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Lebendige Erde 3/2003:Berichte & InitiativenWelche Zukunft schaffen wir der Tierwelt in der LandwirtschaftEingeläutet von zwei Dutzend sonor tönenden Kuhglocken trafen sich zu dieser Frage etwa 550 Teilnehmer der diesjährigen Landwirtschaftlichen Tagung am Goetheanum. Das Zusammenwirken der Naturreiche, Gegenwart und Zukunft der Tierhaltung, Verantwortung und Erkenntnis in der praktischen, seelischen und geistigen Arbeit am und mit dem Tier waren die Themen. Es ging, so Nikolai Fuchs in seiner Einführung, darum, "Begriffe zu bilden, die identisch sind mit unseren Intentionen". Mit welchen Fragen müssen wir auf die Tiere zugehen? Wie bringe ich mich in ein geistgerechtes Verhältnis zur Tierwelt? Was kann "Erlösung der Tiere" bedeuten?
Wie dieser Erlösungsweg im Haustier ein den Menschen segnendes Entgegenkommen
finden kann, erschloss sich in Werner Weckers hinreissendem Beitrag
"Schulung durch Pferdearbeit". Anhand seiner erzieherischen Arbeit mit
Pferden zeigte uns dieser Wahrnehmungs- und Erziehungskünstler die therapeutischen
Möglichkeiten der Mensch-Tier- Beziehung, die Anregung der Selbsterziehung,
die daraus erstehen kann, und die Trost- und Heilungskraft, die in solcher
Beziehung schlummert. Das Pferd, wenn wir in liebender Weise mit ihm
arbeiten, bietet sich an als Seelenspiegel und kompetenter Entdeckungshelfer
ins Reich des Unbewussten. |
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Tadeu Caldas versetzte uns dann mit seinem Beitrag "Farm Individualities in the Earth's Organism" in die planetarische Perspektive. Anschaulich vermittelte er uns einige der grossen Fragen an die biologisch-dynamische Praxis, die den in den "Entwicklungsländern" tätigen Berater beschäftigen. Traditionelle, oft weiträumig landschaftsbildende Landwirtschaftsstrukturen (z.B. Hirtenvölker) und grossangelegte Plantagenwirtschaft verlangen ein kreatives Neu-erdenken der biologisch-dynamischen Prinzipien und Methoden. Er katapultierte uns aus unserer gewohnten eurozentrischen Nordlage vehement in unsere eigentliche Welt-Heimat, deren Vielfalt und Lebenskraft unter der Raserei des Kapitals stöhnt. Sein lebendiger Beitrag wurde bestens illustriert durch seine zu später Stunde präsentierten Dias und den Film "Begegnungen auf der Milchstrasse" von Jürg Neuenschwander. Dieser zeigt an der Begegnung afrikanischer und schweizer Viehzüchter einfühlsam und humorvoll, wie nah und doch fern sich Bauern der ersten und dritten Welt sein können. Wie wir "In der richtigen Art Insekten und Vögel herumflattern lassen" fragte mit einem Zitat von Rudolf Steiner Johannes Brakel. Er erarbeitete geisteswissenschaftliche Aspekte der Ökologie und des Naturschutzes mit einem Schwerpunkt auf dem Beitrag der Insektenwelt. Diese ist die zahlenmässig überwältigendste, bis heute weitgehend noch unerforschte Manifestation der Tierwelt. Er schloss, zusammenfassend, mit einem Ausruf Buddhas an die Schmetterlinge: "Von euch habe ich mehr gelernt als von allen Meistern der Erde". Auch ein Insektenthema, jedoch ganz anders angegangen, war Enrico Zagnolis begeisterte Darbietung der "Eigestalt des Bienenvolkes im Jahreslauf". Pulsierend wie der Bien im Schwarm expandierte und kontraktierte der toskanische Bienenvater durch dieses Thema und vermittelte die Essenz des Bien: Be-geisterung und Wärme. Aurisch, das habe ich an Enrico Zagnoli selbst gesehen, haben auch wir Menschen Eigestalt!
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Erwartungsvoll erlebte ich die von Wilfried Hammacher neu eingerichtete Faust-inszenierung, einen Werkausschnitt von Teil II, 3.Akt. Der Regisseur hatte uns einen glänzenden Vortrag gegeben, doch kam dann eher Verwunderung über die Zeitfremdheit der Aufführung, das recht hölzerne Spiel und die Sprachgestaltung auf. Die "Zähme mich!"-Szene aus St. Exupery's Kleinem Prinzen zum eurhytmischen Ausklang an einem anderen Abend war hübsch, aber zahm. Ein begeistertes Lob dagegen für Marco Bindelli's "Musikalische Betrachtungen zur Seelenwelt in Mensch und Tier", die uns allmorgendlich einzustimmen suchten, die waren für mich alleine schon den Tagungsbesuch wert! "Die Gemeinschaft zwischen Mensch und Tier zeigt sich in der Stimme!" - so führte er den ganzen Saal zu früher Stunde von Stampfen zu Klatschen zu harmonischem Singen. Für die vielen Teilnehmer aus fünf Kontinenten waren der wohl arbeitsreichste und wichtigste Teil der Tagung die zahlreichen Fach- und Übungsgruppen, für die diesmal auch viel Zeit zur Verfügung stand. Sie waren, vielen Berichten zufolge, auch dieses Jahr wieder hochkalibrig geführt und sehr ergiebig für die Vertiefung der Themen. Diese Gruppen sind ja stets das "Fleisch" auf dem Vortragsgerippe einer solchen Konferenz. Das Blut dagegen fliesst in den Kaffeepausen! In diesen konnten wir Einblicke in internationale Initiativen der biologisch-dynamischen Bewegung gewinnen, bestehende Kontakte pflegen und neue knüpfen. Auf der Rückreise fielen mir einige Sätze Peter Sloterdijks1 ins Auge, ein Nachbild dieser Tagung: "Für die aktuelle Menschheit wird ihr reales gemeinsames Haus im Augenblick seiner Zerstörung zum erstenmal insgesamt und richtig sichtbar. ... Die alte Lehre von der Weltweisheit verwandelt sich in eine planetarische Fakultät der Weltwache - eine neue mobile Universität." Möge der Weltgeist weiterhin seine Adresse auch an der Hochschule in Dornach haben! Mein tiefer Dank an die Organisatoren und Beitragenden, es waren gelungene und wichtige Tage. Tyll van de Voort, Oaklands Park, Newnham, United Kingdom |