Pseudo-Bio

Unser Selbstbild als Umweltschützer

 

Bestimmte Dinge traut man sich hierzulande nicht frank und frei sagen. Wir sind schließlich nicht in England. Das wissen auch die jeweils 1000 oder 2000 von Meinungsforschern zu allem möglichen Befragten. So kommt es, dass die Deutschen angeblich regelmäßig zu 50 % Ökoprodukte kaufen, brav ihren Müll trennen, auf der Autobahn höchstens 130 fahren und gegen Tierfabriken sind. Für alle Untaten sind die anderen wenigen Prozent schuld. Wo kommt der Sperr- und Hausmüll im Wald auf meinem täglichen Weg zur Arbeit her? Warum liegt der Marktanteil der Öko-Lebensmittel nur bei 5 %? Warum wohl ist das Hähnchenfleisch im Discounter so billig? Und wer kauft den Atomstrom?

 

Mit der Wahrhaftigkeit haben es die Deutschen in Umfragen offenbar nicht so – political correctness geht da vor, auf muttersprachlich: nicht alleine dastehen mit seiner Meinung. Immerhin, die Glaubwürdigkeitslücke bei Anna Normalkonsumentin klärt eine Untersuchung zumindest hinsichtlich Bioprodukten auf: Die Sektion Landwirtschaft am Goetheanum fand in einer Umfrage heraus, dass die Bio-Vielkäufer tendenziell etwas Gutes für Welt und Umwelt tun wollen, während die Gelegenheitskäufer mit dem Bio-Konsum eher persönliche Ziele verfolgten und sich dabei weniger konsequent verhalten.

 

Doch nicht nur Verbraucher stellen sich gerne positiver dar, wenn sie gefragt werden. Unternehmen, zumal der Lebensmittelindustrie tun, das ganz ungefragt. Tütensuppenhersteller Knorr ermöglicht Städtern, einen Garten im Hinterhof anzulegen, was im Produkt nicht drin ist, wird mittels Image angefügt. Bauern werben mit regionalen Schinken, das Futter aber kommt aus Übersee. Auch Bio-Verarbeiter benutzen Aromen, schließlich erlaubt der Gesetzgeber sogenannte naturidentische, nur bei Demeter müssen sie ausschließlich von der Frucht extrahiert sein.

 

Wir alle sind mehr oder weniger gespalten: Mit unserem Job vergrößern wir meist unseren ökologischen Fußabdruck, mit unserem bewussten Einkauf mindern wir ihn etwas. Wir delegieren daher unsere Ansprüche zunehmend an Regelwerke und Kontrollen, an Politik und, neu – an Unternehmen. Doch sind deren Nachhaltigkeitsberichte zwar ein Fortschritt, meist jedoch hochglänzendes Greenwashing. Überhaupt, der Begriff „nachhaltig“. Schon seit Jahren ist die chemische Industrie daran, mit Publikationen und Symposien diesen für die Landwirtschaft neu zu definieren, dem Ökolandbau definitorisch das Wasser abzugraben. Inzwischen ist das Wort so ausgehöhlt, dass die neue, 2,4 Milliarden schwere Strategie der Regierung für die sogenannte „Bio“-Ökonomie (noch so ein Begriffsklau) also die geplante Umformung der Landwirtschaft zur Industrie, auch mit Hilfe der Gentechnik, als nachhaltig verkauft werden kann: Laufzeitverlängerung für „Life-Science“-Konzerne. Letztlich ist das aber auch die Folge davon, dass wir unsere Ernährung immer mehr den Lebensmittelmultis überlassen. Für alle diese „Big Player“ werden dann wiederum politische Regeln gemacht – angeblich Agrarpolitik-, die es Bauern oder Metzgern schwer machen, zu bestehen. Doch systemrelevant sind die Landwirte, nicht die Konzerne.

 

Wie dieses Spiel läuft, beschreibt z.B. Tanja Busse in ihrem lesenswerten Buch: „Ernährungsdiktatur“. Und zieht den Schluss: Gesellschaft gestalten mit dem Einkaufkorb ist erfreulich, reicht aber längst nicht. Es braucht politisches Engagement und zivile Aufmerksamkeit. „Es geht auch anders“ – so ein Buch von Niolai Fuchs dazu. Dafür stehen die Bio-Verbände, nicht aber einfaches EU-Bio, das von deren Aktivitäten profitiert. Gerade sind sie wieder gefragt: Still und leise entschieden CDU und FDP Politiker im Haushaltsausschuss des Bundestags, dass das bescheidene Förderprogramm für Ökolandbau auch für Nicht-Ökos geöffnet wird. Den Namen behält es bei.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3 Nr.12, Dezember2010, http://www.info3.de