa 12,5 m²/Kuh bewährt. Diese Fläche wünschen sich auch Betriebe, die aktuell mit weniger Platz je Kuh auskommen und dieses Manko mit mehr Zeit für Herdenführung und Herdenmanagement der Tiere ausgleichen.

Die dreimalige Datenerhebung in aufeinanderfolgenden Winterstallperioden machte es möglich, die von Forschern und Beratern empfohlenen, mit den Betrieben diskutierten und von diesen umgesetzten Änderungen zur Verbesserung der Haltung in ihrer Wirksamkeit zu beurteilen. Teilweise wurden auch andere Ursachen für Veränderungen im Herdenverhalten festgestellt oder als wahrscheinlich auf den Erfahrungsaustauschtreffen und mit den Beratern diskutiert. Zum Abschluss wurden die Betriebsleiter befragt, welche der Maßnahmen ihrer Meinung nach erfolgreich waren, bzw. was zum Ergebnis beitrug.

In Abbildung 2 ist die Entwicklung der hornbedingten Schäden in einer Gruppe beteiligter Betriebe über die drei Jahre dargestellt. Die festgestellte Anzahl an Schäden/Kuh, in überwiegender Zahl haarlose Stellen, gilt als Ausdruck der Herdenruhe innerhalb der letzten vier Monate.

Bei den beispielhaft dargestellten Betrieben gab es bei vieren (links) über alle drei Jahre nur wenige hornbedingte Schäden. Bei den anderen Betrieben gab es im Median zwar eine Verringerung der Schäden, die Änderungen waren jedoch oft nicht einheitlich und in einigen Betrieben stiegen die Schäden sogar an.

 

Betriebsbeispiele

Drei Betriebe möchte ich herausgreifen und die einzelbetrieblichen positiven sowie negativen Einflussfaktoren auf die Haltung von horntragenden Kühen anhand der Projektergebnisse darstellen. Zur Beschreibung und Einordnung der Ställe werden die im Projekt angewandten haltungsbezogenen Indikatoren und Orientierungswerte für horntragende Milchkühe zur Darstellung verwendet. Die jeweiligen Betriebsergebnisse wurden anhand der Orientierungswerte in ein Ampelschema eingeordnet und den Betrieben zurückgemeldet: Zielbereich = Grün, Toleranzbereich = Gelb, Alarmbereich = Rot.

 

Gemäß den Empfehlungen der Literatur und den Orientierungswerten, hätten viele Berater dem Betrieb 22 abgeraten horntragende Milchkühe zu halten. Aufgrund der Projektergebnisse war er über drei Jahre hinweg jedoch einer der besten Betriebe. Dies, obwohl er seinen Kühen nur sehr wenig Raum im Laufstall und im Winter nicht einmal einen Auslauf zur Verfügung stellen kann. Wie kann das funktionieren? Einerseits zeigt sein Stall eine gute Gliederung des Liegeboxenbereiches mit Ausweich- und Rundlaufmöglichkeit. Der Wartebereich ist groß, Niederrangige können in den Liegeboxen abwarten bis die Hochrangigen durch den Melkstand gehen, wohin sie mit etwas Kraftfutter gelockt werden. Dann geht die restliche Herde. Am funktionierenden Fressgitter haben sich die Hochrangigen mittlerweile eingesperrt. Es gibt mehr Fress- und Liegeplätze als Tiere, so dass Niederrangige sich ihren Platz nicht unbedingt neben einer Hochrangigen suchen müssen. Beim Fressen spielt so die Rangordnung keine Rolle, es herrscht Ruhe. Auch gibt es wenig Futterkonkurrenz dadurch, dass nicht nachgeräumt werden muss. Am schmalen Futtertisch mit Futterband liegt fast immer Futter vor. Der hohe Heuanteil in der Ration fördert ruhigere Tiere und es sind genügend Tränken vorhanden. Rindernde werden ausgegliedert. Einen nicht unbeträchtlichen Anteil am Erfolg hat sicher auch der aufmerksame Blick des Betriebsleiters für die Herde und den Charakter von Einzeltieren sowie sein konsequentes Handeln in Bezug auf die Herdenführung.

 

Auch Betrieb 31 wäre sicher nicht empfohlen worden, horntragende Rinder in seinem weit über 30 Jahre alten Laufstall zu halten. Aus Abbildung 2 ist ersichtlich, dass er die Herdenruhe dennoch erheblich verbessern konnte und im dritten Jahr wesentlich weniger Schäden an den Tieren auftraten. Erreicht wurde dies durch relativ überschaubare bauliche Verbesserungen und – nach eigenen Aussagen – durch mehr Beobachtung und Eingehen auf die Tiere. Das Fressgitter wurde instand gesetzt, so dass alle Tiere sicher gefangen und wieder regelmäßig zweimal täglich beim Fressen fixiert werden können. Die Fixierungszeiten wurden etwas verlängert und die Tiere werden flexibel bzw. mindestens in zwei Gruppen aus dem Fressgitter freigelassen, so dass das Aufsuchen der Tränken oder Liegeboxen entzerrt ablaufen und der Vorrang hochrangiger Kühe besser beachtet werden kann. Es wurden zudem die Hornspitzen dominanter Kühe gerundet. Die Integration von Tieren erfolgte gezielt am Ende des Melkens, die Herde blieb dann länger im Fressgitter fixiert als sonst. Danach hatten die Tiere weniger Neigung mit den „Neuen“ Rangordnungskämpfe auszufechten. Sie legten sich rasch in den Liegeboxen ab und am nächsten Tag war alles meist nicht mehr so wild. Der Erfolg der Maßnahmen war insgesamt deutlich und zeigt, dass mit mehr Zeit im Bereich Herdenführung, Herdenbeobachtung und Herdenmanagement vieles ausgeglichen werden kann, was stallbaulich nicht optimal ist.

 

Einige leidvolle einzelbetriebliche Ereignisse während des Projektzeitraumes machten es möglich, sehr wirksame Einflüsse auf das Herdenverhalten zu erkennen. Auf Betrieb 18 erlitt der Betriebsleiter im Herbst einen Unfall, sodass die ganze Winterstallperiode ein Betriebshelfer wesentliche Teile der Stallarbeit und die Führung der horntragenden Herde des Heumilchbetriebes übernahm. Resultat war, dass die nach verschiedenen, auch stallbaulichen, Maßnahmen im zweiten Jahr deutlich verringerten hornbedingten Schäden im dritten Jahr wieder drastisch in den „Roten Bereich“ schnellten. Zudem zeigten sich überraschend die Tränken als der neue Hauptort der Auseinandersetzungen, obwohl die Anzahl der Tränken und deren Zugänglichkeit – gerade für Heumilchbetriebe sehr wichtig – verbessert wurde. Entgegen den Vorjahren gab es bei sehr vielen Kühen Druckstellen und Technopathien an der linken Bugseite. Was waren die konkreten Ursachen? Es wurde weniger häufig­ Futter vorgelegt und rangeräumt. Die Tiere legten sich deshalb stärker ins Fressgitter und an die etwas hervorstehende Schraube, um entfernt liegendes Futter zu erwischen. Die Öffnung des Fressgitters erfolgte nur noch selten in zwei Gruppen, so dass alle Tiere auf einmal zu den Tränken wollten, wo dann die Hochrangigen ihr Recht geltend machten und viel Ärger entstand, der auch an anderen Stellen zu mehr Auseinandersetzungen und Hornstößen führte. Eine weitere Erfahrung in Bezug auf die Bedeutung des Futterregimes bei der Herdenführung bescherte das für Heumilchbetriebe in Bayern und Baden-Württemberg sehr schlechte Witterungsjahr 2016. Die Futterqualität des darauffolgenden Winters war in einigen Betrieben sehr schlecht. Die an sehr gutes Heu gewöhnten Kühe waren unzufrieden, die Leistung sank. Um das auszugleichen, wurde im Autotandem-Melkstand mehr Getreide gefüttert. Dies spiegelte sich in den Projektergebnissen: Gegenüber dem Vorjahr zeigten sich stark erhöhte Auseinandersetzungen vor dem Melkstand, einhergehend mit hornbedingten Schäden.

 

Die umfangreichen Projektergebnisse machen deutlich: „Horntragende Milchkühe im Laufstall – es geht!“ Während die Ursache der Enthornung im Bau viel zu enger Laufställe in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts zu suchen ist, sind wir heute im Bereich der EU-Stallanforderungen für Öko-Milchkühe auf einem art- und tierwohlgerechten Niveau, auf dem horntragende Milchkühe (wieder) gehalten werden können – sofern Milchviehhalter dies wollen. Das Projekt und der Erfahrungsaustausch unter den Betrieben trug dazu bei, Fragen zu klären und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Allerdings machte es auch deutlich, dass in vielen Betrieben noch Verbesserungen nötig sind. Sichtbar wurde auch, wie wichtig das Verständnis der Sozialform Herde für die herdengerechte und erfolgreiche Haltung horntragender Milchkühe in Ställen ist – und dass noch viele spannende Fragen offen sind. Sie bieten Anreiz für Milchviehhalter und Berater, die (eigenen) Hornkühe und ihr Wesen und Verhalten noch weiter verstehen zu lernen.

 

Haltung horntragender Kühe im Laufstall – wesentliche Einflussbereiche:

  • Herdenführung für eine stabile Rangordnung in der Sozialform Herde (Wahrnehmung der Rangordnung und der sozialen Gruppen in der Herde, Futterregime, Zuchtauswahl Tiercharakter)

  • Mensch-Tier-Beziehung (z.B. sicherer u. ruhiger Umgang, Vertrauensbildung, Respekt)

  • Herdenmanagement (u.a. Abläufe im Stall, Ein- und Ausgliederung von Tieren, Umgang mit rindernden Tieren, Pflege von Stalleinrichtungen)

  • Haltungsbedingungen und Stalleinrichtung (Raumangebot und -gestaltung für Fressen, Liegen, Ausweichen und Auslauf, Art des Fressgitters, Anordnung und Zahl von Tränken, Bürsten, etc. )

Quellen:

BÖLN-Projekt 2812NA104 „Hörner im Laufstall”, Darstellungen von Dr. Julia Johns, 2017. Die vollständigen Ergebnisse werden Ende des Jahres 2018 veröffentlicht.

Literatur:

1. Klöble, et.al. (2014): Investitionsbedarf von Milchviehställen für horntragende Kühe, KTBL, http:/orgprints.org/28156/1/28156-11OE052-ktbl-kloeble-2014-investitionsbedarf-milchviehstael-

le.pdf • 2. Schneider, C. (2011): Laufställe für horntragende Milchkühe, FiBL-Merkblatt • 3. ÖKL-Merkblatt 100 (2017): Haltung von behornten Rindern • 4. Merkblätter für die umweltgerechte

Landbewirtschaftung, Nr. 32 (2012), Laufstallhaltung von Rindern im ökologischen Landbau, LAZBW • 5. Mück, U. (2015): Die Kosten der Hörner, Lebendige Erde, 2015_6, S.30–31;