Öko im Mixer

Wie rein muss der Ökolandbau bleiben? Ein Scheingefecht

 

Hundert Prozent Bio und nicht weniger, das ist vor allem eine Aussage für Verbraucher, auf die sie sich verlassen wollen. Doch ist „bio“ ja kein Naturgesetz, sondern von Menschen erdacht und definiert, sowohl die Zertifizierung von Lebensmitteln als auch die praktizierte Landwirtschaftsmethode. Daher muss immer wieder darüber nachgedacht und diskutiert werden, was darunter zu verstehen ist, denn weder ist „bio“ ein für alle mal fertig, noch steht die Welt still und wirft keine Fragen mehr auf.

 

So muss der Ökolandbau aktuell Position beziehen zu technischen Entwicklungen wie CMS-Hybriden in der Züchtung oder zur Nanotechnologie. Vor einigen Jahren tauchte die Frage auf, warum der Ökolandbau pflanzliche Herbizide ablehnt. Nicht dass diese schon erforscht wären, aber man kann ja mal fragen. Oder warum steht Demeter der Biogasgülle skeptisch gegenüber, während andere deren rasche Stickstoffwirkung preisen? Aktuell hat Urs Niggli in Schrot&Korn die Frage nach der Weiterentwicklung und Definition des Ökolandbaus aufgeworfen. Der Direktor des größten Forschungsinstituts für Ökolandbau weltweit, des Schweizer FiBL, weiß, worüber er spricht, wenn er zu bedenken gibt, dass Ökolandbau im Hinblick auf die Lösung des Welthungerproblems vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss ist und man über einen Methodenmix, bio mit konventionellen Elementen, nachdenken müsse.

 

Bio-Herbizide gegen Unkraut, Cis-Gentechnik mit kartoffeleigenen Genen gegen Kraut- und Knollenfäule - gerade Wissenschaftler verstehen oft nicht, warum Ökolandbau sich nicht mit konventionellen Techniken mischen will. Sie missverstehen aber im Kern, dass es bei biodynamischen wie bei organischen Wirtschaftsweisen nicht um „Verzicht auf …“ geht, sondern um ein prinzipiell anderes System! In diesem stehen natürliche Selbstregulationskräfte im Vordergrund, die nicht mit naturfremden Mitteln gestört werden sollen. Es geht daher weniger um Stoffe als um Wechselwirkungen, mit denen der Landwirt Gesundheit erzeugt. Ökolandbauforscher unterscheiden dabei drei Stufen: ohne-Chemie-Anbau, agro-ökologischer Anbau und Landwirtschaft, die Wert auf Integrität der Tiere und Pflanzen legt.

 

Zudem denken Wissenschaftler m.o.w. wertfrei, der Ökolandbau aber konstituiert sich gerade durch definierte Werte wie z. B. den Respekt vor natürlichen Zusammenhängen. Da passt Gentechnik, auch jenseits der Kritik ihrer Schwächen und Risiken, eben nicht. Um es mit Goethe zu sagen: „Das Was bedenke; mehr bedenke Wie.“

 

Letztlich: Auf welcher Ebene wird argumentiert? Geht es um die Öko-Gesetzgebung oder geht es um Agrarforschung? Geht es um pauschale und globale Standardrezepte oder um lokale Lösungen? Gerne wird das Kriterium der Effizienz herangezogen, um den Ökolandbau herauszufordern. Das Kilo Hähnchenbrust lässt sich konventionell im Vergleich zu Öko äußerst effizient erzeugen - doch zu welchem Preis? Genau das ist eine Milchmädchenrechnung mit unvollständigen Vergleichen: Nicht die Spezialleistung in einer Einzeldisziplin zählt, sondern die Gesamtleistung. Ökolandbau ist hier wie ein Zehnkämpfer, bietet multifunktionale, nachhaltige Landwirtschaft mit klaren Pluspunkten auf ökologischen, ethischen wie sozialen Feldern, aber keine Weltrekorde.

 

Letztlich muten solche Diskussionen an wie Scheingefechte, die von der krassen Benachteilung ganzheitlich-nachhaltiger Agrarforschung ablenken sollen: ein paar Millionchen für Bio vs. hunderte von Millionen Euro. Klar, warum: die Agrarindustrie lebt von der Zerschlagung des vielfältigen Gemischtbetriebs. Die Ökos mit ihrer eigenen Züchtung, eigenem Dünger, wenig Energieverbrauch und einem System, das wenig kauft, bleiben da eine Gefahr. Denn sie könnten langfristig Recht haben.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, Juni 2014, http://www.info3.de