Portrait

Gutes vom Jakobsberg

Anja Wolff und Frank Böhner haben sich dem Demeter-Schafkäse verschrieben

von Michael Olbrich-Majer

 

Einen Traum verwirklichen, das möchte jeder Mal. Aber wenn er vom Käsemachen handelt? Anja Wolff und Frank Böhner haben hart daran gearbeitet und sich dabei gefunden. Im doppelten Wortsinn: als Ehe-Paar und als unternehmerisches Startup. Sie haben ihre Leidenschaft für guten Käse zum Lebenserwerb gemacht: mit einer eigenen Schafherde, auf einem besonderen Flecken Erde. „Hier haben auch die schwarzen Schafe ein schönes Leben.“ So heißt es locker-flockig auf der Website der beiden Junglandwirte vom Jakobsberg, auf die schwarzen Ostfriesenschafe in der Herde zielend. Mit peppigen Etiketten und flottem Marketing machen sie ihre Käsedelikatessen und das Schafmilcheis vom Jakobsberg bekannt. Und haben sogar schon einen Preis eingefahren, für das beste Neuprodukt auf der Biofach 2016.

Den Weg finden zum Unternehmensgründer

Frank Böhner ist Landwirtssohn, seine Eltern hatten einen mittelgroßen Betrieb in Ortslage mit 45 Hektar und hielten bis zu 70 Sauen zur Ferkelproduktion. Als Jugendlicher interessierte er sich eher für Computer und Internet, aber mit dem Zivildienst auf dem Demeter-Lehenhof fand er eine Antwort auf seine Frage nach dem Sinn und Ziel: Die Arbeit mit den Kühen machte Spaß, er genoss es, viel draußen zu sein, anders als bei den Schweinen zu Hause, und die Menschen, denen er dort begegnete, begriffen Landwirtschaft nicht als Produktionsweise, sondern als Kultur. Also doch Landwirt werden! Lehre bei den Eltern, Fachschule für Ökolandbau in Kleve, Umschauen nach Alternativen zu den Schweinen, Freude am Käsemachen entdecken.

 

Anja Wolff wurde durch ihr erstes Mutterglück vor neue Fragen gestellt. Vom Studium der Kulturwissenschaft in Magdeburg wechselte sie nach Berlin, suchte Wege zurück zu einem ursprünglicheren Leben und spürte ihrer Leidenschaft für guten Käse nach. Sie hatte bereits auf einem ökologischen Ziegenhof gejobbt und ging 2009 zum Demeter-Betrieb Rothenhausen ins heimatliche Schleswig-Holstein. Um Käsemachen zu lernen, absolvierte sie die Ausbildung beim Verband Handwerkliche Milchverarbeitung (VHM). Auf einem Käsekurs in Südtirol traf sie dann Frank.

 

Als es konkret werden sollte, kamen die beiden auf Franks elterlichen Hof zurück. Sie hatten in Gemeinschaftsprojekte hineingeschnuppert, doch sie wollten mehr Landwirtschaft und eher etwas Eigenes: Käse machen. Mit Kühen? Die waren schon seit dreißig Jahren weg vom Hof, der war in Ortslage und zu klein; das also rechnete sich wegen des erforderlichen Investitionsvolumens und der eher kargen Böden nicht. Mehr Schweine im Außenbereich halten, das war nicht nach Franks Geschmack. Also Franks Hobby, die Schafe ausbauen? Dann gäbe es Milch für die Leidenschaft des Paars, den Käse. Aber wer melkt heute noch Schafe? Fachwissen und Zahlen für den Unternehmensplan waren nicht einfach zu bekommen, meist werden Milchziegen gehalten.

Alles auf einmal: Existenzgründung, Betriebsübernahme, Bauen, Umstellen

Vater Josef Böhner hatte Jahre zuvor am Ortsrand einen alten Stall und eine alte Scheune gekauft und stellte nun eine luftige neue Halle daneben: der künftige Schafstall. Anja und Frank hatten inzwischen zwei gemeinsame Kinder und pachteten 2012 den Betrieb, bastelten am Geschäftsmodell, stellten auf Demeter um, bauten Käserei und Wohnhaus, alles binnen zwei Jahren. Der Umstellungsplan entstand in einem Seminar des Fachbereichs Ökolandbau der Uni Kassel-Witzenhausen und war neben Frank Böhners Projektarbeit von der Fachschule eine praktikable Richtschnur. Dennoch haben die beiden heute das Gefühl, dass sie die Betriebsgründung eher ins Blaue hinein starteten.

 

Denn mit dem Start – 58 Schafe waren es am Anfang – fingen die Schwierigkeiten erst an: Milchküche und Wohnhaus mussten her, aber die Baupläne im Außenbereich brauchten eine Befürwortung der Landwirtschaftskammer als betrieblich sinnvoll, damit der Bauantrag genehmigt werden konnte. Die bekamen sie nicht, die Schafe wurden als Hobby eingestuft. Erst eine Intervention über das nordrhein-westfälische Landwirtschaftsministerium bewirkte, dass nicht nur ein einzelner Sachbearbeiter, sondern auch das Ökoberaterteam der Kammer solche Stellungnahmen verfassen durfte, unterfüttert mit der Uni-Studie und Expertisen vom VHM (Verband für handwerkliche Milchverarbeitung im ökologischen Landbau) etc. Die Junglandwirte durften bauen. Aber nur die Käserei und den Melkstand. Die Genehmigung des Wohnhauses dauerte nochmal, auch dessen Bau verzögerte sich, solange wohnte das Paar mit den drei Kindern zur Miete im Ort. Erst 2014 konnten sie einziehen, davor hatten sie mit ihren drei Kindern schon ein Frühjahr und einen Sommer im Bauwagen verbracht. Wie heißt es auf ihrer Website: „Wir freuen uns auf ein landwirtschaftliches Abenteuer …“

 

Auch das Aufstocken der Herde war nicht so einfach wie gedacht. Gute, durchgezüchtete Milchschafe sind eine Rarität, zumal von Bio-Betrieben. Also sollten es Lacaune-Schafe aus den französischen Cevennen sein. Die gab´s nur konventionell. Ihr Fleisch kann, wenn sie bereits so alt sind, dass sie gelammt haben, nicht mehr als Bio verkauft werden. Die zugekauften Tiere bildeten mit den bereits vorhandenen schwarzen Ostfriesischen Milchschafen den Stamm der Herde. Beim Bau der Käserei bezog das Landwirtepaar von Anfang an das Veterinäramt mit ein: Ein guter Draht sei wichtig, dann gebe es auch keine Probleme. Allerdings brauchten sie eine EU-Öko-Zulassung als Verarbeiter, weil ihr Liefergebiet – fünf verschiedene Biogroßhändler – mehr als 100 km im Umkreis umfasst.

 

Mit der Umstellung brachen die Erträge auf den Feldern ein und zwei Ernten mussten zu konventionellen Preisen verkauft werden. Umso wichtiger war die Umstellungsprämie: 520 Euro je Hektar Acker-, 330 Euro für den Hektar Grünland. „Wir hatten ja noch kein richtiges Einkommen und haben dann davon gelebt“, schildert Frank Böhner diese Übergangszeit.

Die besondere Milch der Schafe

Im Herbst 2014 konnten sie endlich mit dem Melken beginnen, aktuell einmal täglich, am Abend. Zwei Stunden braucht Frank Böhner für die aktuell 100 zu melkenden Tiere im Doppelzwanziger Tandemmelkstand. Den hat er gebraucht von einem Ziegenhalter gekauft. Melkzeuge sind erst auf zwanzig Plätzen installiert: „Viel mehr würde ich gar nicht schaffen“ meint er, denn im Schnitt nach zwei Minuten ist die Melkzeit vorbei, da muss er rechtzeitig das Melkzeug abhängen. Einen halben bis einen Liter Milch geben die Tiere. Auch wenn Schafe als langsam melkend gelten, die Taktzahl des Pulsators ist deutlich höher als bei Ziegen oder Kühen. Durch die muttergebundene Lämmeraufzucht wollen manche Schafe nicht gemolken werden und treten. Dass die Lämmer bei den Müttern weitersaugen, macht sich insgesamt in geringerer Leistung bemerkbar. Da die Herde – 180 Muttertiere plus 100 Nachzucht für den weiteren Herdenaufbau – inzwischen überwiegend aus Lacaune-Schafen besteht, erfolgt die Ablammung asaisonal, also übers Jahr verteilt, was die Käseherstellung durchs ganze Jahr hindurch ermöglicht.

 

Die Lacaune sind nicht nur auf gute Euter gezüchtet. Als Zweinutzungsrasse funktioniert mit ihnen auch die Weidemast der Lämmer. Ein Schaf kostet circa 300 Euro, ein Zuchtbock 800, plus Transport, Leistungsdaten und Blutuntersuchung, u. a. auf Scrapiefreiheit. Zwei Böcke laufen mit der Herde mit. Die Schwänze bleiben übrigens dran an den Tieren, notfalls scheren die Jungbauern nochmal nach.

 

Getreide bekommen die Schafe nur zum Anlocken, 100 bis 200 g Haferschrot, die Ration besteht aus Weide bzw. Kleegrassilage, sowie Heu und Haferstroh ad libitum. Um etwas mehr Eiweiß in die Ration zu bringen, plant Frank Böhner, auch Weizen zu verfüttern und die Schrotmühle durch eine Quetsche zu ersetzen. Hafer und Weizen bauen die Jakobsberger auf ihren 65 ha Ackerflächen an, von denen 15 ha Futterbau sind und eine kleine Fläche für die eigenen Kartoffeln. Insgesamt ist die Ausstattung beim Grünland eher knapp und es ist schwer, an Flächen zu kommen: investitionsstarke konventionelle Veredelungswirtschaft breitet sich auch hier mehr und mehr aus. So sind die 170 Schafe für Frank Böhner erstmal genug, und langsames Wachstum angesagt. Aktuell ist die Herde aufgeteilt: Milchschafe mit den Sauglämmern, Lämmer ab acht Wochen sowie ein Dutzend Mastböcke weiden auf unterschiedlichen Flächen im durchaus hängigen Gelände. Gezäunt wird mit Litzen, in Netzen verfangen sich die Lämmer. An heißen Tagen und im Winter sind die Tiere im Stall, den Rest des Jahres auf hofnahen Weiden.

 

Als Kuhbauer bekommst Du einen Schreck, wenn Du auf den Grund der Weide blickst: Wo sind die fetten Obergräser? Alles ein wenig karg und viel feineres Blattwerk. Aber genau das lieben die Schafe und so säen die Schäfer eine Mischung eigens für die ganz anders verbeißenden Schafe. Die mögen stängeliges oder gar verholztes Futter nicht. Die fünfzehn Hektar Kleegras auf dem Acker werden als Silage gefüttert, im Fahrsilo angesetzt. Von den verbreiteten Silageballen hält der Landwirt nichts: zu viel Verluste und vielzuviel Plastik, zu teuer. Außerdem reagieren die Schafe heftig auf verdorbene Silage, die Qualität im Fahrsilo hat er selbst im Griff. Von den sieben Hektar Wiesen und fünf Hektar Naturschutzflächen gewinnen Frank Böhner und sein Vater Heu. Nach dem zweiten Schnitt wird nachgeweidet. Ob sich ergänzend eine Kuh fürs Nacharbeiten auf der Weide lohnt, überlegt der Schafhalter noch – das gäbe dann auch Milch für den Kaffee.

Leckere Lebensmittel gut vermarkten

Denn Schafmilch ist gehaltvoll: 50 Prozent mehr Energie, deutlich höhere Trockenmasse (18 statt 13 g), höherer Fett- (7 Gramm statt 4) und höherer Eiweißgehalt (5,6 Gramm statt 3,3) im Vergleich zu Kuhmilch. Zudem ist das Milchfett leichter verdaulich und enthält doppelt so viel der günstigen Fettsäure CLA.

 

Von den aktuell 100 melkenden Schafen kommen 50 bis 70 Liter am Tag zusammen. Anja Wolff sammelt das Gemelk über zwei bis drei Tage, dann wird die Milch für 24 Stunden dickgelegt. Die Ausbeute an Frischkäse liegt bei 40 Prozent. Mit griechischem Demeter-Olivenöl oder Demeter-Rapsöl vom Hofgut Körtlinghausen, Gewürzen von Sonnentor und weiteren Zutaten wie z. B. Datteln, Curry oder Zedernuss und Chili kombiniert werden aus dem Frischkäse appetitliche 135-Gramm-Gläschen mit Namen wie „Schani – das Schaf“ in vier Geschmacksvarianten. „Frozen Fritz“ – Schafmilcheis mit Vanille und Himbeeren oder „Frozen Franz“ mit Joghurteis und Kirschen erweitern das Sortiment. Die vier Eissorten gelingen pur mit der reichhaltigen Schafmilch gut, die gebrauchte Eismaschine war allerdings eine stattliche Investition.

 

„Ich wusste, in welche Richtung es gehen soll“, berichtet Anja Wolff, zuständig für die Käserei und die Rezepturen, aber sie hat auch vieles ausprobiert. Frischkäse war zum einen ihr Steckenpferd, zum andern war rasch klar, dass die Jungunternehmer mit Schnitt- oder Hartkäse nicht konkurrenzfähig wären. Außerdem liegt der zu lange, bis er zum Einkommen beiträgt. Joghurt müsste rasch verkauft werden, eher nichts für den angestrebten Vermarktungsweg Biogroßhandel. Direktvermarktung hat im Niemandsland zwischen Kassel, Göttingen und Paderborn, jede Stadt ca. eine Autostunde entfernt, wenig Aussicht auf Erfolg. Die Herstellung von Feinkost, hochwertigen Schafsfrischkäsedelikatessen im Gläschen, war daher der richtige Weg.

 

Der war aber nur mit gutem Marketing zu gehen, erkannten die Milchhandwerker. Klar war: Es geht um den Aufbau einer eigenen Marke, und die muss kommuniziert werden, im Laden ist es zu spät – da muss das Produkt auffallen. Das fängt bei den originellen Etiketten und Produktnamen an – Frank entwickelt die Ideen, auch Fotos und setzt sie mit einer befreundeten Grafikerin um. Anzeigen im Demeter Journal, dem Kundenmagazin des Verbandes und Präsenz am Demeter-Gemeinschaftsstand auf der Biofach-Messe 2015 gleich mit den ersten Produkten halfen beim Bekannt-werden.

 

Dass es Demeter sein soll, lag für die beiden nahe: In den Betrieben hatten sie gute Erfahrungen gemacht und „Demeter ist das echtere Bio: konsequent bis ins letzte“ so Anja Wolff. Bei der Präparatearbeit konnten sie sich an den Hamborner Demeter-Betrieb anschließen, inzwischen machen sie Hornmist und Hornkiesel selbst, ersteren erstmals auch mit Schafdung.

Gekommen, um zu bleiben

300 Schafe und 40 Melkplätze sind geplant. Dazu braucht es noch Flächen und vielleicht eine zweite Landwirtsfamilie. Platz ist da, wenn das Wohnhaus mal ausgebaut ist. Auch über Milchzukauf denken die beiden Schafmilchhandwerker nach. In den beiden Altgebäuden am Standort könnte eine Heutrocknung gebaut werden und, um das Getreide zu besseren Preisen zu vermarkten, eine Getreidereinigung nebst Lager. Die Lämmer sollen einen warmen Stall für den Winter bekommen. Auch das Sortiment wird weiter entwickelt – Grillkäse, das wäre was für den Sommer. Mittelfristig wollen sie sich als Ausbildungsbetrieb an der Freien biodynamischen Ausbildung beteiligen. Bereits­ jetzt kommen regelmäßig Waldorfschulpraktikanten.

 

All das klingt noch nach viel Arbeit – ist es auch. Viele, die mit Schafen oder Ziegen anfangen, hören wieder auf. Aber auch, wenn sie (noch) alles alleine machen müssen: den Jakobsbergern macht es Spaß, ihr eigener Herr zu sein, das „gute Leben“ zu leben: kreativ mit Schafen. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, heißt es treffend in einer ihrer Anzeigen.

Betriebsspiegel - Jakobsberger Milchhandwerker

  • Unternehmensgründung 2013 durch Anja Wolff und Frank Böhner

  • Südliches Weserbergland bei Beverungen, Kreis Höxter, Kalkmergelböden 25–40 BP, 750 mm Niederschlag, 9,2 °C im Jahresdurchschnitt

  • 70 ha, davon 55 ha Acker (Hafer, Weizen, 30 ha Futterbau, 5 ha Blühflächen) und 15 ha Grünland, 5 ha Naturschutzflächen???

  • 170 Milchschafe (schwarze Ostfriesen und Lacaune) mit Nachzucht (100) zum Herdenaufbau, 6 Zuchtböcke zus. ca. 20 GV, muttergebundene Lämmeraufzucht

  • Milchverarbeitung zu Feinkost-Frischkäse und Eis, Feta/Grillkäse geplant

  • Vermarktung v.a. über Biogroßhandel, lokaler Bioläden bzw. -höfe

  • Photovoltaik auf dem Stalldach

  • Arbeitskräfte: Betriebsleiterehepaar, Vater und Mitarbeiterin Käserei, zus. ca. 3 AK

  • Jakobsberger Milchhandwerker, Anja Wolff, Frank Böhner, Brunnenweg 35, 37688 Jakobsberg , 01552 198 3863, http://www.milchhandwerker.de