Portrait

Imkern für die Bienen

Kolja Flüger hält Bienen wesensgemäß in einer Kooperation

von Michael Olbrich-Majer

 

„Die Bienen waren meine Haustiere“ berichtet Kolja Flüger von seinen Anfängen als Kind und Jungimker. Das erste Volk bekam er mit neun Jahren geschenkt. Seine Eltern hatten wohl bemerkt, dass der Junge völlig fasziniert vom Schwärmen der Bienen war, das er in der Schule miterlebt hatte. Waldorfschule, natürlich. Die hatte Bienen im Schulgarten. Und bei Koljas Eltern auf dem Hof gab es Platz. Inzwischen ist er Student, pflegt fünfzehn Völker, dazu noch einige Ableger, und hat das in seinen Alltag hinein organisiert. Sogar die Demeter-Zertifizierung strebt er an.

 

Imkern als Student in der Stadt

Kolja Flüger studiert in Wolfenbüttel soziale Arbeit im fünften Semester. Er stammt vom Demeter-Gärtnerhof Wendengarten bei Wittingen, zwischen Wolfsburg und Uelzen. Dort steht auch die Hälfte seiner Bienenvölker, dort lagern Rähmchen, Honigschleuder und Honig­gläser, dort baut er die Kisten für seine Bienen. In Braunschweig, wo er mit seiner Lebensgefährtin Jana Kröger wohnt, hält er Bienen an drei weiteren Standorten. Die auf den zwei Hofstellen hat er nach Bauchgefühl ausgesucht, die biologisch-dynamisch bewirtschafteten Flächen mit ihrer Vielfalt – Gärtnerhof Wendengarten hat den Schwerpunkt auf Gemüse und Vieh – sowie die gute Heckenstruktur dort machten die Auswahl einfach. Im Stadtgebiet hat er Privatgärten in Randlage aufgetan, beim Opa seiner Freundin, bei einem älteren Herrn, den er über seinen Bienenvater kennenlernte. Nicht zu viele Völker auf einmal, nicht in der prallen Sonne – dann reißen schonmal Waben – und geschützt, denn in der Region gibt es viele Bienen­diebstähle.

Das ist eine logistische Herausforderung für jemand, der nur mit Fahrrad und ÖPNV unterwegs ist. Für die normale Völkerkontrolle reichen Rucksack oder Satteltasche, aber Zargen aufsetzen oder Rähmchen nachfüllen geht da nur begrenzt, das was in den Fahrradanhänger passt. Gute Planung ist da erforderlich, z.B. was er vom Hof mitbringt, für den er jedes zweite Wochenende einen Marktstand betreut. Und ein Schuss Pragmatismus, die Bienen müssen auch in den Kalender passen.

 

Die Bienen als Lehrmeister

Das geht eigentlich ganz gut, zumal der Zweiundzwanzigjährige auf ein gutes Jahrzehnt Erfahrung zurückgreifen kann. Stress jedenfalls hat er nicht, schon gar nicht, wenn er an seine Bienen geht, auch ohne Schutz. Da strahlt er tiefe Ruhe aus. Das schätzt er an der Arbeit mit den Bienen: einerseits einen Ort der Ruhe zu haben, andererseits ist Hingabe gefordert, denn es gibt immer etwas zu tun.

Zur Faszination für die Immen gehört auch, was er von den Bienen über die Natur lernt. Und das Bienen eigentlich auf jeden Menschen eine besondere Wirkung haben, sei es in ökologischer oder in sozialer Hinsicht: „ Man kann viele Leute sensibilisieren. Die Biene steht für die Verknüpfung beider Fragen wie ein Spiegel oder Indikator.“ So nutzt der angehende Sozialarbeiter das pädagogische Potenzial der Biene auch als Türöffner: An der Biene kann man lernen, ein Bewusstsein über das individuelle Bedürfnis hinaus zu entwickeln.

So nutzt er seine Kenntnisse, um eine Bienen-AG in der Waldorfschule Wolfsburg durchzuführen. Die Eltern und eine Lehrerin halten die Bienen und Kolja Flüger verwendet die Bienen als Aufhänger dafür, die 15 Kinder zwischen fünfter und achter Klasse an Beobachtung und Verständnis von Naturvorgängen heranzuführen. Das reicht von Blumenzwiebeln setzen bis kleine Bienenkisten bauen. Die eineinhalb Stunden jeden Dienstag sind ein Projekt im Rahmen seines Studiums, auch um didaktische Elemente weiter zu entwickeln. Aktuell versucht er, einige Königinnen zu ziehen, um die Kinder mit Ablegern zu versorgen. Denn sein Ziel ist, wen wundert´s, dass die Kinder später imkern. Als Kind, findet er, sei das viel leichter zu lernen, Erwachsene seien meist schon zu verkopft.

 

Am besten lernt sich mit Imkerpaten

Das hat er an sich selbst erlebt. Trotz geschwollener Stiche hatte er sich nicht abbringen lassen von seinem Interesse an den Bienen. Sein Vater musste anfangs natürlich mit ran, allein schon wegen der zu schweren Beuten und besuchte mit Kolja gemeinsam Anfängerseminare. Im Imker Peter Hagen fand Kolja einen Bienenvater, der ihm mit Rat und Tat zur Seite stand, sogar, als er später dann eigene Wege ging: Er stellte um auf Holzbeuten und Naturwabenbau, imkerte ökologisch und wesensgemäß. Überhaupt: Als Kind und Jugendlicher traue man sich mehr auszuprobieren. Noch heute steht er mit seinem Bienenvater, der inzwischen auch umgestellt hat, im kollegialen Austausch, auch was Pädagogisches angeht. Natürlich hat Flüger in seiner frühen Jugend vor allem Bienenliteratur gelesen. In der neunten Klasse nahm der Jungimker an einem Seminar mit Michael Weiler und Günter Friedmann, Pionieren der Demeter-Bienenhaltung teil und verdingte sich gleich als Praktikant für vier Wochen bei Friedmann, dem größten Demeter-Berufsimker. „Hier habe ich dann gelernt, mit einer Menge Völkern umzugehen“, schnelle Völkerdurchschau und bereits am Duft erkennen, welche Pflanzen honigen. Noch zwei weitere Male arbeitete er bei der Imkerei mit.

Lernen und lehren in Indien

Pädagogik und Bienen, damit hat Kolja Flüger bereits vor dem Studium Erfahrungen gemacht. Um den Kopf vor dem Abi freizubekommen, war er zwei Wochen in Südindien und kehrte zurück mit seiner Zusage, wiederzukommen. Und einen Kurs für angehende Imkerinnen zu geben. In Zusammenarbeit mit einer örtlichen NGO sollte Familien, die durch Plantagen landlos geworden waren, so eine Perspektive aufgezeigt werden. Der frischgebackene Abiturient sammelte Spenden, schlug sich durch die Einreiseformalitäten und gab in den sechs Monaten seines zweiten Aufenthalts Anfängertrainings. Mit der Vermehrung von Bienen für die Beteiligten hätte es weitergehen sollen, doch Flüger bekam kein Visum mehr. Letztlich, so meint der Imker, habe er da mehr gelernt als gegeben. Und kam zu dem Schluss: „Wir brauchen auch hierzulande die Veränderung!“

 

Imkern pragmatisch und wesensgemäß

Kolja Flüger imkert wesensgemäß, das heißt, es geht mindestens so sehr um das Wohl der Biene wie um das des Imkers. Er imkert mit Holzbeuten, lässt den Bienen ihren Schwarmtrieb, statt ihn komplett zu unterdrücken, setzt keine künstlich gezüchteten Königinnen ein, und die Bienen dürfen ihre Waben selbst – ohne vorgegebene Mittelwände – bauen. Dazu arbeitet Flüger eigens mit unten offenen Rähmchen, die sich durch den Wabenbau der Bienen entlang von quer eingesetzten Holzspießen stabilisieren. Zusammen mit den darauf abgestimmt gebauten Beuten hat das den Vorteil, dass die Stockschau rasch vonstattengehen kann, ohne oben zu öffnen und Waben zu ziehen: kippen und ein Blick von unten lassen den Imker erkennen, wie es um das Volk bestellt ist. Und für die Kommunikation der Bienen, die auch über das Wabenwerk läuft, ist das besser, hat Kolja Flüger beim Bienenforscher Tautz gelesen. Auch arbeitet er ohne die sogenannte „Imkerbremse“, das Absperrgitter. Das verhindert, dass die Königin auch im Honigraum Eier legt. Der Jungimker dagegen lässt die Waben im Brutraum ohnehin in Ruhe und versucht mittels Schied und flachen Rähmchen für den Honig­raum – also durch Steuern des Raumangebots – die Brutwaben allein im unteren Teil zu halten.

Flüger beobachtet auch, dass es insgesamt schwieriger wird, die Bienen durch den Sommer zu bringen, vor allem auf dem Land. Die Wiesen würden leerer. Das Problem werde allgemein unterschätzt, meint der Imker, auch sei die Bienennahrung – Blütenpollen – oft zu einseitig. Daher lässt er bei manchen Völkern den Honig lange drin und schleudert erst im Sommer.

„Im Winter hat der Imker bei den Bienen nichts zu suchen“, so Flüger, „das Wichtigste kann man am Flugloch sehen.“ Ab Mitte Juli zieht er kaum Waben mehr. Er verzichtet auch auf die übliche Winterbehandlung der Völker gegen Varroa, führt nur die im Sommer durch. „Auch mit wenigen Völkern kann man mal eins sterben lassen“ ist seine Ansicht, bzw. ein Volk auflösen, denn das fördere die natürliche Selektion und stärke langfristig die Widerstandsfähigkeit der Bienen. Das kann man beim Bilden von Ablegern oder Kunstschwärmen gleich mit bedenken. So hat der Imker im Sommer mehr, und über Winter weniger Völker. Das Bilden von Kunstschwärmen – also ohne Brut – mindert zudem den Varroabefall. „Jedem Imker sollte bewusst sein, dass er Verantwortung über seinen Garten hinaus hat.“ Ein schlechtes oder schwaches Volk beeinflusst ja auch die anderen im Umkreis von Krankheiten bis hin zum Ausräubern.

 

Ratschlag für Neuimker

Das müssten sich vor allem auch Neuimker bewusst machen. Diesen empfiehlt Flüger, sich immer einen Imkerpaten zu suchen. „Youtube ist ein unzuverlässiger Ratgeber!“ mahnt er, und rät, zudem einen Kurs zu machen. Auch sei es sinnvoll, in einen Imkerverein zu gehen, allein schon der Versicherung wegen, und sich über eine Imkerzeitung zu informieren. Denn heute kämen zwar, anders als früher, viele Menschen zur Imkerei, weil sie etwas Gutes für die Bienen tun wollen. Dazu gehöre aber auch solides Handwerk. „Extensiv imkern ist die höchste Kunst“, meint der angehende Demeter-Imker dazu. Aber man müsse alles mal gelernt haben, sonst wisse man nicht, was man nicht braucht. Denn die Imkerei ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl von Methoden und der Bienenbehausungen. Die Beute sei aber nicht so wichtig, meint Flüger, „Hauptsache mobiler Wabenbau ist möglich.“ Er selbst hat sich zusätzlich zu seinen selbstgebauten Magazinbeuten eine Einraumbeute gekauft, um das mal auszuprobieren.

Wichtig sei auch eine gute Dokumentation: Beobachten und aufschreiben, sonst kann man weder Schlüsse ziehen noch sich mit anderen austauschen – am besten mit anderen Jungimkern. Denn, Völker und Imker sind immer im Prozess – kein Jahr ist wie das andere, und so brauche man die Bereitschaft, jedes Jahr neu zu lernen. Umso besser ist es, wenn man eine gute Vorstellung vom Bienenjahr hat und auch geplant und vorausschauend arbeiten kann.

Imkern in der Kooperative – bald Demeter-zertifiziert

Diesen Austausch hat Kolja Flüger mit Anne Silke Timme: mit der betreibt er die Imkerei in Kooperation, wenn auch über verschiedene Standorte hinweg, da ihre Bienen noch vierzig Kilometer nördlich von Hof Wendengarten stehen, auf dem Demeter-Betrieb in Stütensen. Sie können sich gegenseitig vertreten bei der Völkerbetreuung, ob nun bei Kolja Flüger das Studium ruft, oder bei seiner Imkerkollegin die Alm in den Sommermonaten. Die beiden geben auch Kurse im Rahmen des Ausbildungsverbundes wesensgemäße Bienenhaltung. Hier geben wesensgemäße Imker eine Einführung in diese Betriebsweise, jeweils sechs Termine an verschiedenen Orten in ganz Deutschland. Auch an der Schule leitet Flüger einen Bienenkurs für Eltern in fünf Terminen an. Künftig müsse es auch ein Angebot für die fortgeschrittenen Neu-Imker geben, meint er, nach zwei Jahren imkern gebe es reichlich Fragen, mit denen sie allein gelassen würden.

Im Winter haben sich Anne Silke Timme und Kolja Flüger für eine Demeter-Zertifizierung entschieden. Sicher nicht, um den Honig besser zu vermarkten, eher um die Bewegung für eine wesensgemäße Imkerei zu stärken und daran mitzuwirken, dass die Demeter-Imkerei als Sprachrohr dafür präsenter wird. Denn für einen eventuellen Mehrpreis ist es doch Aufwand, von Papierkram und Etiketten genehmigen lassen bis zu den Kosten, die neben der reinen Kontrolle und Zertifizierung auch noch den Mitgliederbeitrag umfassen. 600 Euro kommen für die beiden da zusammen, auch wenn sie sich als Kooperation, also günstig wie ein einzelner Betrieb zertifizieren lassen. Dafür braucht es aber einen Kooperationsvertrag – Anne Silke Timme fungiert da als Verantwortliche, als Betriebsleiterin. Wirtschaftlich aber bleiben die beiden Imker getrennt: „Kooperation­ Die Wabe“ heißt die künftige Demeter-Imkerei. Die ist zurzeit in Umstellung, mit Umstellungsplan, in allen Fragen begleitet vom Demeter-Imkerberater Michael Weiler. Dazu ist ein Stockbuch zu führen und die Zufütterung rechtzeitig zu planen, denn da geben die Demeter-Imker neben mindesten 10 % Honig und Kräutertee auch Zucker, allerdings vorrangig in Demeter-Qualität, hinzu.

Dennoch findet Kolja Flüger seine Imkerei als lohnende Beschäftigung: Neben den ganzen Erfahrungen mit den Bienen bleibt ihm bei Abzug aller Kosten ein Taschengeld als Gewinn, die Arbeit nicht gerechnet. Er will ja nicht davon leben, sondern langfristig als Neben­erwerbsimker eher Bienenpflege betreiben. Auch dafür findet er das Konzept der Kooperation gut. Sein Leben lang imkern, das ist sein Traum. Aber die Bienen sieht er hierzulande als gefährdet an, und „dafür­ muss sich vor allem in der Landwirtschaft radikal­ etwas ändern“. Er schloss sich auch deswegen dem Demeter-Verband an, um an dieser Veränderung mitzuarbeiten und ihr Stimme zu geben.

Kooperation Die Wabe: Anne Silke Timme und Kolja Flüger

  • Imkerkooperation mit 12 Völkern in Stütensen und 15 Völkern in Wittingen bzw. Braunschweig

  • Gemeinsame Demeter-Zertifizierung erstmals 2018

  • Pädagogische Aktivitäten (K. Flüger) mit Schülern

  • Kursleiter im Ausbildungsverbund wesensgemäße Bienenhaltung, Standort Mechtersen (bei Lüneburg)

  • Betriebsadresse: Anne Silke Timme, Stütensen 14, 29571 Rosche OT Stütensen