Leben als ob

Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit bewegen nichts

 

Meine Aha-Erlebnisse waren eine Studie über den Kauf von Bio-Lebensmitteln und eine Rede der damaligen Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner. In ersten Fall kauften nach Selbsteinschätzung so viele Menschen Bio, dass Bio bei locker 20 Prozent Marktanteil statt bei 5 wäre. Und die Rede von Ministerin Aigner zu Landwirtschaft und Welthunger hätte ich sofort unterschrieben. Nur – daraus folgte eher das Gegenteil in ihrem politischen Handeln.

 

So aufmerksam geworden, fiel mir eine Seite unseres Lebensstils auf, die an den Doppelgänger aus dem anthroposophischen Schulungsweg erinnert. Offiziell, in unserer Kommunikation, ja vielleicht sogar in unserem Bewusstsein, leben wir politisch-ethisch –ökologisch korrekt. Tatsächlich aber kaufen wir sparsame Motoren, die dann doppelt so schwere Autos bewegen – der Spritverbrauch steigt – man nennt das Rebound-Effekt. Wir kaufen klimaschonende Biolebensmittel und zum Ausgleich fliegen wir mit dem Jet in den Urlaub.

Ja, das Phänomen ist flächendeckend! Andere kochen für mich, ich schaue zu – im TV. Aldi ruft die Aprikosensaison aus – als ob die im Juni reif wären. Alle wollen die Energiewende – nur wenige tun was. Wir sind entsetzt über verheerende Erdbeben im Hindukusch – und hören nie wieder davon (es war 2005). Das Kartellamt soll den Markt überwachen – und drangsaliert die kleinen Milchbauern. Die EU wollte die Landwirtschaft grüner machen – aber auf ökologischen Vorrangflächen soll Spritzen und Düngen erlaubt sein. Der Ökolandbau soll sicherer werden – die EU wird ihn mit neuen Regeln abwürgen. Die Landwirte spritzen Gift – die Ökobauern sollen schärfer kontrolliert werden!

Die Als-Ob-Illusion fängt schon beim Zuhören an – jeder kennt das: Unser Partner am Telefon tut nur so, als ob er dabei ist; in seinen Denkpausen klappert sachte die PC-Tastatur, das gleiche auf Sitzungen. Den Vogel schoss ein Termin auf der letztjährigen Buchmesse ab: Tim Mälzer kocht auf dem iPad! Als ob man …

 

Wir leben in einer „Als-ob-Gesellschaft“. Geradeausfahren signalisieren, aber abbiegen, ohne zu blinken. Und leben, als ob es einen zweiten Planeten gäbe. Vielleicht ist die gute Absicht da, aber wir schaffen es nicht mehr, sie zur Realität zu machen. Denn Position zu beziehen ist ganz einfach: Ein Aufruf gegen Gentechnik - ich klicke mit. Positionen zu leben aber bedeutet mehr, braucht Permanenz und Kooperation. Dieses Auseinanderfallen von Denken und Wollen hat Rudolf Steiner, der vor 90 Jahren die biodynamische Landwirtschaft initiierte, vorausgesehen. Von Ehrenfried Pfeiffer, einem biodynamischen Forscher, auf dieses Problem angesprochen, sagte er: „Das ist eine Ernährungsfrage“. Was er damit meinte? Nun, weitere Erklärungen sind nicht bekannt. Aber der Ursprungsimpuls der biodynamischen Landwirtschaft umfasst, dass „aus dem Geiste heraus Kräfte geholt werden müssen, die heute ganz unbekannt sind“, die nicht nur die Landwirtschaft ein bisschen verbessern, sondern mit den Nahrungsmitteln uns die Lebendigkeit der Kräfte aufnehmen lassen. Steiner ging von einer Kräftedegeneration der Lebensmittel aus. Egal ob man dem zustimmt: Demeter-Landwirte tun alles dafür, dass die Kräfte in der Nahrung wieder stimmen, ob Düngung, Anregung durch Präparate oder eigens gezüchtet Sorten. Auch die Demeter-Bäcker und –Verarbeiter tun das. Das Ergebnis spürt man. Solche Nahrung wird nicht direkt gegen die beschriebene Bewusstseinslücke helfen, aber sicher eine gute Grundlage für die Konzentration auf unsere Entschlüsse sein.

 

Besuchen wir also eine Messe für nachhaltigen Konsum – und finden uns auf einem „Helden“markt. Als ob wir dadurch Helden würden. Spenden Sie für die echten Helden: Ärzte ohne Grenzen im Ebola-Einsatz. (http://www.aerzte-ohne-grenzen.de ). Denn unsere Regierungen tun auch hier als ob …

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, November 2014, http://www.info3.de