Lebendige Erde 4/2000:

Berichte & Initiativen

Nahrung ergänzen - brauchen wir funktionelle Lebensmittel?

Fragen an Dr. Jasmin Peschke (Demeter-Marktforum) und Dr. Alexander Beck (Qualität & Lebensmittel)
Ohne ergänzende Präparate wie Calcium, Omega-3, scheint man sich heutzutage nicht mehr optimal zu ernähren - sagt jedenfalls die Werbung. Stimmt das?
Die Industrie nutzt und fördert diese Unsicherheit beim Verbraucher, um Effekte verschiedener funktioneller Lebensmittel herauszustellen und zu bewerben. Tatsächlich wird der Eindruck vermittelt, dass es nicht ausreicht, sich abwechslungsreich und vollwertig zu ernähren.

Gibt es nicht auch ökologische Produkte, die mit spezifischen Aussagen zur Gesundheit beworben werden? Reicht "öko" auch nicht mehr?
Hinter den Konzepten "Öko-" und "funktionelle Lebensmittel" stehen zwei vollkommen verschiedene Auffassungen. Einmal: Gesunde Umwelt, gesunde Pflanzen, gesunde Lebensmittel, gesunder Mensch; und das andere Mal: Gesundheit kann ich mir mit einigen wenigen Produkten kaufen. Muss man solche Lebensmittel in Öko-Qualität anbieten, um mitzuhalten? Ich meine, man sollte sich mit den Qualitäten der Ökolebensmittel profilieren und nicht auf ein Pferd setzen, das sich schnell erschöpft.

Treffen diese Lebensmittel nicht auch ein reales Bedürfnis?
Ja, sicher, die Menschen erkennen heute, dass sie aus dem Gleichgewicht gekommen sind. Viele sind verunsichert - ist die Ernährung unzureichend - möchten sich aber gesund ernähren, möglichst lange fit und leistungsfähig bleiben. Das ist anstrengend und erfordert Verhaltensänderungen. Was liegt da näher, als das schlechte Gewissen durch einen schnellen Einkauf und einen sanften Genuss zu beruhigen?

Man lebt und isst also mit Unvernunft und wirft dann zum Ausgleich Pillen ein?
Ja, genau, die Werbung funktioniert in diesem Fall gut und der Mensch will ja auch nicht gerne von seinen Gewohnheiten abrücken. Ich möchte essen, was mir in den Sinn kommt, bin z. B. risikogefährdet für Herz-Kreislauferkrankungen, esse aber Omega-3-Brot, das macht es wieder gut.

Wie kommt man denn dazu, einzelnen Stoffen Funktionen zuzuordnen?
Die Herangehensweise bei functional food ist so, dass man sich das Lebensmittel als Baukasten denkt. Doch wenn ich alle Bestandteile eines Apfels zusammenrühre, erhalte ich ja noch lange keinen Apfel. Es wird außer Acht gelassen, ob die Wirkung, die man den Stoffen zuschreibt, auch auftritt, wenn die Konzentrationen anders als im natürlichen Zusammenhang sind. Wenn verschiedene Stoffe angereichert werden - bleibt die Wirkung die gleiche? Schwächt sie sich ab? Oder verstärkt sie sich? Das sind Dinge, die man noch nicht genau weiß. Ein Lebensmittel dagegen hat eine Biografie, der Apfel hat eine Herkunft, hat den Jahreslauf am Baum "mitgemacht" und wird in einer bestimmten Art verarbeitet zu Apfelringen oder Apfelmus. Nicht nur die Nährstoffe ernähren den Menschen, sondern auch das, was das Lebensmittel an nicht-stofflichen Komponenten vermittelt.

Ist denn etwas dran, dass manche Menschen Nährstoffe ergänzen müssen?
Das kann man in keinem Fall sagen, denn selbst die Deutsche Gesellschaft für Ernährung meint, dass mit einer ausgewogenen Ernährung Nahrungsergänzungsmittel überflüssig sind. Prof. Leitzmann ist z.B. der Ansicht, dass diese Nahrungsmittel nur für die Wirtschaft eine Ergänzung sind. Der seit Jahren stagnierende Lebensmittelmarkt braucht neue Ideen.

Ernährt man sich vollwertig und mit biologisch-dynamischen Lebensmitteln, gibt es also nichts zu ergänzen?
Es gibt allerdings Dinge, die man bewusst gestalten kann und soll, dazu gehören Qualitätsentwicklung in der Verarbeitung, Esskultur, Wahrnehmung, Geschmack und Genuss.

Und was ist mit der Aussage Steiners, die Lebensmittel würden gegen Ende das zwanzigsten Jahrhunderts so degeneriert sein, dass sie den Menschen nicht mehr ausreichend ernähren?
Die heutigen Menschen leiden unter Nervosität, Schnelllebigkeit, sind anfällig im Nerven-Sinnes-Bereich, andere leiden unter Allergien, Rheuma, haben Probleme im Stoffwechsel bis hin zu Krebserkrankungen. In diesen Bereichen ist durchaus eine Neuorientierung im Lebensstil mit Auswirkungen auf Nahrungs- und Lebensgewohnheiten notwendig. Auch die Weiterentwicklung des Menschen, der Kultur, fordert eine Weiterentwicklung unserer Lebensmittel. Das muss Hand in Hand gehen. Neue Ideen und Initiativen sind daher gefragt.

Wie in der Herstellung von Öko-Lebensmitteln mit diesen Fragen umgegangen werden kann, soll die Tagung "Nahrung ergänzen? Sinnvolle Lebensmittel" am 25. Oktober klären. (s. Demeter aktuell S. 57).

Näheres: Demeter-Marktforum, Dr. Jasmin Peschke, Brandschneise 2, 64295 Darmstadt, Fax 06155 - 8469-11

 

Lebensmittel werden als funktionell bezeichnet, wenn sie Inhaltsstoffe enthalten, die über eine gezielte positive Beeinflussung von Körperfunktionen zu einer Verbesserung der Gesundheit führen.
Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel, die einen oder mehrere Nährstoffe in konzentrierter Form enthalten und eine lebensmitteluntypische Form (Tablette, Kapseln etc.) aufweisen. Sie sollen überwiegend der Versorgung mit Mikronährstoffen dienen (Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente).