Hintergrund

Ernährungswende von unten

Ernährungsräte wollen Erzeuger, Händler und Konsumenten regional vernetzen

von Susanne Aigner

 

Woher kommt das, was sich Essen nennt? Wie und wo wird es hergestellt? Nach Jahrzehnten der indus­triellen Verköstigung wollen immer mehr Menschen mehr Einfluss auf die Erzeugung ihrer Lebensmittel nehmen. Sie wollen wissen, woraus ihr Essen besteht, was es im Körper bewirkt, welche Effekte die Produktion auf die Umgebung hat. In sogenannten Ernährungsräten treffen sich Bürger, Aktivisten, Lokalpolitiker, Behördenvertreter und Landwirte, um neue Strategien rund um die Ernährung zu diskutieren. Vor allem aber geht es darum, dass die Lebensmittel in derselben Region erzeugt werden, in der die Aktivisten leben.

 

Bereits vor der Gründung eines Ernäh­rungsrates im März 2016 setzte sich der Kölner Verein Taste of Heimat­ für eine regionale, nachhaltigere Lebensmittelversorgung ein. So geht es bei der Essbaren Stadt in Köln vor allem um eine ökologische Versorgung mit Obst und Gemüse. Der Kölner Ernährungsrat besteht aus 30 Menschen aus öffentlichen Ämtern, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, aus Bäckern und Gastronomen. Geleitet von einer hauptamtlichen Mitarbeiterin bringen vor allem Ehrenamtliche ihre Ideen ein. Als man auf dem ersten Treffen in sieben Arbeitsgruppen zum Gemüseanbau in der Stadt diskutierte, ging es nicht nur um den Anbau auf öffentlichen Grünflächen, sondern auch in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Kitas und Pflegeheimen. Jedes Stadtviertel soll einen eigenen Gemeinschaftsgarten erhalten. Diskutiert wurden sogar essbare Firmengärten. Außerdem kam der Wunsch nach mehr Ackerflächen für die Selbsternte auf.

Urbane Biotoppflege

Da sind zum Beispiel die vierzig städtischen Wiesen mit alten Obstbeständen und seltenen Sorten. Nach Joachim Bauer vom Amt für Landschaftspflege und Grünflächen ist die Kommune zwar verpflichtet, sie zu betreuen, kann aber eine umfassende Pflege im Sinne der Erhaltung alter Sorten und Biotope alleine nicht leisten. Auch aus diesem Grund will er mehr Menschen zum Mitmachen motivieren. Ein anderes Beispiel ist das Projekt „Grüne Infrastruktur“, mit dem der dürftige Grüngürtel im rechtsrheinischen Stadtgebiet gestärkt werden soll. Auf den zwei Ackerflächen, die sich hier befinden, könnten sich Menschen aus den benachbarten Stadtteilen treffen und gemeinsam gärtnern.1

 

Diskutiert wird außerdem, inwieweit auch konventionelle Betriebe einbezogen werden. Zumindest in Köln will man diese nicht ausschließen. Im Vordergrund stehe schließlich die regionale, bäuerliche Landwirtschaft, erklärt Amarine von Gillern. Die Bäuerin kultiviert 50 Kilometer von Köln entfernt Kartoffeln und Zwiebeln. Auf ihrem kleinen Familienbetrieb liegen alle Arbeitsschritte – Ernte, Sortierung, Verpackung, Verkauf – in einer Hand. Als Mitglied des Ernährungsrates sitzt sie außerdem im Ausschuss „Regionale Direktvermarktung“. Hier will sie Menschen in und um Köln mit den Landwirten in der Region in Kontakt bringen und die Vermarktungswege für regionale Produkte verbessern. Dabei sind noch etliche Fragen zu klären: Was wird wo in welchem Umfang angebaut? Wo kommen Saatgut und Futter her? Um besser beurteilen zu können, was ein regionales Produkt überhaupt ist, erarbeitete sie mit ihren Kollegen Leitlinien für regionales und nachhaltiges Wirtschaften. Bei ihren Recherchen war sie von der Vielfalt an Lebensmitteln überrascht, die rund um Köln erzeugt werden. 2

Kinder lernen besser beim Selbermachen

Die Kinder- und Jugendpädagogische Einrichtung von Köln hat ihren größten Wohnbereich im Stadtteil Brück.3 Im Gegensatz zu anderen Stadtvierteln gibt es hier rundherum noch etwas Landwirtschaft. Für die Kinder wäre dies eine gute Gelegenheit zu erfahren, dass ihr Essen auf dem Acker und auf den Bäumen wächst, glaubt Stefan Lück. Der Ernährungswissenschaftler setzt sich im Kölner Ernährungsrat für Lebensmittelvielfalt und kurze Wege ein und stellt sich eine Kooperation mit einem Landwirt vor. Kinder lieben es, Dinge zu entdecken und selber zu machen. Ganz nebenbei dürfte der Lerneffekt größer sein als beim Stillsitzen in der Schule. Die Sprachwissenschaftlerin Sonja Eisenbeiß engagiert sich seit Anfang 2017 im Ausschuss „Essbare Stadt“. Sie ist überzeugt: „Wenn Kinder beim Winden von Kräutern über deren Größen und Farben reden, lernen sie nicht nur viele neue Wörter. Sie lernen auch, dass Senf, den sie bisher nur aus dem Glas kannten, eigentlich eine gelb blühende Pflanze ist.“ 4

Regionales Gemüse für Kitas und Schulen

Auch in Frankfurt setzten sich im August 2017 Vertreter von Transition Town, Slow Food, Echt Hessisch, Solidarischer Landwirtschaft, Umweltdezernat und Energiereferat zusammen, um einen Ernährungsrat zu gründen. Neben Urban-Gardening sollen bereits bestehende Kleingärten die Stadtbewohner mit saisonalen Produkten versorgen. Zudem sollen Kitas, Schulen, Kantinen und Krankenhausküchen mit regionalen Produkten beliefert werden. Auch hier geht es um die Frage, wie regionale Anbieter ihre Produkte am besten auf Bauernmärkten, in Bio-Läden, in Reformhäusern oder im städtischen Einzelhandel vermarkten können. Die Wege sollen nicht nur kurz sein, sondern möglichst umweltfreundlich zurückgelegt werden. Ob Trinkwasserversorgung oder neue Schulbauernhöfe – diskutiert wird alles rund um die Ernährung. Wichtig ist den Frankfurtern, dass alle Aktionen gemeinsam durchgeführt und öffentlich gemacht werden, weil nur so das Bewusstsein für eine gesunde Lebensweise geschärft wird. 5

Nürnberger Bio-Buddies

In Nürnberg und Umgebung besteht bereits seit Längerem ein Netzwerk aus lokalen und regionalen Initiativen wie Gemüse-Selbsterntegärten, Biobauern und Demeter-Verbrauchern.6 In der Öko-Modellregion wird die Erzeugung regionaler Bio-Produkte gefördert. Über Initiativen wie Solidarische Landwirtschaft soll die Zusammenarbeit zwischen Landwirten und Verbrauchern stetig verbessert werden. Im Fokus stehen dabei alte Obst- und Gemüsesorten und regionale Nutztierrassen. Konventionelle Betriebe sollen zudem motiviert werden, auf Bio umzustellen. Auch die bayerische Regierung will den Anteil der heimischen Bio-Produkte bis 2020 verdoppeln und so auch die regionale Wertschöpfung stärken.7 Unter dem Namen Bio-Verbraucher e. V. haben sich Bio-Erzeuger, -Händler und -Konsumenten zusammengeschlossen, um sich über Quantitäten, Qualitäten und Preise zu verständigen – erste assoziative Wirtschaftselemente werden geprobt. Auf dem Internetportal bio-verbraucher.de veröffentlicht der Verein regelmäßig Bio-Adressen, Infos und Termine. 8

 

Neuerdings bietet der Verein sogenannte Bio-Buddies zur persönlichen Beratung an. Auf Anfrage begleiten sie Einzelpersonen und Gruppen beim Kennenlernen der Stadt Nürnberg. Sie beraten beim Kauf ökologisch und regional hergestellter Produkte und stehen bei Bedarf zur Seite, wenn es ums Einkaufen, Kochen oder einen Restaurantbesuch geht. Will jemand auf vegetarische/vegane Ernährung umstellen, stehen die ehrenamtlichen Helfer ebenso zur Verfügung wie bei der Planung eines Bio-Essens im Familien- und Freundeskreis.

 

Längst sind nicht alle Fragen rund um die städtische Ernährungssouveränität beantwortet. Die Bewegung hat gerade erst begonnen. Ob eine umfassende Ernährungswende von unten gelingen kann, hängt vor allem von den Menschen ab, die aktiv werden, um die Nahrungsversorgung wieder in die eigene Hand zu nehmen.

 

Die Idee des Ernährungsrates entspringt einem studentischen Projekt in Tennessee/USA in den 1980er-Jahren. Dem folgten Policy Councils in Nordamerika, die anfangs nur Lücken in der Nahrungsversorgung deckten. Heute gelten sie als ein wichtiges Instrument der Ernährungspolitik in der USA: Waren es 2004 noch 29 Councils, hatte sich ihre Zahl bis 2014 auf 263 erhöht. Der Food Partnership Brighton and Hove war der erste Ernährungsrat in Europa, weitere Initiativen folgten in Bristol und Rotterdam. In Deutschland arbeitete die Berliner AG „Stadt und Ernährung” 2014 ein erstes Konzept aus. Offiziell besteht der Ernährungsrat seit April 2016. Im Jahr darauf folgten Ernährungsräte in Frankfurt am Main, Dresden und Oldenburg. In Hamburg, Kiel, Wiesbaden und im Saarland befinden sich weitere in Gründung. 9

 

Susanne Aigner ist Agrarjournalistin und lebt in Witzenhausen bei Kassel: http://www.biosicht-redaktionsbüro.de