Lebendige Erde 1/2001:

Berichte & Initiativen

Lebensmittel verschenken?
Perspektiven der Betriebsentwicklung - eine biologisch-dynamische Tagung

Michael Olbrich-Majer

Wie gestalten wir zukünftig unseren Betrieb - das war offenbar keine Frage für Demeter-Landwirte, denn es fanden sich im Vergleich zu den Vorjahren relativ wenige zur Adventstagung des Forschungsring ein. Vielleicht waren viele damit beschäftigt, ihre Betriebe winterfest und zukunftssicher zu machen? Knapp 50 Teilnehmer erlebten so eine intensive Arbeitstagung auf der mindestens soviel diskutiert wie vorgetragen wurde, mit ganz unterschiedlichen Aspekten, Entwicklung an zu schauen.

Der erste Abend führte hin zu Bildekräften und Entwicklungsgesetzen. Dorian Schmidt, Gärtner in Hauteroda, trug seine Anschauung zu Ätherkräften anhand von Bildegesten verschiedener Bäume und Möhrenformen vor, die er durch meditative Bertachtung gewonnen hat. Dabei legte er Wert auf exakte Begriffe und Bewusstwerden der eigenen inneren unreflektierten Bilderwelt, die er mit Übungen den Zuhörern erkennbar machte. Nur wer diese kenne, könne sie von Imaginationen unterscheiden, kann durch Übung seelische Kräfte mobilisieren, die kreativ wirken. Auch Brigitte von Wistinghausen blieb nah an der Pflanze: Was ist Entwicklung? Weiter und mehr machen - also wachsen, angelegtes nur entfalten, wie eine Knospe? Oder etwas rhythmisches zwischen ausbrechen und sich zurücknehmen? Ein Wesen kann sich nur im Austausch mit Einflüssen von außen entwickeln, wobei dieser Prozess immer in wiederkehrenden Phasen von Integration/Absonderung von Ruhe/Chaos vor sich geht. Wichtig war ihr, aufzuzeigen, dass es einen richtigen Zeitpunkt gibt, wo neues die größte Kraft entfaltet, Befruchtung dann stattfindet, wenn das Wachsen aufgehört hat, die Pflanze aber noch nicht stirbt.

Ernüchternd dann der Morgen, an dem Götz Schmidt, Dozent für Soziologie in Kassel, die Rolle der Landwirtschaft in der Informationsgesellschaft darstellte. Er belegte, dass alle gängigen Fortschrittsmodelle am Wesen der Landwirtschaft vorbeigehen, ja davon ausgehen, sie abzuschaffen. Das Bewirtschaften von Land hat wesentlich mit Pflege zu tun, Erträge stellen sich als Frucht derselben ein - ganz im Gegensatz zum industriellen Produktionsvorgang, mit dem Landwirtschaft heute fälschlicherweise gleichgesetzt wird. Ein Ausstieg der Bauern aus Arbeitsbelastung und fallenden Preisen sei nur zu erwarten, wenn die Koppelprodukte, die sich aus der reproduktiven, der bisher nicht bezahlten Pflegearbeit ergeben, ihren Preis finden. Er empfahl den Anwesenden, sich offensiv für ein anderes Fortschrittsmodell, andere agrarpolitische Prioritäten und einen intensiveren Dialog zwischen Stadt und Land einzusetzen: Nachhaltige Landwirtschaft setzt reproduktive Tätigkeit voraus. Nahtlos knüpften da die Ansätze einer biologisch-dynamischen Betriebswirtschaft an, die Martin Hollerbach, Landwirt vom Dottenfelderhof, vorstellte. Pflanzen, Tiere, Boden seien im Ökobetrieb keine zukaufbaren Produktionsfaktoren, sondern bringen sich - reproduktiv - ständig selbst neu im Betrieb hervor. Auch den Menschen bewertete er nicht nur als Kostenfaktor. Vor allem mahnte er ein anderes Verhältnis zu den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen an - wichtig um den Betrieb zu verstehen, aber eben nicht alleiniges Entscheidungskriterium. Viel mehr könne eine Optimierung des Betriebs auch ganz andere Richtungen einschlagen.

Die nachmittäglichen Arbeitsgruppen wurden spontan variiert, jeweils die beiden Themen des Abends und des Morgens gemeinsam vertieft, zusätzlich fand sich eine Arbeitsgruppe zu den biologisch-dynamischen Präparatehüllen zusammen. Wie übe ich meine Wahrnehmungsfähigkeit für Entwicklungsprozesse, war ein Thema. Deutlich machen, dass das richtige Verhältnis zur Natur nicht durch Ablasszahlungen an die Bauern zu kaufen ist, dieser Satz fiel in der andern Gruppe, die u.a. in der Sozialfähigkeit der Landwirte und lokalen Allianzen Auswege sah. Auch die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Kulturwandels wurde angedeutet.

Der Landwirt als Transportunternehmer für Mist, Maschinen, Ernte, Verkaufsware - provokant leitete Clemens von Schwanenflügel seinen Vortrag, Betriebsentwicklung, aus Sicht des Landwirts von Hof Wörme ein. Die Rolle des Bauern stellte er gleich mehrfach in Frage: Von der Natur ist heute nichts mehr gegeben wie noch in früheren Zeiten - wir müssen's heute selbst machen, die Pflege der Natur ist existenziell. Der ökonomische Druck, der auch Ökobetriebe erreicht, öffne gleichzeitig den Blick auf deren Potenziale über die Erzeugung von Lebensmitteln hinaus. Die reproduktive Arbeit sei nicht allein auf's Produkt gerichtet, ja das dürfe ruhig zu Nebensache werden: Warum soll der Bauer nicht Lehrer oder Animateur sein, wenn es ihm liege? Sich vom klassischen Bild des Bauern zu lösen, war einer seiner Ratschläge, Anfragen als Bereicherung des Hofes zu verstehen eine weitere. Was schafft Entwicklungsmöglichkeiten? Darauf die Aufmerksamkeit verwenden, Entscheidungen von Zwängen frei halten und nicht auf bessere Zeiten warten, das lässt sich aus seinem lebhaften Vortrag mitnehmen.

Entwicklung fordert auch Schnitte: am Sonntagmorgen wurde diskutiert, ob und wie das Verbot von Hybridsorten im Getreidebau, das der Forschungsring am 1. Dezember entschieden hatte, auch auf Gemüse ausgedehnt werden kann. Alles in allem war es eine sehr anregende Tagung, die klar machte, dass auch Öko-Betriebe sich, trotz aller Arbeitslast, rechtzeitig um ihre Zukunft kümmern müssen.