Kosmisch - reloaded

Biodynamik zwischen Praxis und Metawissenschaft

 

Ja, der Kosmos lässt uns nicht los, besonders wenn´s ums Biodynamische geht. Drehen wir noch eine Runde! Die klassische Lehre der Dynamik leitet sich von den Bewegungen der Planeten und Gestirne ab. Diese haben jahrtausende lang den Menschen den Rhythmus angegeben, in Stonehenge, Assur, Chichén Ìtza oder Alsbach angezeigt, was die Jahreszeit geschlagen hat; das gilt noch heute für die Terminierung des Osterfestes. Viele Muster nicht nur in unserer Kultur, auch in der Natur, sind aus dem Kosmos vorgespurt, das Leben auf der Erde steht ja mittendrin. So korrelieren, von der Erde aus betrachtetet, z. B. Planetenzyklen geometrisch mit bestimmten Blütenstrukturen, schön beschrieben in den Büchern von Joachim Schultz oder Ernst-Michael Kranich.

 

Die Relevanz des „kosmischen“ für alltäglich-irdisches ist jedoch nicht so ohne Weiteres zu entschlüsseln, selbst mit dem so einfach zu beobachtenden Mond: Nach welchem seiner vielen Rhythmen soll ich nun Radieschen gießen? Hartmut Spieß hat in seiner Forschung über zwölf Jahre immerhin einige Wirkungen der Hauptrhythmen des Mondes auf Pflanzen ermittelt. Was auch zeigt: das Thema Kosmos ist nichts für Ungeduldige.

 

Steiner geht es bei seinen Hinweisen auf diese Dimension des Lebens wohl auch eher um eine grundlegende Alchemie des Lebendigen, zu begreifen als Metawissenschaft, weniger Natur- denn Kulturwissenschaft. Seine Anthroposophie will ermöglichen, die großen Zusammenhänge zu verstehen und von daher die Details herzuleiten.

 

So hat der Forschungsring für Biologisch-Dynamische Wirtschaftsweise lange Jahre systematisch polare Licht- und Schattenwirkungen im Pflanzenwachstum untersucht, als Grundlagen zur Beurteilung der Qualitäten im Pflanzenwachstum oder von Lebensmitteln. Substanzen und Prozesse lassen sich demnach polar ordnen, z. B. Stickstoff und flaches Wurzeln zu einem wässrig-mineralischen, „schattigen“ Pol, Aromabildung oder tiefes Wurzeln eher zum „sonnigen“. Dem zugrunde liegt das Verständnis, dass die aufbauenden Lebensprozesse lichtinduziert sind, und letztlich die in die Ernährung harmonisch eingebundenen Lichtkräfte dem Menschen die Emanzipation vom rein irdischen ermöglichen.

 

Wie differenziert Sonnen- und Erdenkräfte wirken, lässt sich u.a. mithilfe der Dissertation von Jürgen Fritz verstehen: Er verknüpft die Angaben Steiners zu den fünf kosmisch-irdischen Kräfteströmen mit der These, dass diese sich in den das Wachstum regulierenden Pflanzenhormonen wiederfinden. Hornkiesel frischt im biodynamischen Modell den für den Wachstumsstrom verantwortlichen Teil der Sonnenkräfte auf, der von unter der Erde gespiegelt und durch den äußeren Planetenkreis modifiziert wird. Für Längenwachstum und Fruchtausbildung aber ist das Hormon Gibberellin in der Pflanze zuständig. Das war ein Treffer! Hornkiesel zeigte im Versuch Wirkungen, wie von einer Gabe des Hormons zu erwarten.

 

Biodynamisch betrachtet sind also kosmisches und irdisches immer verknüpft. Die Himmelswelt liefert vielfältige Vorlagen für die Natur, unter anderem die sieben Planeten für die prinzipiellen Lebensvorgänge Atmen, Wärmen, Aufnehmen, Abgeben, Erhalten, Wachsen und Erneuern. Der jeweilige Mix der Kräfteebenen und –ausprägung beschreibt Typisches wie Abweichendes, Das ist Grundlage für Bauern und Gärtner, die Balance des ihnen anvertrauten auszurichten.

Noch eins lehrt die Himmelsbetrachtung: Kein Moment gleicht einem anderen. Selbst wenn das platonische Weltenjahr sich wiederholt, steht die Sonne längst an ganz anderer Stelle unserer Galaxie. Jeder Tag ist neu, das ist die Grundlage für Geistesgegenwart. Daher kommt es mehr auf Wesensverständnis denn auf Stochastik an, denn dieses ist bereit für Neues, jene extrapoliert aus dem Gestern.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, Oktober 2011, http://www.info3.de