Steiners Kurs für Landwirte

Sind seine Vorträge zur Landwirtschaft noch aktuell?

 

90 Jahre biodynamisch – der Kurs in die Zukunft, so hieß es im letzten Jahr, als Demeter ein Jubiläum feierte. Kann dieser Kurs, längst in Buchform, nach 90 Jahren wirklich noch aktuell sein?

Bewegt hat er reichlich: Die Teilnehmer gründeten noch während der zehntägigen Vortragsreihe einen Versuchsring, der dann Biologisch-dynamische Landwirtschaft mit der Marke Demeter rund um die Welt etablierte. Deren Bauern, Forscher und Funktionäre trugen entscheidend zur Entwicklung des Ökolandbaus in Deutschland bei und sind heute noch innovative Vorbilder. In der Gesetzgebung haben sie mit ihrem System einer Marke für Erzeugnisse aus einer Landwirtschaftsform plus Zertifizierung des Prozesses anstelle der Analyse des Produktes - Neuland betreten und waren Vorbild für Ökolandbaurichtlinien bis hin zur aktuellen EU-Öko-Verordnung. Und in der Forschung trugen sie nicht nur zum guten Ruf der Bioprodukte und ihrer Qualität bei, sondern kamen mit neuen Fragen auch zu neuen Erkenntnissen, wie z.B. der, dass Pflanzen aktiv Nährstoffe mobilisieren, oder dass Pflanzen auf den Mond reagieren. Und viele Menschen, die für nachhaltige Landwirtschaft eintreten, ließen sich von Biodynamikern inspirieren. Die Wirkung dieses Kurses misst sich also weniger am Umsatzvolumen oder am aktuellen Umfang der Demeter-Landwirtschaft, in Deutschland unter zehn, weltweit unter einem Prozent der Ökolandbauflächen, als vielmehr an der Kraft seiner Ideen.

 

Also, was ist das für ein Buch, in dem ich jedes Mal, wenn ich darin lese, einen neuen Satz entdecke? Nun, auf jeden Fall kein klassisches Lehrbuch für Bauern, schließlich war Steiner weder Landwirt noch Fachwissenschaftler im gängigen Sinn. Sondern er sprach als spirituell lehrender Kulturforscher zu einem Auditorium, dessen anthroposophische wie landwirtschaftliche Bildung Voraussetzung für die Teilnahme war. Folglich ging es also um einen neuen Zugang zum Bekannten, heute würde man vielleicht sagen, aus tiefenökologischer Sicht. Hinzu kommen neue Aspekte und Verfahren der Landwirtschaft, die aus diesem Kontext geschöpft sind.

Das ist gar nicht einfach zu lesen und zu verstehen. Mein erster Versuch damit endete rasch, und auch biodynamische Landwirte wünschen sich häufig Mal eine „Übersetzung“. Nach Lesekreisen in der Waldorfschule (Und wo sind die Elfen und Gnome?), auf Höfen (Wie wach bleiben nach langem Arbeitstag, wenn andere vorlesen?), im Freundesarbeitskreis (Was heißt das naturwissenschaftlich übersetzt?), mit Forschern (Muss man alles erklären wollen?) und mit Kollegen (Können wir das mal aufmalen?) weiß ich: Es ist ein Arbeitsbuch!. Einmal lesen reicht nicht. In starken, fast poetischen Bildern beschreibt Steiner Gestaltungsprinzipien und Maßnahmen einer Landwirtschaft, die ihre Erneuerungskraft aus sich selbst gewinnen kann. Das ist heute, angesichts modernen Input-Output-Farmings nach dem Vorbild industrieller Fertigung eine erfrischende Provokation. Und die Inspirationen darin sind, obwohl bald ein Jahrhundert alt, längst nicht alle verwirklicht und erforscht.

 

Die Sprache im Kurs ist allerdings für Erstleser äußerst gewöhnungsbedürftig, und das ein oder andere herausgerissene Zitat wurde von Gegnern des Ökolandbaus schon als Munition zum Verunglimpfen genutzt.

Doch schaut man genauer hin, entdeckt man hier die Grundlagen für eine moderne solare Agrikultur: Neu und umfassend ist die Aufforderung, die Landwirtschaft regeneriere sich aus ihren eigenen Kräften: daher komme es darauf an, diese zu intensivieren: Modell dafür ist der Organismus, Landwirtschaft als Art Individualität: das bedeutet, von der jeweils höheren Ebene ist das Lebendige zu regeln: So fordert Steiner z. B., die Erde zu verlebendigen statt die Pflanze zu düngen. Und der Wirkmechanismus Kuh-Klee-Boden wird mittels Biodynamischen Präparaten und Kompostierung optimiert: So entsteht im vielfältigen, ökologischen Gemischtbetrieb das aktuell nährstoff- und klimaeffizienteste Landbausystem, das wir kennen. Das fanden Wissenschaftler in den letzten Jahren in einem bundesweiten Vergleich heraus.

Lassen wir uns inspirieren.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, Januar 2015, http://www.info3.de