Lebendige Erde 1/2004:

Berichte & Initiativen

Biologisch-dynamisch. Demeter. Zukunft

Der Ökolandbau muss von der Politik das Verursacherprinzip fordern

Renée Herrnkind, Demeter-Pressefrau, beim Zusammenfassen der Ergebnisse
 

Die Verbände, die den Ökolandbau entwickelt und groß gemacht haben, müssen sich wandeln, da hilft auch die Agrarwende nicht. Stetig sinkende Preise und Einkommen für Ökobauern nagen an der Substanz, auch der biologisch-dynamischen Bewegung: Dieser Ausgangslage stellten sich die knapp 70 Besucher der Jahrestagung des Forschungsrings im November in der Alanus-Kunsthochschule Alfter, gemeinsam ausgerichtet mit Demeter-Bund und Demeter-Marktforum. Wie lange können biologisch-dynamische Landwirte und ihre Organisationen noch Pioniere des Ökolandbaus sein? Mit dieser Frage ging Nikolai Fuchs im ersten der eröffnenden Statements gleich zur Sache und legte noch nach: "Diesen Job haben wir gemacht - doch was ist der nächste?" Dieser generellen Frage folgten Statements aus Erzeugung, Verarbeitung, Handel und Konsum, gaben einen Einstieg in die Aufdröselung des aktuellen gordischen Knoten der Biobranche: Wie ist eine Vorreiterrolle bei Inhalten und Qualitäten zukünftig noch über den Markt zu sichern?

Agrarwende gescheitert?
Wege für Demeter zwischen Politik und Markt

Fuchs, Leiter der Abteilung Landwirtschaft am Goetheanum, wies der Ökolandwirtschaft den Weg in die Gesellschaft - Landwirtschaft werde heute nicht auf dem Acker gestaltet, sondern sei eine soziale Frage, da die Existenzbedingungen in Berlin und Brüssel gemacht würden. Immo Lünzer, Geschäftsführer des Forschungsring verdeutlichte das mit einem Zahlenvergleich von heute und vor fünfzig Jahren: Die Einkommen stiegen ums zwanzigfache, die Brotpreise um das achtfache, der Getreidepreis fiel um die Hälfte. Zwar bestimmten letztendlich Kapitalzusammenhänge die Preise in der Landwirtschaft - aber es gäbe auch Aktionsmöglichkeiten, die die Öko-Landwirtschaft stabilisieren könnten - das führte Aender Schanck, Demeter-Pionier, am Beispiele Luxemburgs eindrücklich vor. Die richtigen Partner und sprechende Flexibilität sind dafür entscheidend (s. a. Portrait, S. 8f). Mit Marke plus Siegel hätte Demeter auch in Deutschland geeignete Instrumente.

Joachim Bauck sprach für die internationale Demeter-Händlerkoperation und stellte das Beispiel der Helios Läden in Norwegen vor, die mit einem Demeter Anteil von knapp 50% erfolgreich sind. Dass Demeter Lebensfreude und -kultur vermitteln kann, aber nicht automatisch als Aushängeschild für den Facheinzelhandel funktioniert, bewies Axel Bergfeld mit einem sehr gelungenen Demeter-Frühstück unlängst vor seinem Laden in der Bad Godesberger Einkaufsmeile. In seinem Bericht betonte er darauf hin, dass der Preis nicht das Problem sei. Viele Läden könnten besser wirtschaften, wenn sie, statt auf die prozentuale Spanne zu starren, den effektiven Deckungsbeitrag zum Maßstab machen würden. Das rechnete Volkmar Spielberger, Naturkosthersteller, vor und machte darauf aufmerksam, dass Verbraucher in jeder Umfrage den Preis für Bioerzeugnisse als Hemmnis anführten. Der muss jedoch für Biolandwirte höher sein, denn, so führte Demeter-Landwirt Klaus Wais aus, hierzulande könne die Landwirtschaft nicht extensivieren, sondern müsse sinkende Preise über höhere Menge und Qualitätsabstriche kompensieren.

Dr. Thilo Bode von der Verbraucherorganisation foodwatch stellte fest, dass die Agrarwende gescheitert sei: Eine grundsätzliche Wende, die für Transparenz bei Kosten und Qualität von Lebensmitteln sorge, sei nicht erfolgt. Und der Ökolandbau sei erst bei mageren 3% Anteil. Ob Demeter das Wachstum sowohl auf dem Premiummarkt als auch auf dem Massenmarkt mit einer kombinierten Strategie aus Marke plus Siegel ankurbeln kann, stellte Dr. Peter Schaumberger, Demeter-Bund, in den Raum.

Premiumlebensmittel - nichts für alle?
Oder anders gefragt - braucht der Markt auch ein biologisch-dynamisches Siegel auf niedrigerem Niveau als die Demeter-Marke? Die Tendenz der Teilnehmer, aber auch im Verband war eindeutig - die Arbeitsgruppe der Tagung brachte weitere Klärung, welche qualitativen Kriterien ein Siegel erfüllen kann. Doch muss gleichzeitig der Premiumanspruch der Demeter-Marke genauer gefasst werden - schwierig, wenn ein Teil der Erzeuger sich nicht damit identifiziert: Sind Demeter Möhren denn Luxusprodukte? (Ja, denn sie bieten weit mehr als Grundversorgung. red) Falsch, meinte dazu Thilo Bode mit Blick auf die Verbraucher: Ziel ist nicht, jeder soll es bezahlen können, sondern, jeder der es bezahlen kann, soll es kaufen. Auch wäre hier und da wohl noch nachzubessern, z.B. bei sozialen Standards, die zwar vom Kunden bereits vorausgesetzt werden, aber in den internationalen Demeter-Richtlinien nicht verankert sind, das sprach Tadeu Caldas, weltweit als Demeter-Berater tätig, an. Schließlich: Wofür steht Demeter? Für Sicherheit und authentische Bauern oder für Erlebnis, Lebensfreude? Wie wird aus dem "oder" ein "und"?

Die Verbraucher lassen sich nicht erziehen
Der Wunsch, den Verbraucher mit Aufklärung zu anderem Verhalten zu bewegen erweist sich in allen neueren Studien zu Einkaufs- oder Essverhalten als nicht erfüllbar. Und überhaupt: Den Verbraucher gibt es nicht (mal abgesehen von der Tatsache, dass es doch meist die Frauen sind, die einkaufen, red). Konsumenten lassen sich heute sehr verschiedenen Gruppen zuordnen. Biokäufer gibt es sowohl bei Genießern, bei ethisch Motivierten als auch bei Schnäppchenjägern - manchmal vereint man beim Einkauf ja auch selber mindestens zwei Seelen in einer Brust. Die emotionale Komponente spielt bei allen Entscheidungen - auch beim Einkauf - eine große Rolle. Auch wenn sich 97% der Verbraucher als rational einstufen und aus ihrer Sicht ihre Bedürfnisse mit ihren Werten auch beim Geldausgeben optimieren. Der Begriffsklau der konventionellen Landwirtschaft sorgt allerdings (gezielt?) für Verwirrung und Misstrauen beim Käufer: Denn auch die industrielle Landwirtschaft und die Agrarchemie können "naturgemäß", "nachhaltig" oder "kontrollierte Qualität" buchstabieren.

Lebenskultur und Verbindlichkeit
Eine Sammlung konkreter Ideen dazu, wie besondere Qualitäten an die Kunden vermittelt werden können, stellte die Arbeitsgruppe zum Einzelhandel zusammen: Kultur und Atmosphäre im Laden sind dazu ebenso nötig wie Erleben des Unterschieds, z.B. durch Verkostungen oder Hofbesichtigungen, kurzum: Kreativität ist gefragt. In der Arbeitsgruppe Erzeuger - Verarbeiter ging es nicht kontrovers her, wie man hätte erwarten können, sondern es wurden konstruktiv Spielregeln der gemeinsamen Verantwortung umrissen: Dazu gehören Verbindlichkeit und eine gemeinsame Entwicklungsrichtung ebenso wie gegenseitiges Interesse und Respekt, nach dem Motto "Der Ladner ist mein Vertrieb. Der Bauer ist meine Produktion", beschrieb Volkmar Spielberger eine partnerschaftliche Denkweise. Zu erwarten ist, dass der Naturkosteinzelhandel sich zunehmend unter "Beziehungsdächer" stellen wird, sich an Kooperationsangebote aus Großhandel oder Verarbeitung anlehnt, eine Chance für Demeter. Die NaturataSpielberger AG bietet hierzu bereits fortgeschrittene Konzepte.

Subventionen und Dritte Welt: Müssen wir wirklich selbst Zucker anbauen?
Es geht um die Existenz: Agrarpolitik ist heute ein sozialer Risikofaktor hierzulande wie weltweit - so war zu hören. Nicht die Konkurrenz, sondern falsche Ziele wie Wachstum (wofür eigentlich noch?) und Rationalisierung treiben die Bauern aus der Landwirtschaft - in der Dritten Welt auch in den Hunger. So wurde auch über den EU-Binnenschutz diskutiert. Wie Demeter Landwirt Klaus Wais ausführte, macht sich Tüchtigkeit in der hiesigen Landwirtschaft nicht bezahlt, sondern verschärft den Preisdruck. Dabei leistet Landwirtschaft eigentlich mehr, als nur Lebensmittel zu erzeugen, kulturelle und soziale Aspekte, besonders stark im Ökolandbau, werden noch viel zu wenig kommuniziert. Verschleiert wird die Misere durch die hohen Agrarsubventionen. Im öffentlichen Bewusstsein werden die Landwirte "ausgehalten", doch die Mittel landen größtenteils in der abnehmenden Hand oder bei den Verpächtern und subventionieren letztendlich den Verbraucherpreis.

Biobauern und konventionelle sitzen nicht in einem Boot
Daher sei es für die Ökobauern Zeit für politischen Mut zur Polarisierung, ermunterte Thilo Bode. Die Unmöglichkeit der Koexistenz mit der Gentechnik zeige, zu welcher Eskalation die Intensivlandwirtschaft führe. Die Öko-Verbände sollten sich gezielt gegen die Wettbewerbsverzerrung einsetzen, die dadurch entsteht, dass die konventionelle Landwirtschaft ihre Folgekosten auslagert, der Ökolandbau dagegen Nachhaltigkeit integriert. Diese so genannten externen Kosten für Umweltbelastung zahlt der Verbraucher dann unabhängig von den billigen Lebensmittel extra über hohe Steuern, Trinkwasseraufbereitung, Umweltmaßnahmen etc. Das Subventionskarussell vertusche das nur. Die Ökobauern sollten sich daher aus der Umarmung durch den Bauernverband lösen - sie sitzen mit ihren konventionellen Kollegen nicht ein einem Boot. Eher ist die Landwirtschaft generell auf rauer See, aber es gibt unterschiedliche Meinungen zum Weg in den Hafen.

Verursacherprinzip: Fairen Wettbewerb einfordern
Würde das Verursacherprinzip für die Landwirtschaft eingeführt, dann stiegen automatisch die Preise für konventionell erzeugte Lebensmittel, Ökoprodukte wären konkurrenzfähiger. Auch Abgaben auf Agrarchemikalien, Stickstoff und Pestizide, aber auch höhere Energieabgaben bringen die Preise der Wahrheit näher. Doch dazu muss der Ökolandbau sich auf eine harte Auseinandersetzung mit den konventionellen Organisationen wappnen: Schließlich konnte z. B. die Stickstoffsteuer seit 25 Jahren verhindert werden und die obengenannte Forderung wurde von konventionellen Agrarmedien im Bericht über die Tagung (AgE 1.12.03) glatt nicht erwähnt. Der Ökolandbau braucht daher mehr und neue Verbündete in Gesellschaft und Politik. Vielleicht bietet die Bedrohung durch die Gentechnik hier eine aktuelle Chance.

Michael Olbrich-Majer

 

  Was denken Sie liebe Leser?
Soll die Ökolandbaubewegung polarisieren, für fairen Wettbewerb mit wahren Preisen kämpfen und das Verursacherprinzip für die Landwirtschaft fordern? Sich also mit Bauernverband und konventionellen Kollegen anlegen für eine Agrarwende, die an die Wurzeln geht?
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