Initiativen

Auf dem Hof inklusiv werden!

Die Fachstelle Maßstab Mensch in Niedersachsen hilft dabei

von Martina Rasch

 

Es gibt soziale Einrichtungen, die Landwirtschaft als Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder als Integrationsfirma betreiben, und es gibt landwirtschaftliche Betriebe, die eigene soziale und pädagogische Angebote in ihr Tätigkeitsfeld integrieren. Eine wirklich kooperative Zusammenarbeit der Praxisfelder Soziale Arbeit und Landwirtschaft bildet bislang die Ausnahme.

 

Der ländliche Raum wird für jeden Menschen, der auf Unterstützung angewiesen ist, zu einem Problem. Jeder Einkauf, jede Freizeitaktivität, das Erreichen sozialer Angebote wird zu einer Konfrontation mit der eigenen Einschränkung. Mit der Folge, dass hier deutlich mehr Menschen mit Unterstützungsbedarf in Wohnheimen leben, in der Familie verbleiben oder eben in die Stadt ziehen, wo ihnen in einem umfänglicheren und zugänglicherem Maße Hilfen zur Verfügung stehen.

 

Diese Einschränkung wird sich nur überwinden lassen, wenn vorhandene Lebens- und Sozialräume aktiv und verbindlich in die Unterstützung von Menschen einbezogen und auch finanziert werden. Gemeint sind damit Nachbarschaften, Familien, Höfe, aber auch Kleinbetriebe. Eine solche Wendung kommt dem gesellschaftlichen Leitmotiv der Inklusion, aber auch generell anstehenden Entwicklungen im ländlichen Raum entgegen.

Ein Angebot im ländlichen Raum

In Niedersachsen haben sich dafür Profis der Sozialen Arbeit, Höfe und Familien zum Netzwerk Maßstab Mensch zusammengefunden. Im Zentrum dieses Netzwerkes ist ein Fachdienst tätig, der Höfe und Familien bei der Konturierung individueller, sozialer Angebote berät und aktiv begleitet. Was wollen und können Hof und Familie überhaupt anbieten? An wen richtet sich ihr Angebot? Entscheidend sind dabei weniger Diagnosen, sondern vielmehr die Fähigkeiten und Interessen der Menschen. Die Fachstelle Maßstab Mensch übersetzt die individuellen Angebote in die Logik und Sprache der Sozialen Arbeit und ihrer Finanzierungssysteme. Als verlässlicher Ansprechpartner für Menschen mit Beeinträchtigungen und für soziale Einrichtungen wird sie für diese, wie für Höfe und Familien zu einem wichtigen Faktor in der Zusammenarbeit. Die Fachstelle begleitet die Anbahnung und das gegenseitige Kennenlernen von Hof, Familie und Mensch mit Unterstützungsbedarf. Sie hilft bei der Antragstellung, übernimmt die Abstimmung und Verhandlungen mit den behördlichen Fachdiensten und entlastet damit Hof, Klient und Kostenträger. Denn diese neuen inklusiven Hilfsangebote müssen für alle verstehbar sein, um letztlich auch finanziert werden zu können. Die Fachstelle sichert zudem Qualitätsanforderungen, die an eine zeitgemäße Soziale Arbeit gestellt werden.

 

Aktuell kooperiert die Fachstelle mit fünf Höfen, die jeweils sehr unterschiedliche Angebote machen: Zwei Gärtnereien unterstützen Menschen nach einer psychischen Krise darin, sich an gemeinsamen Tätigkeiten auf dem Hof zu beteiligen. Eine Gärtnerei entwickelt in Kooperation mit der Fachstelle und der benachbarten Waldorfschule ein schulergänzendes Angebot für Kinder. Ein anderer Hof hat sich zu einem generationsübergreifenden Wohn- und Arbeitsprojekt entwickelt, der zwei Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen ein unterstütztes Leben in der Familie ermöglicht. Dazu wurden entsprechende Miet- und Betreuungsverträge geschlossen. Zusätzlich bietet der Hof in Kooperation mit einer Werkstatt für behinderte Menschen fünf Außenarbeitsplätze in den Bereichen Land- und Hauswirtschaft an. Ein weiterer Hof macht individuell assistierte Urlaubsangebote für Menschen mit Beeinträchtigungen. Alle Angebote sind aus der Zusammenarbeit entstanden und entwickeln sich aus ihr stetig weiter.

Zur Verteilung des Angebots „Betreuten Lebens in Familien“ in den Bundesländern: in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gibt es dieses Betreuungsangebot bisher nicht. In anderen Bundesländern haben Modellprogramme in Zusammenarbeit mit den Sozialministerien zu einer größeren Ausweitung geführt. In Baden-Württemberg gibt es derzeit 35 professionelle Anbieter, in NRW sind es 36, in Bayern 29, in Thüringen 2, in Schleswig Holstein 5.

Mehr unter: http://www.bwf-info.de/bwf_e2/bwf_e2_frame.htm

Mit Unterstützung auf einem Hof leben

Wichtig ist, dass Hof und Familie natürlicher Lebensort bleiben, denn Menschen mit Beeinträchtigungen suchen immer mehr nach „normalen“ menschlichen Lebensräumen, in denen sie sich mit ihren Eigenschaften und Fähigkeiten einbringen können. Jeder Mensch hat neben dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung, auch das Bedürfnis, „durch das eigene Tun Bedeutung für Andere zu haben“. Höfe und Familien­, die sich für Menschen mit Beeinträchtigungen öffnen, werden zu Mit-Ermöglichern von solchen Aktions- und Erfahrungsräumen. Die Fachstelle gestaltet für sie die Beziehung zum bestehenden Hilfesystem mit seinen fachlichen Standards, seinen Planungsinstrumenten und seinen Entwicklungsverständnissen. Damit schützt sie Hof und Familie davor, sich in ihrem Lebensmilieu zu sehr versachlichen zu müssen.

 

Eine Familie, ein Hof kann aber nie das gesamte Spektrum an Wünschen und Entwicklungsbedürfnissen eines Menschen befriedigen und sie sollen es auch nicht! Es gilt für Hof und Fachstelle die Balance zwischen den Anforderungen, die der landwirtschaftliche Betrieb, die eigene Familie und die soziale Arbeit stellen, zu finden und konkret zu gestalten. So kann es sinnvoll sein, externe Begleiter z.B. für Aktivitäten außerhalb des Hofes einzubeziehen.

Höfe als sozialer Organismus

Bäuerliche Familien verfügen über vielfältige Erfahrungen, Menschen an ihren Lebens- und Arbeitsprozessen zu beteiligen, weil landwirtschaftliche Arbeit sehr eng mit dem Familienleben verbunden ist. Konkrete Unterstützungsangebote für Menschen mit Beeinträchtigungen, die auf dem Hof leben und unterstützt werden, können sowohl im gemeinsamen Tätig-Sein und Arbeiten als auch in Unterstützungen in der alltäglichen Lebensführung, der individuellen Grundversorgung und in der Gestaltung sozialer Beziehungen erfolgen. Als eigene Stärken in der sozialen Arbeit nannten Hofbetreiber in einer Untersuchung ihre wertschätzende und auf Verständnis gegründete Kontaktfähigkeit und Toleranz. Wichtig sei jedoch, dass die ganze Familie dahinter steht! Der tägliche Umgang mit Menschen fordert nämlich von allen Familienmitgliedern „eine hohe soziale Kompetenz, wie Geduld, die Fähigkeit, Beziehungen knüpfen und festigen, aber auch Grenzen ziehen zu können, ohne verletzend zu sein“. Geeignet sind Familien, die realistisch sind in der Beurteilung der erforderlichen Aufgabe und die Unterstützung annehmen können.

Fazit

Eine aktive Beteiligung von Familien, Höfen und Nachbarschaften in der sozialen Begleitung und Unterstützung von Menschen kann zu einem wirksamen Entwicklungsfaktor im ländlichen Raum werden – für Menschen, die hier mit Unterstützung leben wollen, für Höfe, Familien, Nachbarschaften, die verbindliche Unterstützungen anbieten und für Anbieter sozialer Dienstleistungen, die ihre Fähig- und Fertigkeiten in dieses Beziehungsgefüge einbringen.

Autorennotiz

Martina Rasch, Diplom- Sozialarbeiterin

Fachstelle Maßstab Mensch, Umkreis Entwicklungs­gemeinschaften gGmbH , 27367 Horstedt

http://www.umkreis.org/maßstab-mensch-1/fachstelle