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Lebendige Erde 2/2004:Berichte & InitiativenSo funktioniert Koexistenz nicht!Zur aktuellen Neufassung des Gentechnikgesetzesvon Heike Moldenhauer, BUND Am 12. Januar 2004 hat Bundesministerin Renate Künast den Entwurf für
die Neufassung des derzeit geltenden Gentechnikgesetzes vorgestellt.
Damit wird die geänderte EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18, die den
Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen regelt, in deutsches
Recht umgesetzt. Am 11. Februar ging der Entwurf ins Kabinett, danach
an Bundesrat und Bundestag. Vermutlich wird ein Vermittlungsverfahren
nach der parlamentarischen Sommerpause notwendig. Die vorliegende Gesetzesnovelle
bietet in ihrer jetzigen Form keine ausreichende Grundlage für den Schutz
einer gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Ob
die bevorstehenden politischen Auseinandersetzungen zu Verbesserungen
führen oder aber Verschlechterungen mit sich bringen, hängt nicht zuletzt
vom öffentlichen Druck ab, den Bauernorganisationen, Verbraucher- und
Umweltverbände und die über 70 Prozent der Bevölkerung, die Gentechnik
im Essen ablehnen, im kommenden halben Jahr auf die Politik ausüben.
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Koexistenz konkret: Regelung der guten fachlichen
Praxis vertagt Der Entwurf listet eine Reihe von Punkten auf, die in der angekündigten Verordnung konkretisiert werden sollen. In Bezug auf Pflanzen sind dies „Maßnahmen, um Einträge in andere Grundstücke bei Aussaat und Ernte zu verhindern sowie Auskreuzungen in andere Kulturen und in Wildpflanzen benachbarter Flächen zu vermeiden – insbesondere durch Mindestabstände, Sortenwahl, Durchwuchsbekämpfung oder Nutzung von natürlichen Pollenbarrieren.” Darüber hinaus sieht er für Lagerung und Beförderung von gentechnisch veränderten Organismen die räumliche Trennung sowie die Reinigung von Lagerstätten und Behältnissen vor. Für Nutzer und Hersteller bzw. Händler von GVO schreibt er bestimmte Verantwortlichkeiten fest: Wer in Zukunft GVO einsetzen will, muss „Zuverlässigkeit, Kenntnisse, Fertigkeiten und Ausstattung”– auf Verlangen gegenüber der zuständigen Landesbehörde – nachweisen. Diejenigen, die mit GVO handeln, müssen eine Produktinformation mitliefern, aus der u.a. hervorgeht, wie Kontaminationen zu vermeiden sind. Zu begrüßen ist, dass die Maßnahmen zur Sicherung der gentechnikfreien
Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion denen auferlegt werden sollen,
die Gentechnik einsetzen wollen. Gemäß dem Verursacherprinzip wird damit
die Verantwortung, Kontaminationsschäden zu vermeiden, den sogenannten
„Inverkehrbringern” auferlegt, also Bauern, Herstellern sowie den Saatgut-
und Futtermittelhändlern. Zu befürchten ist jedoch, dass die Verordnung
zur guten fachlichen (GVO)-Praxis im Laufe des Bundesrats – und Bundestagsverfahrens
so verwässert wird, dass sie keinen ausreichenden Schutz vor Kontaminationen
bietet, auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben oder aber ersatzlos
gestrichen wird. Bereits bei der Anhörung der Länder am 2. Februar 2004
haben u.a. Vertreter Baden-Württembergs und Bayerns gegen jegliche Regelung
der guten fachlichen Praxis des GVO-Anbaus plädiert und so offenbart,
der Kontamination Tür und Tor öffnen zu wollen. |
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Keine Informationspflicht – Zugang zu Standortregistern
unzureichend Das heißt: Es gibt keine Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit,
wo sich Flächen mit GVO-Anbau befinden. Wer das genaue Flurstück ausfindig
machen will, muss gegenüber der Landesbehörde den Nachweis führen, als
Bauer oder Landbesitzer ein „berechtigtes Interesse” zu haben und eine
zeitraubende, wahrscheinlich kostenpflichtige Recherche betreiben. Darüber
hinaus ist „Nähe” nicht definiert. Sind damit nur unmittelbar angrenzende
Nachbarfelder gemeint oder alle Flächen in einem bestimmten Umkreis?
Was ist in diesem Zusammenhang mit Imkern, gerade mit Wanderimkern?
Gibt es eine Auskunftspflicht auch in Bezug auf Kartoffeln und Zuckerrüben,
deren Auskreuzungspotential begrenzt ist? Und der Auskunftsanspruch
wird weiter eingeschränkt: Wer GVO anbaut, kann ein „schutzwürdiges
Interesse an dem Ausschluss der Auskunft” geltend machen. Was das ist,
lässt der Entwurf offen. Liegt ein „schutzwürdiges Interesse” dann vor,
wenn der BUND-Ortsgruppe die Bereitschaft zu Feldzerstörungen unterstellt
wird? Wenn Bauern bei Freisetzungen erst unmittelbar vor Anbaubeginn
informiert werden und bei kommerziellen Anbau maximal zwei Monate vorher,
dann bleibt ihnen keinerlei Chance mehr, sich mit ihren GVO-anbauenden
Nachbarn über Anbauplanung und Vorsorgemaßnahmen zu verständigen. Eine
Informationspflicht von Nachbarn untereinander sieht der Entwurf nicht
vor. |
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Ungleiche Kräfte: Haftungsregelungen unbefriedigend
De facto aber muss der geschädigte Landwirt die Beweislast tragen,
was Arbeit, Zeit und Nerven kostet. Er muss zunächst die Kosten für
die Tests tragen, muss über das Standortregister recherchieren, wer
die Kontamination verursacht haben könnte, muss ausschließen können,
dass die Kontamination ihre Ursache in gemeinsam genutzten Sä- und Erntemaschinen
hat, und er muss für die Prozesskosten aufkommen. Unter Umständen trägt
er sofort einen irreparablen Imageschaden davon, der die wirtschaftliche
Existenz kosten kann. Es ist offen, wann er entschädigt wird, unkalkulierbar,
durch wie viele Instanzen der Prozess geht. Und: Es zeichnet sich ab,
dass, wer Gentech-Pflanzen anbaut, vom Hersteller transgenen Saatguts
Prozesskostenunterstützung erhalten wird, so dass der Schädiger vor
Gericht den längeren Atem haben dürfte. Der DBV verhandelt dem Vernehmen
nach bereits bilateral mit den Firmen, die demnächst transgenes Saatgut
anbieten werden. Ziel: Der Hersteller gentechnisch veränderten Saatguts
übernimmt für die Phase der Markteinführung die Kosten für eventuell
anfallende Schadensersatzforderungen und trägt für den GVO-anbauenden
Bauern das Haftungsrisiko. Wie auch immer die Haftung künftig geregelt
sein wird: Das Verhältnis der betroffenen Bauern dürfte irreparabel
beschädigt sein. Es könnte also durchaus sein, dass jemand, der weiß,
dass bei ihm ein Kontaminationsschaden vorliegt und der sicher ist,
dass niemand anderer davon Kenntnis hat, nach seiner persönlichen Kosten-Nutzen-Analyse
zu dem Schluss kommt, nicht zu klagen. |
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Was tun? – Gentechnikfreie Regionen gründen
Mit seinem Projekt „Faire Nachbarschaft” unterstützt der BUND Bauern, die Gentechnik in ihren Betrieben ablehnen. Das Aktionspaket enthält eine Anleitung zur Gründung einer gentechnikfreien Region, Musterverträge und den Argumentationsleitfaden „Warum gentechnikfreie Regionen schaffen?” Die homepage www.faire-nachbarschaft.de dokumentiert die geschaffenen gentechnikfreien Regionen, die Erfolge der seit 1999 laufenden BUND-Aktionen „Keine Gentechnik auf Kirchenland/Keine Gentechnik auf kommunalen Flächen” und die Aktivitäten der vielen Aktionsbündnisse zur Sicherung der gentechnikfeien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion. Das Aktionspaket ist als Worddokument erhältlich oder über den BUND-Versand zu beziehen: BUND, Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin. Heike Moldenhauer arbeitet im Referat Landnutzung des BUND zu den Schwerpunkten Gentechnik und Verbraucherschutz. |