Portrait

Im Boden spielt die Musik

Mehr Effizienz im Ökolandbau ist das Ziel von Sepp Braun

Der Bioland-Bauer ist nicht nur ein Vorbild für den Aufbau fruchtbarer Böden. Er will auch den Ökolandbau weiterentwickeln, um das Potenzial von Sonne, Pflanze und Boden besser nutzbar zu machen

von Michael Olbrich-Majer

 

Ist Boden so komplex, dass wir ihn nicht begreifen? Unsere moderne Gesellschaft hat vergessen, dass sie vom Boden lebt und vernachlässigt ihn sträflich, da sind sich Sepp Braun und der Besucher einig. Das gilt auch für Landwirte, von denen die meisten mit Mineralstoff- und Energieeinsatz Boden-Fruchtbarkeit simulieren. Braun weiß, wovon erspricht, schließlich hat er als junger konventioneller Landwirt seine Fehler auch so ausgeglichen. Längst aber ist er Botschafter für das Potenzial der Böden. Wenn es so etwas wie eine Liebe zum Boden gibt: Bioland-Bauer Braun pflegt sie mit Hingabe. Bekannt für die hohe Regenwurmdichte in seinen Böden und besonders hohe Humusgehalte ruht er sich auf dem Erreichten aber nicht aus: „Wir kennen erst 10 % der Bodenmikrobiologie“, sagt er. Die Fruchtbarkeit des Bodens bleibt für ihn nach wie vor hoch spannend. Denn 90% der energetischen Photosyntheseleistung der Pflanzen gehe in den Boden, so der Biobauer. Dies besser zu nutzen, dafür wirbt er anschaulich mit seinem Betrieb.

In die Vertikale wachsen, statt in die Fläche

Braun gehört zur Generation der jungen Profis, die in den siebziger Jahren frisch ausgebildet und erfolgreich konventionell arbeiteten, bis sie begannen, umzudenken. Flughafenbau im benachbarten Erdinger Moos, Tschernobyl und die Freunde in der Katholischen Landjugend waren dafür Auslöser. Er versuchte es zunächst mit integriertem Anbau und pflugloser Bodenbearbeitung, aber irgendwann begriff er: konventionell bzw. bio sind zwei grundverschiedene Systeme, halbe Sachen dazwischen tragen in der Praxis nicht weit. „Als Landwirte haben wir eine besondere Verantwortung, da wir mit der Schöpfung arbeiten“ so Braun, der gläubiger Katholik ist. Die Lektüre u.a. von Rusch, Steiner, Francé, Pfeiffer und Müller bestärkte ihn, 1988 umzustellen und auf die natürliche Leistungsfähigkeit der Böden zu setzen: „Die lässt sich auf ein ganz anderes Niveau heben, als wir das heute kennen, mit positiven Folgen für Pflanze, Tier und Mensch“, davon ist Braun überzeugt und engagiert sich dafür. Er studiert dazu nicht nur die Grundlagenliteratur des Ökolandbaus, sondern auch die aktuellsten Forschungsergebnisse und -vorhaben kooperiert u.a. mit den Universitäten Weihenstephan und Kassel-Witzenhausen sowie dem FiBL.

 

Gemeinsam mit seiner Frau Irene und dem Gesellen Sebastian Frey bewirtschaftet er den 54ha großen Hof, den er einst von den Eltern übernommen hat. Käserin Sophie Hofer verwertet die Milch in einem Dutzend Käsesorten, Tochter Johanna nutzt den zum Gastraum ausgebauten Altstall für ihr Angebot Kunst und Catering. Der Hof ist aufgeräumt und in Schuss: Tretmiststall, neue Trocknung für loses Heu, Holzvergaseranlage, Brauns Konzept trägt auch wirtschaftlich. Auch die Erträge stimmen, im letzen Jahr erntete er 66 dt Weizen, die konventionellen Kollegen 100. Wenn er das in Kleberertrag umrechnet, er sät Sorten von Peter Kunz, und dazu noch das Kleegras einbezieht, steht er mindestens so effizient da wie diese, bei deutlich mehr Nachhaltigkeit.

 

Die 22 Kühe bekommen bestes Heu, zur Blüte geschnitten, kein Getreide. Dennoch kommt Braun auf fast 6500 Liter aus dem Grundfutter. Gemäht wird das Gras übrigens mit dem Doppelmesserbalken. Seit zwanzig Jahren züchtete er Schwarzbunte aus dem System Bakels, ein Bulle ist immer dabei, alle drei Jahre durch einen jüngeren ersetzt. Jungtiere gliedert er mittels einer Ammenkuh ohne Probleme in die Herde ein. Ein paar Schweine liegen im Stroh des Auslaufs. Weide ist gleich hinter dem Hof.

 

Gefühl für den Boden entwickeln

Drüberlaufen, graben, reinschauen – „Wir müssen lernen, in den Boden zu blicken“, spricht Braun an die Adresse der Kollegen. Dazu praktiziert der Landwirt nicht nur die Spatenprobe, sondern gräbt auch mal Profile, um ein Gefühl für in den Wohnraum von Pflanzen und Bodentieren auf seinen Böden zu bekommen. „ Es reicht nicht, nur den Oberboden zu betrachten“ so Braun. Denn vieles ergibt sich erst durch die Belebung der tieferen Horizonte, ob Nährstofflieferung oder Versickerungsleistung. Über seine Erfahrungen und über das Potenzial des Bodens hält er pro Jahr 30 Vorträge, vor Praktikern und Professoren. Rezepte vermittelt er dabei nicht. Ihm geht es um Vertrauen in die Natur und deren Potenzial sowie den Versuch einer Partnerschaft zwischen Mensch und Natur.

 

Beim Bemühen um Bodenfruchtbarkeit betrachtet Braun das komplexe Gebilde Boden vereinfacht in drei Kategorien: Auf der physikalischen Ebene geht es ihm vor allem um Struktur, um Raum für Wurzeln und Bodentiere, lockeren Boden, auch in der Tiefe. Also runter mit dem Bodendruck: Braun nutzt nur leichte Maschinen mit geringer Achslast, maximal 5 Tonnen und 0,8 Bar Reifendruck. Dank eigenem Mähdrescher muss er zu schwere Lohnmaschinen gar nicht erst auf seine Flächen lassen. Baustein zwei sind ausgefeilte Pflanzenbestände, die als Mischkultur in den Unter- und Zwischensaaten den Boden in unterschiedlichen Tiefen aufschließen, flach, mittel und tief wurzelnde Pflanzen. Das schafft Wege für Bodentiere und bringt Sauerstoff in den Boden: Luzerne zum Beispiel hebt den Gehalt im Unterboden um 10 % an.

 

Auf der Ebene der Stoffe, der Chemie, setzt er auf die Kombination aus Pflanzenvielfalt in seinem Kräuterkleegras und den Regenwurm. Die Wurzelausscheidungen, nach der Wurzelforscherin Lore Kutschera bis zu 50 kg je ha, lösen Nähr- und Mineralstoffe aus dem Ausgangsgestein des Unterbodens. Im Regenwurmkot sind zwei bis siebenmal so viel pflanzenverfügbare Nährstoffe wie im umgebenden Boden. „Der Regenwurm ist eine Nährstofffabrik“ sagt Sepp Braun, „denn er bringt sie in den Oberboden mit seinem Kot.“

 

Auf der biologischen Ebene komme es vor allem darauf an, so der Bio-Landwirt: „Futter für die Bodenlebewesen anzubieten. „Weg von der Monokultur, hin zur Mischkultur! Dazu muss man die wesengemäßen Ansprüche der Bodenlebewesen lernen“. Nicht „fast-food“ für Regenwürmer, sondern Vollwerternährung: Interessanterweise sind für sie und den Boden auch die Pflanzen brauchbar, die für den Menschen gesund sind, wie Spitzwegerich, Kümmel, Möhre, Wiesenknopf.

 

Fruchtbare Böden durch Regenwurmfutter

Hinsichtlich der Bodenfütterung ist Braun ein Musterbetrieb: Neben seinem bodenstimulierenden „System Immergrün“, verwendet er den Mist seiner Milchkühe, den er zusätzlich kompostiert und neuerdings mit Kohle aus dem Holzhackschnitzelvergaser versetzt. Eigens zur Kompostierung hat er einen überdachten Anbau im Format eines Fahrsilos gebaut, in dem ein Kompostwender selbstständig fährt. Ein Kompostkurs bei Lübkes in Österreich hat ihm da viel genutzt; er belüftet den Kompost von unten, nach sechs Wochen ist er fertig und relativ erdig. Im Tiefstall streut Braun Basaltmehl, täglich 2 kg je Kuh ein, das bindet Ammoniak und fördert im Boden den Aufbau des Ton-Humus-Komplexes.

 

Sepp Braun meint aber, es gehe auf lebendigen Böden auch ohne Rindermist und bringt die unterirdische Masse des Regenwurms ins Spiel: In Versuchen möglich sind bei 600 Würmern je Quadratmeter 80 t Regenwurmkot je Hektar und Jahr, das sind u. a. 280 kg Stickstoff. Auch die Hälfte – Braun zählt mehr als 300 Würmer bei sich, wäre mit Mist allein nicht zu schaffen. Daher ist er bestrebt, Boden über den Regenwurm aufzubauen und rechnet zur Humusleistung der oberirdischen 0,6 Rindvieh-GV bei 400 Würmern je qm 4 Tonnen dazu, das sind 8 GV unterirdisch. Um das Wohlergehen seiner Untergrundhelfer kümmert er sich entsprechend: kein Vergraben von Pflanzenresten – denn die holt sich der Regenwurm von oben. Viel Bodenruhe – in der Fruchtfolge wird der Boden maximal viermal bewegt. Und immer Futter. So mulcht er den letzten Schnitt Kleegras im Herbst und würzt ihn mit einem Schleier reifen Kompostes für die Regenwürmer. Die könnten zwischen September und Mai 60 bis 80 dt Stroh verarbeiten. Pflüge man stattdessen alles unter und lasse die Furch blank liegen, verhungere die die Hälfte, wie Versuche zeigen. Die Fruchtfolge ist ganz darauf abgestellt, mit einem hohen Anteil an Leguminosen und Zwischenfrucht, jeweils in über die Jahre ausgereifter standortbezogener Mischung.

 

40 bis 80 Tonnen verbesserten Boden können Regenwürmer je Hektar und Jahr ausscheiden, das entspricht einem flächigen Bodenauftrag von 1 bis 5 Millimetern. Durch die verdauende und mischende Tätigkeit entstehen nicht nur stabilere Bodenkrümel und tiefe Drängänge, es findet auch ein Nährstoffaufschluss statt:

 

 RegenwurmkotBoden 0 bis 15 cmBoden 20 bis 40 cm
Gesamt Stickstoff %0,350,250,081
N03-N (mg/l)22,04,71,1
P2O5 (mg/l)15020,88,3
Austauschbares Mg49216269
Organischer Kohlenstoff %5,23,231,1
pH-Wert7,06,4 6,0

Aus: W., 1986: Der Regenwurm im Garten, Ulmer Stuttgart, S. 41

Bodenbearbeitung minimieren

„Die Diskussion um Pflug oder nicht Pflug bringt uns nicht weiter“, so Braun. Männer neigten nun mal stark dazu, Probleme mit Technik zu lösen,“ meint er, wozu er auch Universalhilfsmittel wie EM (sog. Effektive Mikroorganismen), Plocher und ähnliches zählt. Für ihn aber kommt es auf das Management des Gesamtsystems Boden-Pflanze an. Das müsse man zunächst verstehen und dann erst beurteilen, ob Verstärkung von außen nötig sei. Kritischer als ein bestimmtes Gerät ist für ihn der falsche Zeitpunkt oder zu tiefe Bearbeitung – immer abhängig von Bodentyp und Bewuchs. Sein Kriterium: kann Lebendverbauung stattfinden? Das geht am besten mit guter Beobachtung und flexibler Technik.

 

Bodenbearbeitung hat für Braun vor allem die Funktion der Unkrautregulierung. Bereits die Fruchtfolge samt steter Bodenbedeckung sowie der Wechsel zwischen Sommerung und Winterung halten das Unkraut gering. Der Landwirt will das Unkraut flach abschneiden und vertrocknen lassen. Das machen Fräse und Stoppelhobel, mit denen er zuletzt gearbeitet hat, ganz gut. Doch stören ihn gelegentlich auftretende Soden, so dass er zurzeit mit einer Kreiselfräse, einer Kreiselegge mit angeschweißten Winkelmessern arbeitet. Die schneidet sauber und es reicht eine Überfahrt. Gesät wird mit einer pneumatischen Drillmaschine auf 6 cm Reihenabstand, Getreide wie Untersaaten, um eine optimale Standraumverteilung und Beschattung zu erreichen.

 

Ökolandbau weiterentwickeln

Sepp Braun hat gelernt, den eigenen Weg immer wieder zu überdenken. Die vielen Besucher auch von Hochschulen tragen ebenfalls dazu bei, dass er Gedanken und Praxis stets hinterfragt. Umso wichtiger ist für ihn das informiert sein rund um das Thema Boden, ob Forschungsberichte oder Klassiker der frühen Öko-Landbaubewegung.

 

Der heutige Ackerbau sei steinzeitlich, findet er. „Ab der Gelbreife passiert nichts mehr auf den Feldern und das in der Zeit, wo die Sonne am stärksten scheint.“ Diese Energie dürfe man nicht verschenken. Sein Stichwort: Blattflächenindex! Der Laubwald verwerte das Sonnenlicht viel effektiver – an dieser Vertikalität müsse sich auch die Landwirtschaft orientieren und entsprechend mehrstufige Anbausysteme entwickeln. So lässt er sich von der Permakultur inspirieren und hat begonnen, Bäume zu pflanzen. 30.000 sind es bereits, so langsam will er seine Flächen umbauen zu einem Agroforstbetrieb: In ca. 10 m breiten Streifen in je 3 Doppelreihen gepflanzt gliedern junge Pappeln, Weiden, Erlen, und Ahorn die Wiesen und Felder des Hofes. Davon will er Holz und Energie gewinnen. Das Leindotteröl ist ihm dafür erstens zu schade und zweitens ist so das Dilemma zwischen Tank oder Teller entschärft. Außerdem sieht er in der Agroforstkultur auch eine Möglichkeit, das Klima positiv zu beeinflussen, neben der CO2-Bindung der Gehölze durch die Verdunstung und ein dadurch wüchsigeres Lokalklima.

 

Im Gespräch weist er auf das Thema Mineralstoffungleichgewichte im Boden hin: „Wir Biobetriebe exportieren seit Jahrzehnten Mineralstoffe. Aber schließen wir sie auch entsprechend im Boden auf?“ Das spiele auch eine Rolle für die Gesundheit der Menschen Vielleicht sind da ganz neue Konzepte nötig, die auch den Nährstoffrückfluss aus der Stadt umfassen könnten. Gefragt nach Biogassubstrat sieht Sepp Braun das als Dünger kritisch: der Bodenkenner hält das für Salzsuppe, die schädlich für den Boden ist. Wenn, dann müsse man die Gülle oder Gärvorgang so verändern, dass stabile Aminosäuren entstehen. Hier verweist er auf Edwin Schellers Forschung. Biodynamische Präparate hat er übrigens noch nicht probiert. Nicht weil er sie nicht für wirksam hält, sondern eher im Vertrauen darauf, dass der Organismus Pflanze-Boden auch ohne diese aufgebaut werden kann. Nach Rusch komme es drauf an im Boden ein geeignetes Milieu zu schaffen, so Braun. „Boden ist etwas eigentlich Gesundes. Wenn wir ein ganzheitliches Bewusstsein vom Boden entwickeln können, dann können wir auch die Probleme der Erde lösen.“

 

Biolandhof Braun

  • 450 m ü NN, Isaraue, lehmiger Sand bis anmooriger Lehm, 28 bis 59 Bodenpunkte

  • 800 mm Jahresniederschlag, 7.7°C Jahresdurchschnittstemperatur

  • 54 ha, davon 37 ha Acker, 17 ha Dauergrünland, insgesamt 5 ha bzw. 7 km Agroforststreifen

  • Fruchtfolge: 2-jähriges Kleegras, Sommerhafer/Leindotter mit Untersaat, Winterweizen mit Einsaat für einjähriges Kräuterkleegras, Sommerung mit Untersaat, Winterroggen mit Kleegrasuntersaat

  • 22 Milchkühe, schwarzbunt, Zucht auf Lebensleistung (Bakels), Ammenkuh im Tretmiststall, ein paar Schweine, 4 Bienenvölker.

  • Hofkäserei, Beteiligung an Gemeinschaftsladen „Gut und Gern“ in München, Catering/Tagen im Kuhstall

  • Heutrocknung, Kompostieranlage, Hackschnitzelheizung, Wiesenblumensamen

  • 5 AK : Betriebsleiterehepaar, Käserin, Geselle, Tochter

  • Josef und Irene Braun, Dürneck 23, 85354 Freising,08161-13247, http://www.biolandhofbraun.de