Das Geistige an der Möhre

Was uns ernährt

 

Der Mensch ist, was er isst? Oder isst er, was er ist? Egal wie herum: das ist die materialistisch-stoffliche Betrachtung. Aber sie trifft weder wissenschaftlich noch biodynamisch betrachtet zu – höchstens zeigt sich das vielleicht bei Krankheiten oder an der Gesichtsfarbe von Kleinstkindern mit verschärftem Möhrenbreikonsum. Schließlich wird alles, was wir normalerweise zu uns nehmen, von unserem Körper ins Kleinste zerlegt, ausgenommen Umweltgifte. Und, wenn man genau nachrechnet, bleiben nur fünf Gramm des täglich Aufgenommenen in uns zurück.

 

Was also ernährt uns?

Es scheint, als komme es beim Essen mehr auf die Qualitäten an, als auf die Quantitäten. Das wird sofort einsichtig, wenn wir uns klarmachen, dass das Aufnehmen von Nahrung unsere intensivste Verbindung zur Welt ist: Wir lassen sie sinnlich und stofflich in uns hinein und das in eine Region, die sich unserem Bewusstsein teilweise entzieht! Nicht umsonst ist der Darm so dicht umflochten von Nerven wie kein anderes Organ außer Hirn und Mark. Und wenn wir uns außerdem daran erinnern, dass das Auge mitisst, sprich, der ganze Mensch mit seinen Sinnen und Empfindungen beim Essen dabei ist, wird deutlich: Ernährung besteht aus viel mehr als nur aus Stoffnachschub oder Energie.

 

In der Quantenphysik entsteht alles aus Beziehung und schon Goethe stellte fest: in der lebendigen Natur geschieht nichts, was nicht in einer Verbindung mit dem Ganzen steht. In einer Mahlzeit spiegelt sich die ganze Geschichte eines Lebensmittels ebenso wie unsere eigene Geschichte und Verfassung zu diesem Zeitpunkt. Alles andere also als nebensächlich! Die Fragen, die sich daraus ergeben, reichen bis zur Gerechtigkeit in Zeiten der Globalisierung, zur Politik und zum Weltfinanzsystem. All das essen wir mit. Auch wenn in einer Küche Despotismus oder Ausbeutung herrschen. Wir essen nicht allein für uns.

 

War das mit geistig gemeint? Sicher auch, doch haben die sinnlich erfahrbaren Qualitäten ebenfalls eine geistige Seite. Was uns aufbaut und zu Menschen formt, sind vielerlei Eindrücke und Intentionen, nicht nur das Essen. Dieses allerdings kann uns dabei unterstützen, man denke z. B. an Sportler. Anthroposophisch gedacht entwickelt der Körper durch das Zerlegen der Nahrung Kräfte in Reaktion auf das jeweilige Lebensmittel. Wir essen nicht so etwas wie Bildekräfte, sondern der Körper orientiert sich an ihnen. Umso besser, wenn er dabei lesbare Botschaften bekommt, die stärken, nicht verunsichern, so dass Seele und Geist unbelastet davon sind.

 

Demeter-Landwirte und -Gärtner streben daher an, im Anbau das Typische z. B. der Möhre zu realisieren: kein Dünge- oder Chemiedoping, dafür harmonisieren mittels biodynamischer Präparate. Auch werden für Demeter-Gemüse ungern Hybridsorten angebaut, denn diese sind die züchterische Verbindung zweier Extreme: gut für homogenen Massenertrag, aber zerrissen in ihrer Kräftekonfiguration und meist mager im Geschmack. Genau der ist für biodynamische Züchter ein Auswahlkriterium: Denn Duft, Farbe, Geruch und Geschmack weisen aus der Sinneswelt heraus auf andere Qualitäten hin, wecken in uns Seele und Geist. Steiner nennt das Ernährung durch die Sinne oder „kosmische Ernährung“. SlowFood und Kultursaat krendenzten neulich ein Menü aus der biodynamischen Sorte„Rodelika“.

 

Letztlich ist das, was wir essen, neben spirituellen Aspekten zugleich ein persönliches wie ein politisches Statement: Geben mit unserem Einkauf Aldi &Co. den Auftrag für die Möhren von Morgen oder denen, die sich wirklich kümmern? Mampfen wir, füllen wir uns auf, genießen wir oder bereiten wir uns mit unseren Mahlzeiten vor? Verbinden wir uns bewusst mit der Welt?

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, November 2011, http://www.info3.de