Landwirtschaft: ein Organismus mit individuellen Zügen

Das ABC von Pflanze und Boden zwischen Erde und Kosmos

 

Können Sie sich vorstellen, im Innern eines anderen, höheren Organismus herumzulaufen, wie Jonas im Walfisch? Nein? Dann hören Sie mal Rudolf Steiner dazu: „Wir mit den Tieren leben im Bauch der landwirtschaftlichen Individualität.“ So heißt es gleich zu Beginn des zweiten seiner landwirtschaftlichen Vorträge, in dem es um das Zusammenspiel der Kräfte der Erde und des Kosmos geht. Bevor er diese auf dem Kopf stehende Landwirtschaft erläutert, hat er bereits den Kern seiner Landwirtschaftsidee formuliert: „Nun, eine Landwirtschaft erfüllt eigentlich ihr Wesen im besten Sinne des Wortes, wenn sie aufgefasst wird als eine Art Individualität, eine wirklich in sich geschlossene Individualität.“ Landwirtschaft ist da am anthroposophischen Bilde des Menschen formierte Natur, die dessen Ordnung und die Wachstumsfreude der Natur vereint. Denn der Begriff Individualität ist vom Menschen abgeleitet – wir selbst erleben uns so, als Organismus, der auch Bewusstsein hat und sich entwickelt.

 

Was bedeutet das für die Landwirtschaft? Steiner wird konkreter: „Eine gesunde Landwirtschaft müsste das, was sie selber braucht in sich selber eben auch hervorbringen können.“ Saatgut, Kälber, Bodenfruchtbarkeit, Dung, Energie bzw. Zugkraft – dieser Gedanke lebt so richtig nur noch im Biodynamischen. Heutzutage kauft das der Bauer vom vorgelagerten Agrobusiness. Was in die Landwirtschaft hineingebracht werde, so Steiner weiter, das seien eher Heilmittel. Er ist da nicht radikal, die Landwirtschaft exportiere ja auch aus dem Betrieb. Doch sei es sicher nicht einerlei, ob man den Mist zukaufe oder aus der eigenen Landwirtschaft nehme, auch die richtige Mischung der Tierarten sei wichtig. Für Demeter-Betriebe ohne Vieh gilt daher die Pflicht zur Futter-Mist-Kooperation. Im letzten Jahr haben niederländische Wissenschaftler übrigens gezeigt, dass die Düngung mit hofeigenem Mist einen Heimvorteil aufweist – sie wirkt besser, weil dem Boden vertraut.

 

Der Boden – das ist für Steiner das Zwerchfell des landwirtschaftlichen Individualität, ein rhythmisches Organ, das komische und irdische Wirkungen an die Pflanze vermittelt: Kopfpol unter der Erde, Stoffwechselpol über der Erde, vermittelt durch die Trias Kiesel, Kalk und Ton. Das Kieselige im Untergrund reflektiere Kosmisches, bringe das Licht zur Wirksamkeit. Im Verein mit den durch die die sonnenfernen Planeten Mars, Jupiter Saturn induzierten Prozessqualitäten, bestimme es, was die Wurzeln erleben. Ton fördert dies aufwärts, während der Kalk die im Verdauungsraum über der Erde entstehenden Kräfte in den Boden hineinzieht, unterstützt durch die Qualitäten der sonnennahen Planeten Mond, Venus, Merkur. Daher unterscheide sich auch die Wärme über der Erde von der Wärme darunter, tot die eine, lebendig die andere.

 

Auf dieser Basis entwickelt Steiner ein anfängliches ABC des Pflanzenwachstums, in der Polarität Erde - Kosmos: gestaltende Winterkräfte, kosmischer Einfluss bei der Samenbildung – stellen wir uns das Chaosmoment der Zellteilung vor – oder den irdisch-lebendig machenden Einfluss eines guten Humus. Denn Samenbildung und kräftige Pflanzenentwicklung seien zweierlei Vorgänge: Form und Dicke eines Blattes sind nach Steiner irdisch bewirkt, in der grünen Farbe zeige sich beides und bei Blütenfarben oder Aroma der Früchten wirkten die Planeten mit. „Im Apfel essen Sie tatsächlich den Jupiter,“ so Steiner.

Eine solcherart neu verstandene Landwirtschaft sei wichtig, da wir vor einer großen inneren Umwandlung der Natur stünden, deren Kräfte neu belebt werden müssten. Biodynamisch, das ist der Anfang dieser Entwicklung.

 

Michael Olbrich-Majer in Info3, Mai 2015, http://www.info3.de