Feld & Stall

Horntragende Rinderzucht sichern

Überblick zur aktuellen Struktur der Demeter-Milchviehzucht

von Carsten Scheper

 

Demeter-Landwirte treffen ganz bewusst die Entscheidung für die Haltung hörnertragender Rinder. Begriffe wie Enthornungsproblematik und Enthornungsverbot, u.a. geregelt in der EU-Öko-Verordnung, und die damit verbundene zunehmende gesellschaftliche Kritik an der routinemäßigen Enthornung in der Milchviehhaltung erscheinen hier zunächst weit weg. Wenn allerdings, wie zurzeit, die Lösung für diese Problematik darin besteht, die Hornloszucht zu fördern, sowohl in der konventionellen Zucht als auch bei den anderen Bio-Verbänden, erreicht das Problem Demeter-Landwirte sozusagen durch die Hintertür.

 

Gerade in den Rassen Fleckvieh (FV) und Holstein (HOL, Schwarz- wie Rotbunt) sowie in geringerem Ausmaß bei Jersey und Braunvieh (BV) schreitet die Hornloszucht mit steigendem Angebot an genetisch hornlosen Bullen rasch voran (s. LE 1/17, Scheper 2017). Diese Entwicklung führt dazu, dass mittel- bis langfristig Kooperationen zwischen Demeter- und konventionellen oder anderen ökologisch wirtschaftenden Betrieben zum Austausch von Zuchtvieh wahrscheinlich nicht mehr möglich sein werden. Lokal mag diese Problematik biologisch-dynamische Züchter bereits direkt betreffen und in Kombination mit der offensiven Vermarktung der Hornlosigkeit durch die Zuchtunternehmen erhöht sich die Dringlichkeit in der Suche nach Alternativen. Neben einer voraus­schauenden Risikobewertung hinsichtlich der Auswirkungen der verstärkten Hornloszucht liegt der Fokus des Demeter-Verbandes auf der dringend nötigen Entwicklung und Förderung von züchterischen Alternativen, um die Zucht behornter Rinder und die Zuchtpraxis der Mitgliedsbetriebe langfristig und nachhaltig unterstützen zu können. Eine maßgebliche Grundlage ist hier die Kenntnis über die konkrete Zuchtpraxis und Zuchtstrategie der Demeter-Milchviehbetriebe.

Ohne Hörner – Bestandsaufnahme

Im Rahmen des vom Demeter-Verband finanzierten Auftragsprojektes „Horntragende Rinderzucht sichern – Status-Quo-Analyse der Entwicklungen in der Zucht hornloser Milchrinder“ wurden in Kooperation mit der Justus-Liebig-Universität Gießen die aktuellen Entwicklungen in der Zucht auf genetische Hornlosigkeit in verschiedenen Milchviehrassen untersucht. Grundlegendes Ziel des Projektes ist eine erste Risikobewertung der möglichen Auswirkungen der Hornloszucht für die Zucht behornter Milchrinder in Demeter-Betrieben und die Abschätzung des züchterischen Potenzials hinsichtlich der Öko-Milchviehzucht auf Grundlage von Hörnergenetik. Letztlich geht es um den Erhalt der genetischen Ressource.

 

Ansprechpartner: Michael.Olbrich(at)demeter.de

Datengrundlage und Analysen

Die in diesem Artikel vorgestellten Ergebnisse basieren auf den Antworten einer Umfrage per Fragebogen im Frühjahr 2017, die sich an Demeter-Milchviehbetriebe richtete. Neben der gehaltenen Rasse wurden weitere Informationen zum Bulleneinsatz, der Bullenherkunft und den betriebsindividuellen Zuchtstrategien abgefragt. Von 559 registrierten und angeschriebenen Betrieben konnten 279 auswertbare Fragebögen als Datengrundlage gewonnen werden. Die Antwortquote lag bei knapp 50 % und ermöglicht repräsentative Aussagen über das Spektrum der Demeter-Milchviehbetriebe.

Rassespektrum und Betriebscharakteristika

Insgesamt haben 276 Betriebe Angaben zu den gehaltenen Rassen gemacht, was einen Überblick des Rassespektrums ermöglicht, siehe Abb. 1. 209 von 276 Betrieben haben zusätzlich Angaben zur Tierzahl je Rasse auf dem Betrieb gemacht, die eine Hochrechnung der Gesamtpopulationszahlen ermöglicht (Tab. 1). Die Population ist durch ein sehr breites und diverses Rassespektrum mit insgesamt 21 Rassen geprägt. FV, HOL und BV stellen die größten Anteile an der Gesamtpopulation. Bemerkenswert ist, dass 11 der 21 genannten Rassen aktuell in ihrem Bestand bedroht sind (TGRDEU, BLE 2018). In diesen Rassen gibt es in der Regel keine Hornloszucht, was positiv zu bewerten ist (siehe auch LE 1/2017, Scheper 2017). Allerdings ist die züchterische Weiterentwicklung von bedrohten Rassen mit geringen Tierzahlen neben logistischen Problemen in der Zuchtpraxis z. B. durch eingeschränkte Tier- und Spermaverfügbarkeit, oftmals erschwert und erfordert einen hohen Organisations- und Vernetzungsgrad der Züchter.

 

Die Verbreitung der Rassen ist erwar­tungsgemäß regional spezifisch, begründet in der jeweiligen Rasseherkunft und Zuchtgeschichte. Mehr als 70 % der befragten Betriebe sind im Süden Deutschlands beheimatet und halten überproportional viel FV und BV. Bemerkenswert ist im Süden aber auch eine große HOL-Population mit 800 Tieren. Die restlichen knapp 30 % der befragten Betriebe verteilen sich auf den Norden und Osten Deutschlands mit deutlich höheren Anteilen von HOL, Deutschem Schwarzbunten Niederungsrind (DSN) und Rotbunten-Doppelnutzung (RBT-DN). Die Unterschiede in der regionalen Rasse­verteilung sind verbunden mit entgegengesetzten Betriebsgrößen: So sind die Betriebe im Süden Deutschlands kleiner strukturiert als die Betriebe im Norden und Osten­. Hinsichtlich der Gesamt­größe der Milchviehpopulation über alle Rassen hinweg lässt sich in einer groben Hochrechnung ein erster Erwartungswert von 22.000 bis 33.300 Tieren ermitteln. In den Rassen FV und HOL werden Tierzahlen­ erreicht, die sofern ein hoher züchterischer Organisationsgrad erreicht werden kann, ein kleines­ eigenes Zuchtprogramm perspek­tivisch möglich machen könnten.

 

Knapp 75 % der befragten Betriebe nehmen an der Milchleistungsprüfung (MLP) teil. Für die Mitgliedschaft in Zuchtverbänden oder einem Herdbuch (HB) ergibt sich ein komplementäres Bild: Lediglich etwa 40 % der Betriebe sind hier züchterisch aktiv und organisiert.

Bulleneinsatz – abhängig von konventionellen Zuchtstrukturen?

Eine Antwort auf die Frage, ob aktuell eine Abhängigkeit von konventionellen Zuchtstrukturen besteht, spiegelt sich im betrieblichen Bulleneinsatz wider (Abb. 3). Positiv hervorzuheben ist, dass 65 % der Betriebe auf einen Deckbullen setzen, was prinzipiell Unabhängigkeit gewährleisten kann, sofern die Selektion der Bullen aus dem eigenen Betrieb oder anderen Hörnerzucht-Betrieben erfolgt. 30 % der Betriebe geben an, ausschließlich Sperma über künstliche Besamung (KB) einzusetzen. Auch wenn dies vereinzelt Betriebe mit bedrohten Rassen betrifft, die aufgrund der schlechten Zuchttierverfügbarkeit auf KB-Sperma zurückgreifen, hält der Großteil dieser Betriebe die Rassen FV, HOL und BV. In Anbetracht der Hornloszucht­entwicklung in diesen Rassen ist eine Abhängigkeit von Sperma aus konventionellen Zuchtprogrammen mittel- bis langfristig problematisch. Bezeichnenderweise wurden Anbieter alternativer Genetik wie EUNA und KI-Samen nur in wenigen Einzelfällen als Bezugsquelle für das versamte Sperma von den Betrieben genannt. Der Großteil der Betriebe, die KB einsetzen versamt dementsprechend Sperma von konventionellen Zuchtorganisationen oder Besamungsstationen.

 

Warum manche Betriebe ausschließlich auf KB setzen, konnte in der Befragung nicht ermittelt werden, Gründe dafür sind naturgemäß aber vielfältig. Neben den Gefahren, die die Deckbullenhaltung auf dem Betrieb mit sich bringt, können auch logistische Probleme eine Rolle spielen. Es bleibt festzuhalten, dass in einer Situation, in der kein Sperma aus Hörnertragender Zucht verfügbar ist, der Wechsel zum Einsatz von Deckbullen der einfachste Weg ist, um unabhängig von den Entwicklungen in der Hornloszucht zu werden.

 

Neben den 87 gänzlich auf KB setzenden Betrieben, nutzen 40 weitere keine Bullen aus eigener Nachzucht, sondern kaufen meist Bullen zu oder kombinieren die KB mit dem Bullenzukauf. Auch hier ergeben sich potenzielle Abhängigkeiten, insbesondere, wenn Bullen nicht von Demeter-Betrieben, sondern von konventionellen oder ökologischen Betrieben zugekauft werden. Langfristig könnten hier ähnliche Probleme wie beim ausschließlichen Einsatz der künstlichen Besamung entstehen.

 

Immerhin 21 befragte Betriebe setzen nur Bullen aus eigener Nachzucht ein und züchten so komplett autark von externen Zuchtstrukturen innerhalb der eigenen Herde. Während das einzelbetrieblich positiv zu bewerten ist, muss bemerkt werden, dass diese Betriebe damit nicht an dem genetischen Austausch innerhalb der Demeter-Population partizipieren, was aus Perspektive der Hörnertragenden Zucht nicht vorteilhaft ist. Ziel sollte es sein, den Tierverkehr im besten Fall zwischen allen Demeter-Betrieben der gleichen Rasse zu ermöglichen und gezielt zu fördern. Positiv ist, dass etwas mehr als 60 % der befragten Betriebe bereits jetzt mindestens eine von der Hornloszucht unabhängige Bullenherkunft einsetzen (siehe auch Abb. 3).

Kriterien bei der Bullenauswahl

Von 279 befragten Betrieben gaben 167 Betriebe Kriterien für die Bullenauswahl an. Ein Großteil hat sich hierbei auf die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten Auswahl nach Zuchtwert/Phänotyp, Abstammung, Empfehlungen, ALL/EUNA und Ökologischer Gesamtzuchtwert (ÖZW) beschränkt. Nur wenige Betriebe haben weitere Informationen angegeben. Die Darstellung der Kriterien gibt daher nur einen ersten Einblick in die einzelbetriebliche Auswahl. Züchterische Entscheidungen werden in der Regel unter Berücksichtigung und Abwägung einer Vielzahl von Kriterien mitunter eher intuitiv getroffen. Die Form der Befragung kann dies nur eingeschränkt widerspiegeln. Unabhängig davon ergeben sich aus den Angaben durchaus interessante und relevante Aspekte.

 

Zuchtwerte spielen, wie zu erwarten, insbesondere bei der Auswahl von KB-Bullen eine große Rolle. Dabei ist die Bedeutung des ÖZW beim Fleckvieh und Braunvieh (Lfl 2018), der rein von der Zahl der Nennungen her deutlich überwiegt (siehe Abb. 4) besonders auffällig. Ein vergleichbarer Zuchtwert fehlt in der Rasse HOL, was durch Empfehlungen von z. B. der Arbeitsgemeinschaft Lebenslinien und der EUNA aufgefangen wird. Als maßgeblich für die Auswahl von Deckbullen werden praktisch die gleichen Kriterien genannt, wobei die Basis hier weniger Zuchtwerte, sondern eher Phänotypen, also Leistungen von Müttern und Vorfahren sind.

 

Die wenigen konkret genannten Selektionsmerkmale verdeutlichen eine Balance zwischen Leistungsmerkmalen und funktionalen Merkmalen (Abb. 4). Leistungsmerkmale, insbesondere die Milchleistung, wurden in einigen Fällen mit dem Hinweis genannt, dass explizit nicht immer eine Maximierung gewünscht ist. Das spiegelt sehr deutlich die spezifischen Anforderungen der ökologischen Zucht im Kontrast zu den konventionellen Zuchtzielen wider, was in Begriffen wie „Lebensleistung“ und „Langlebigkeit“ reflektiert wird. Neben der Abstammung sind persönliche Empfehlungen und Anpaarungsempfehlungen z. B. von Zuchtorganisationen weitere wichtige Auswahlkriterien. Aber auch Aspekte wie Preis, Verfügbarkeit, Behornung und Embryotransfer geben einen Hinweis auf bereits bestehende Probleme in der Zuchtpraxis einzelner Betriebe mit konventionellen Zuchtstrukturen, die solche Kriterien nicht berücksichtigen.

Zuchtstrategien

In Ergänzung der dargestellten Kriterien zur Bullenauswahl, die ein wichtiger Baustein der betrieblichen Zuchtstrategie ist, spiegeln die weitergehenden Angaben von 163 Betrieben zur generellen Zuchtstrategie auch Selektionskriterien für die weiblichen Tiere auf den Betrieben wider. Der Großteil der Befragten hat sich auch hier auf die vorgegebenen Antwortmöglichkeiten „Kuhfamilienzucht, Selektion auf Lebensleistung, Selektion auf Grundfutterleistung oder computergestützte Anpaarungsplanung“ beschränkt. Das dennoch breite Spektrum an genannten Strategien, das in Abb. 2 dargestellt ist, komplettiert das Bild aus dem vorangegangenen Abschnitt. Der hohe Stellenwert funktionaler Aspekte wird hier nochmals deutlich betont und z. B. um Robustheit, Fitness, Verhalten oder auch Tierzucht ohne Kraftfuttereinsatz erweitert. Die Kuhfamilienzucht als dezentrales einzelbetriebliches Zuchtverfahren (Baars et al. 2005), das die Unabhängigkeit von externen Zuchtstrukturen vermindern kann, ist zudem stark verbreitet.

Fazit und Ausblick

Das im ersten Projektbeitrag (Scheper 2017) festgestellte Risikopotenzial für die Hörnerzucht in den anteilsmäßig großen Rassen HOL und FV konnte anhand der Umfrageergebnisse noch weiter konkretisiert werden. Die potenzielle Abhängigkeit etwa eines Drittels der Betriebe von der künstlichen Besamung und in der Regel von konventionellen Zuchtstrukturen und -program­men verdeutlicht die Notwendigkeit einer frühzeitigen Sensibilisierung der Betriebe für die Problematik und die Suche nach züchterischen Alternativen wie den Einsatz von Deckbullen. Die verbandsinterne Etablierung und Ausweitung einer einzelbetrieblichen Zuchtberatung könnte hier Abhilfe schaffen und in Synergie mit den bereits bestehenden Initiativen (z. B. im BÖLN-Projekt „Hörner im Laufstall“) das langfristige Risiko durch die Hornloszucht eindämmen. Es ist aber zu beachten, dass der überwiegende Teil der Betriebe diese Alternativen bereits heute umsetzt.

 

Neben dieser direkten Risikoprävention verdeutlichen die Analysen zur Größe der Population, dass die Hörnerzucht vor allem auf der Förderung von Austausch und Vernetzung der Züchter fußen sollte, um den Transfer von Zuchttieren und die Abstimmung der Zuchtstrategien und -ziele voranzutreiben. Dies gilt insbesondere für die kleineren und bedrohten Rassen. Der Aufbau übergeordneter, zentralisierter Zuchtstrukturen im Sinne eines eigenen Zuchtprogrammes, das unabhängig von konventionellen Zuchtprogrammen machen könnte, ist in Anbetracht der Tierzahlen nur in den größeren Rassen realistisch und auch dort eher als langfristiges Ziel anzusehen.

Quellen

  • Baars, T., G. Schmidt, M. Olbrich-Majer (Hrsg.) (2005): Linienzucht mit Kuhfamilien. Verlag Lebendige Erde. Darmstadt.

  • BLE 2018. TGRDEU. https://tgrdeu.genres.de/

  • Lfl Bayern. (2018): Der Ökologische Gesamtzuchtwert April 2018. https://www.lfl.bayern.de/itz/rind/018887/index.php

  • Scheper (2017) Horntragende Rinderzucht sichern – Eine Status-quo-Analyse der Zucht hornloser Milchrinder.
    Lebendige Erde 1/2017 S.30–33

Autor

MSc. Carsten Scheper ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Tierzucht und Haustiergenetik der Justus-Liebig-Universität Gießen, Carsten.Scheper(at)agrar.uni-giessen.de