Schwerpunkt

Chance für Vielfalt?

Die Revision des europäischen Saatgut-Verkehrsgesetzes berücksichtigt biodynamische Neuzüchtungen zu wenig

von Gebhard Rossmanith

 

Die EU-Kommission, Direktorat Verbraucherschutz, hat am 6. Mai ihren Vorschlag für das neue Saatgutverkehrsgesetz bekannt gegeben. Kommissar Tonio Borg lobte das Ergebnis der vierjährigen Arbeit als gelungenen Wurf mit lauter Gewinnern. Dass die Saatgutindustrie nicht Verlierer des Prozesses sein würde, war zu erwarten. Dass aber auch Biodiversität und Ökolandbau Grund zur Freude haben sollten, diese Aussage war nach dem zermürbenden Gerangel des letzten Jahres doch bemerkenswert.

 

Jedenfalls hielt sich die Euphorie bei Erhalterorganisationen und Vertretern der Ökozüchtung in Grenzen. Die Ökozüchter hatten sich immer wieder in die Verhandlungen eingebracht, um den regulären Marktzugang für ihre Neuzüchtungen verbessert zu bekommen. Der vorliegende Vorschlag ist für die biodynamischen Pflanzenzüchter enttäuschend, denn deren Forderungen wurden kaum berücksichtigt; im Gegenteil, es sind zunehmende Behinderungen und gravierende Nachteile im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage zu erwarten.

 

So sind Forderungen der Ökozüchter, die Möglichkeit zu stärken, samenfeste neu entwickelte Sorten besser in den Markt einzubringen, nicht berücksichtigt. Weder der Vorschlag, innerhalb der offiziellen Registerprüfung eine neue Kategorie für Sorten mit breiterer genetischer Bandbreite zu schaffen, noch für solche Sorten die Homogenitätskriterien an die Anforderungen der Bauern und Verbraucher anzupassen, stehen in dem Entwurf. Und ob die geplante Kategorie für Linienmaterial, das nicht zur Registrierung als Sorte geeignet ist, für die ungehinderte und offizielle Vermarktung von biodynamischen Züchtungen wirklich taugt, darf bezweifelt werden. Und: die technischen Details werden in sogenannten delegierten Rechtsakten festgelegt – allerdings erst nach Verabschiedung der Verordnung durch Parlament und Rat; und wahrscheinlich hinter verschlossenen Türen.

Sortenprüfung: weder öko noch regional?

Auch die Forderungen der Ökozüchter, die Registerprüfung sowie die Wertprüfung ökologisch gezüchteter Sorten sowohl unter ökologischen Voraussetzungen als auch in der Ursprungsregion durchzuführen, sind nicht wirklich berücksichtigt. Die in Deutschland bereits erreichte „Ökowertprüfung“ bei Getreide dürfte damit womöglich bald der Vergangenheit angehören – Opfer der Harmonisierung in Europa. Stattdessen wird die Konzentration vieler Aufgaben bei einer neuen Zentralbehörde, der „Europäischen Agentur für Pflanzensorten“ mit Sitz in Frankreich, nationale Behörden wie das deutsche Bundessortenamt schwächen. Die örtlichen Züchter befürchten den Verlust der direkten Ansprechpartner sowie der Möglichkeit der für biodynamisch gezüchtete Sorten so wichtigen regionalen Registerprüfung.

 

Nun stellt die Kommission die Regelung zur Registrierung und Vermarktung von Sorten mit „amtlich anerkannter Beschreibung“ als Mittel für die Erhaltung und Förderung der Agrobiodiversität heraus. Anders als bei der derzeit gültigen „Erhaltungssortenrichtlinie“ sollen hier keine Mengen- oder Flächen-Beschränkungen mehr gelten, der Bezug zu Ursprungsregionen praxisnah gehandhabt werden. Das scheint für sogenannte „historische Sorten“ eine Verbesserung. Für die biodynamischen Züchter bringt diese neue Regelung aber eine deutliche Verschlechterung. Denn dieser Weg des Marktzuganges soll nicht mehr – wie bisher – für Neuzüchtungen gelten. Neue Biodiversität in der Landwirtschaft entsteht aber nur durch die Entwicklung neuer Sorten, die dann auch einen Marktzugang benötigen.

 

Bleibt für neu entwickelte Sorten also nur die reguläre Registrierung mit all den Schwierigkeiten, die diese Sorten mit größerer genetischer Bandbreite im Vergleich zu Hybriden heute schon haben. Tests unter konventionellen Bedingungen in zum Teil völlig anderen Klimaregionen lassen die Chancen auf ein Bestehen der Registerprüfung ebenso wenig steigen wie die immer mehr an Hybrid-Einheitsmaterial ausgerichteten Prüfkriterien.

 

Man kann hoffen, dass die neue Verordnung für Organisationen und Privatpersonen, die sich um den Erhalt der biologischen Vielfalt in Europa verdient machen, tatsächlich einige Verbesserungen sowie die lange geforderte Legalisierung ihrer Arbeit bringt. Einige Neuerungen dazu sind in dem Text des Verordnungsentwurfes durchaus zu finden. Da die meisten Details dazu aber wiederum erst in delegierten Rechtsakten geklärt werden, bleiben Zweifel auch hier berechtigt und engagiertes Nachhaken Pflicht.

 

Für die biodynamischen Züchterinnen und Züchter wie für die gesamte Ökozüchtung in Europa jedenfalls ist der Prozess des Verhandelns, Aufklärens und sich Wehrens noch lange nicht zu Ende. Was uns dabei wirklich hilft, ist die klare Botschaft von Landwirten und Gärtnern, Händlern, Verarbeitern und Verbrauchern an die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung, den Marktzugang für nachbaufähige, zukunftsfähige Sorten aus ökologischer Züchtung nicht weiter zu erschweren, sondern zu fördern und zu verbessern.

Gebhard Rossmanith ist Demeter-Gärtner und Vorstand der Bingenheimer Saatgut AG

http://www.bingenheimersaatgut.de