Schwerpunkt

Unfiltriert, ungeschönt, ungeschwefelt – untrinkbar?

Natur, Orange, Amphore: neue Trends in der Weinbranche

von Götz Drewitz

 

Neue Begriffe geistern durch die Weinszene. Was verbirgt sich hinter Naturwein, Orange-Wines oder Amphorenwein? Seit dem Jahrgang 2012 darf man den Begriff „Biowein“ auch offiziell verwenden. Doch nun verwirrt der Begriff „Naturwein“ den Verbraucher. Zudem gibt es eine vierte Weinfarbe! Neben Rot, Weiß und Rosé nun auch Orange. Und kannte man die Amphore nur aus Asterix und Obelix, so finden die Kunden jetzt Weine aus Amphoren auf den Preislisten der Winzer.

 

Auch die schreibende Weinzunft tut sich offensichtlich schwer mit den Begriffen und deren Abgrenzung. So war in der „Welt“ zu lesen: „... weil ein echter Naturwein kaum oder gar nicht geschwefelt und ungefiltert in die Flasche kommt, ist das Ergebnis schon optisch ganz anders als sonst. ... die Weißweine schimmern zuweilen in Orangetönen, ... weil beim Naturwein die weißen Trauben ebenfalls mit der Schale vergoren werden.“ Wäre das nicht logischerweise ein Orange-Wine?

 

Auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung versucht sich an dem Thema: „Rot, weiß oder rosé? Orange ist der Wein!“ titelt sie. Scheinbar ist Orange-Wine das Thema des Artikels. Im Text heißt es dann: „keinerlei Chemie im Weinberg, Handlese, Spontangärung, keine Chaptalisierung, weitgehend unfiltriert und ungeschwefelt.“ Aber so wird der Wein noch nicht unbedingt orange!

Zeit für Entwirrung!

Naturwein

Beim sogenannten Naturwein geht es um die Produktion von Wein ohne technische Hilfsmittel. Das heißt im Weinberg zumindest biologische Arbeitsweise, für viele sogar biodynamische Weinbergsarbeit. Bei der Verarbeitung verzichten die Produzenten auf Zusatzstoffe wie Reinzuchthefen, Enzyme oder die Schönung, um den Wein zu klären. Auch die Filtration als technisches Verfahren ist umstritten. Der Einsatz von Schwefel sollte entweder ganz unterbleiben oder zumindest minimal bleiben.

 

Beim Ausbau der Weine bevorzugen Naturweinwinzer natürliche Materialien, wie Holz, Ton oder auch Beton, wenn er nicht technisch aufbereitet ist. Das Problem ist, dass der Verbraucher mit dem Begriff „Naturwein“ assoziativ „natürlichen“ also „biologischen“ Wein verbindet. Der Begriff ist allerdings rechtlich nicht geregelt oder geschützt. In Deutschland und Österreich ist die Bezeichnung „Natur“ nicht zulässig. Kurioserweise war der Begriff Naturwein im deutschen Weingesetz bis 1971 geregelt, hatte aber wenig mit dem Begriff in der aktuellen Diskussion zu tun. Er war als Synonym für „Prädikatswein“ zu verstehen, also Wein, der nicht chaptalisiert (d. h. vor der Gärung mit Zucker versetzt) wurde!

 

Meine Definition von Naturwein ist ein Wein, der ohne kellertechnische Hilfsmittel biologisch hergestellt wurde. Das heißt im Weinberg wurde biologisch gearbeitet und entsprechend zertifiziert. Der Produzent verzichtet im Keller auf alle technischen Hilfsmittel und Zusatzstoffe, wie Enzyme, Reinzuchthefen, Schönungsmittel, Filtration und Schwefel. Es finden keine thermischen Eingriffe, wie Maischeerhitzung statt und vergoren und ausgebaut wird in natürlichen Materialien.

 

Das hört sich für den Laien nach wenig Arbeit an. Der Wein darf einfach „werden“. Jeder Weinmacher weiß aber, dass er, arbeitet er ohne technische Hilfsmittel, sein Handwerk perfekt beherrschen muss. Auch ein Kletterer kann eine Felswand erst dann free-solo meistern, wenn jeder Handgriff sitzt. Fehler werden nicht verziehen. Von daher ist die Produktion von Naturwein die hohe Kunst der Weinbereitung. Es wird nun klar, warum es durchaus Fehlversuche gibt, die den Weinliebhaber dann irritieren. Mittlerweile gibt es aber genug großartige Weine und einige Demeter-Winzer sind ganz vorne dabei. Wie zum Beispiel Peter-Jakob Kühn, das Weingut Odinstal, Thorsten Melsheimer oder Daniel Schmitt, um nur einige zu nennen.

Orange-Wine

Optisch ist Naturwein meist daran zu erkennen, dass er nicht ganz klar ist. Er kann rot oder weiß sein, aber er ist nicht orange-farben! Was also ist ein Orange-Wine? Kurz und knapp: Maischevergorener Weißwein! Wein aus weißen Trauben, wie Rotwein hergestellt.

 

Bei der Maischegärung hat der Wein meist zwei bis drei Wochen Kontakt mit Schalen und Kernen und wenn nicht entrappt wurde, auch mit den Stielen. Wie der Rotwein erhält auch der Orange-Wine seine Farbe aus den Beerenhäuten und seine Tanninstruktur aus Kernen und Stielen. Der Charakter hängt von der Rebsorte ab. Ein Spätburgunder unterscheidet sich in Farbe und Tanninstruktur vom Cabernet Sauvignon. Entsprechend wird ein maischevergorener Silvaner wenig Farbe und Tannin mitbringen. Ein Grauburgunder jedoch wird die dunkle Farbe seiner Beerenhaut annehmen und deutlich Tannin-betonter sein. Da die meisten Orange-Wines im Sinne des Naturweins eher oxidativ hergestellt wurden, wird die orangene Farbe durch diese Einflüsse noch verstärkt.

 

Wir können also Orange-Wines meiner Meinung nach, als maische vergorene Naturweine aus weißen Trauben bezeichnen. Das bedeutet den oben aufgeführten Faktoren nach auch, dass er in natürlichen Materialien vergoren wird. Wenn das Material nun Ton ist und als Amphore geformt wurde, sind wir beim Amphorenwein.

Amphore

Der Ausbau in Amphoren ist fast so alt, wie die Weinproduktion selbst, also ca. 5000–6000 Jahre. Interessanterweise hat diese Tradition dort überlebt, wo die Geschichte des Weines seinen Anfang nahm. Nämlich rund um den Kaukasus. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion reisten einige Winzer aus dem Westen nach Georgien zur Wiege des Weinbaus und trafen dort auf diese Ausbaumethode, die bereits vergessen schien. Wieder zurück in der Heimat versuchten sie sich an dieser Methode. Sie ließen Amphoren aus Georgien kommen oder wurden in Spanien fündig, wo die Tradition der Amphorenproduktion ebenfalls noch nicht ganz vergessen war. Die Qvevris aus Georgien sind größer als die spanischen Tinajas. Qvevris sind dünnwandig und müssen eingegraben werden, da sie sonst beim Befüllen zerbrechen würden. Die dickwandigen Tinajas werden meistens in Holzgerüsten aufgestellt.

 

Egal ob Rot oder Weiß, in der Amphore vergären die Weine immer mit der Maische. Traditionell wird wie beim Orange-Wine und Naturwein wenig oder gar kein Schwefel eingesetzt. Man kann also sagen: Weiße Amphorenweine sind Orange-Wines, die in Amphoren vergoren wurden. Neben der Orange-Wine-Charakteristik kommt hier noch der zarte geschmackliche Einfluss der Amphore dazu. Wie die Eiche beim Barriquefass, so gibt auch der Ton einen leichten Geschmack ab. Daher schmeckt der Wein gerne etwas erdig.

Vielfalt erleben

Mein Fazit: In den letzten Jahren ist die Weinwelt um interessante Varianten bereichert worden. Diese Weine treffen bestimmt nicht den Massengeschmack. Der ungeübte Weinkonsument wird anfangs irritiert sein. Selbst unter Fachleuten sind diese Weine zum Teil umstritten. Was auch daran liegt, dass zugegebener Weise anfangs einige zweifelhafte Exemplare im Umlauf waren. Doch die gelungenen Weine sind durchaus eine Bereicherung. Die natürliche Produktion macht sie bekömmlich. Sie eröffnen spannende neue sensorische Erlebnisse und haben deswegen auch in der Gastronomie Einzug gehalten. Es ist fast schon logisch, dass sie die derzeit hippe nordische Küche ergänzt, die viel auf Kräuter und unverfälschte Aromen setzt. Aber auch in der klassischen Küche finden die Weine Verwendung. Sie passen hervorragend zum Käse und Fleischgerichten, bei denen sich früher eher ein Bier empfohlen hätte. Denken wir dabei an einen guten Schweinebraten oder an ein Kotelett vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein. Sobald Raucharomen, Salzigkeit, Fett oder Umami ins Spiel kommen, heißt es ab jetzt Vorhang auf für Natur- Orange- oder Amphorenweine. Viel Spaß beim Experimentieren und Entdecken.

Autorennotiz

Götz Drewitz, Vinaturel GmbH, Schatzlgasse 30, 82335 Berg