Lebendige Erde 4/2004:

Berichte & Initiativen

Geld und Landwirtschaft. Bürgernetze als Zukunftsmodell

Nachdenken über Landwirtschaft: Die siebte Tagung "Kultur im Gewächshaus" in Eichstetten

Bürgernetze und Geld - Christian Czesla erklärt´s

"Es ist einigermaßen spannend, eine Gärtnerei in ein Kulturzentrum zu verwandeln", erklärt Andrea Hiß zu Anfang der Tagung. Dabei hat sie darin schon einige Übung, denn es war ja nicht die erste Ausgabe von "Kultur im Gewächshaus". Siebenmal hatte dieses Ereignis, zu dem Leute aus Südbaden, aus ganz Deutschland, aber auch aus Südtirol, Österreich und der Schweiz anreisen, bereits in der Gärtnerei von Andrea und Christian Hiß in Eichstetten am Kaiserstuhl stattgefunden, und zwar gewöhnlich einmal im Jahr.
"Kultur im Gewächshaus" - zwischen den großen Glasfenstern wird keine Ausstellung von Bildern und kein Vortrag einer Sängerin dargeboten, wie es der Begriff "Kultur" vordergründig nahe legt. Stattdessen geht es ums Grundsätzliche, um den Begriff, wie er auch Bestandteil des Worts Agrikultur ist: Pflege und Nutzung des Bodens - Landwirtschaft. Erhalt des Landschaftsbilds und der Artenvielfalt - Naturschutz. Und um das Spannungsverhältnis zwischen beiden. Es geht also - und es ist durchaus die Wahrnehmung der Bedeutsamkeit des Themas, welches die Teilnehmer hier zusammenführt -, um das Fundament menschlichen Lebens. Allerdings ohne Weihe, mit viel Pragmatismus, diskutiert von den "Anthros" (wie die Anthroposophen flapsig genannt werden) und den Nicht-Anthros.

Der Bauer als Maschinist und Buchhalter
Welcher Begriff von Ökonomie erzeugt welche Landwirtschaft? Das war vor zwei Jahren im Gewächshaus das Thema. Traditionelle Pflanzenzucht, Pflanzenveränderung durch Gentechnik: Darum ging es 2003. Und jetzt drehten sich Vorträge und Diskussion um "Geld und Landwirtschaft. Bürgernetze als Zukunftsmodell." Dabei spann sich der Bogen von der Agrarpolitik der Europäischen Union mit ihrem allumfassenden Prämiensystem zur Alltagsrealität des einzelnen (biodynamisch produzierenden) Landwirts.
Oder anders gesagt: Wer ist eigentlich das Gegenüber des Bauern? Die Behörde, bei der er seine Anträge auf Förderung abliefert, von denen er kontrolliert wird und denen gegenüber er sich rechtfertigen muss? Oder die Konsumenten mit ihrer Vorstellung von Qualität, die so Unterschiedliches wie "Stoffqualität" (was ist drin?), "Prozessqualität" (wie entstanden?) und "soziale Qualität" (unter welchen Bedingungen entstanden?) umfasst, wenn die Käufer an der Kasse denn überhaupt etwas anderes interessieren sollte als der Preisvergleich.

Gastgeber Christian Hiss 

Gleichzeitig geht es um die Wiedergewinnung einer eigenen Sprache. Die Bauernhöfe der Vergangenheit waren im Großen und Ganzen Selbstversorger, die Regeln, unter die sie sich stellten, wurden für ewig gültig angesehen. Die Worte dafür standen, so der Freiburger Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen, in der grammatikalischen Verlaufsform. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft in den 60er- bis 90er-Jahren veränderte sich das. Es entstand eine Sprache von Experten, die von Steuerungstechniken, Gewinnmaximierung, Funktionalität redeten, eine Sprache von "Mobilmachern", die den Bauern aus der Unterwerfung unter die Jahreszeiten herauskatapultierte. So hat er einerseits mehr Spielräume erhalten, andererseits aber ist er zum Maschinisten und Buchhalter geworden. "Wenn man die Sprache betrachtet, gewinnt man den Eindruck, als steuere die Landwirtschaft direkt auf ihr Ende zu" (Pörksen).

In der Landwirtschaft, so könnte man zusammenfassen, erfährt die Industrialisierung der Lebenswelt ihre letzte Stufe und wird sich zugleich ihrer Absurdität bewusst. Da die Industrialisierung auf stetige Produktionssteigerung gerichtet ist, die Produkte, anders als das Geld, aber nicht unbegrenzt gehortet werden können, muss für die Vernichtung überflüssiger Nahrungsmittel bezahlt werden. Manche Agrarfabriken leben hauptsächlich von diesem Geschäft: Produkte zu erzeugen, für deren Vernichtung sie bezahlt werden.

Eine Landwirtschaft hingegen, die sich als Dienstleistung versteht, braucht eine andere Sprache. Diese zu entwickeln ist das Programm der kommenden Jahre. Und weil unsere Gesellschaft von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft mutiert, schließt sich zugleich der Reigen: Wie zu Beginn menschlichen Wirtschaftens scheint die Landwirtschaft die Grundlage für das richtige Haushalten zu legen und - für die gelungene Rede. Idealistisch im Allgemeinen, handfest im Konkreten - so lassen sich wohl am ehesten die gedanklichen Bewegungen des siebten Eichstettener Treffens fassen.

Elisabeth Kiderlen

 

 

Was sind Bürgernetze?

Fragen an Dr. Titus Bahner, Projektbüro "Lebendiges Land"

Bürgernetze sind eine konzeptionelle Weiterentwicklung der sogenannten Regionalinitiativen, die im ländlichen Raum seit den 1990er Jahren stark zunehmen. Wenn eine Regionalinitiative durch Beteiligung von Gemeinde oder Landkreis demokratisch legitimiert ist und in die Umsetzung öffentlicher Förderung eingebunden wird, entsteht ein "Bürgernetz", das gesellschaftliche Leistungen der Landwirtschaft mit gesellschaftlichem Geld entlohnt. Vorbild für eine solche Struktur ist in Deutschland der Sozialbereich.

Wie funktionieren sie?
Eine Regionalinitiative, die sich vor Ort z.B. für Landschaftsgestaltung, biologische Vielfalt, Kultur oder Sozialtherapie einsetzt, bildet zunächst einen neuen Ansprechpartner des Bauern für die gemeinnützigen Leistungen der Landwirtschaft. Prinzipiell sind das öffentliche Anliegen, für deren Entlohnung öffentliche Mittel, also Steuergelder zur Verfügung stehen: z.B. Vertragsnaturschutzprogramme oder Agrarinvestitionsförderung aus der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK). Diese Mittel stehen jedoch teilweise nur Gemeinden zur Verfügung, teilweise sind die Regelungen sehr starr und nicht an die Situation vor Ort anzupassen.

Der Bauer beginnt also, gemeinsam mit der Regionalinitiative über die Finanzierung seiner Leistungen zu verhandeln. Und hier entsteht Neuland: Sinnvoll wären z.B. flexible Vereinbarungen für Naturschutzleistungen, die von Zeit zu Zeit den Erfahrungen angepasst werden können. Das geht meistens nicht, aus förderrechtlichen Gründen. Aber es gibt Grauzonen und Pilotprojekte, in denen Spielräume erobert werden. Allmählich werden sinnvolle Regelungen möglich. Das geht bis hinauf in die EU-Politik. Wir haben das in den letzten Jahren z.B. bei der Entwicklung der Vertragsnaturschutzprogramme gesehen.

Eine Regionalinitiative, die sich mit Landwirten und dann auch mit der Gemeinde oder dem Landkreis verbündet, wird zum Bürgernetz: Keine Privatveranstaltung mehr, sondern offizieller Träger einer Vereinbarung mit der Landwirtschaft, die ihr die nötige Unterstützung für öffentliche Leistungen bringt.

Was können sie erreichen?
Das Konzept der "Bürgernetze" bedeutet eine neue Einbindung der Höfe in ihr gesellschaftliches Umfeld. Bürgernetze können Träger und Förderer einer gemeinnützigen Landwirtschaft werden und - in Zukunft - den "Almosen"-Charakter landwirtschaftlicher EU-Subventionen in ein echtes Dienstleistungseinkommen verwandeln, bei dem Leistung und Gegenleistung frei aushandelbar sind.

 
 
Wozu Kultur im Gewächshaus? Wie kam es zu dieser Idee (und dann noch im Mai!) Fragen an Christian Hiss, Demeter Landwirt und Veranstalter von "Kultur im Gewächshaus"

Kultur im Gewächshaus veranstalten wir seit sieben Jahren regelmässig im Mai. Da wir im Gewächshaus sitzen, bietet sich der Mai als Zeitpunkt an, weil es noch nicht zu heiß und nicht mehr zu kalt ist. Die Gesprächsreihe, zu der "Kultur im Gewächshaus" gehört, existiert aber schon länger. Das erste Mal traf sich ein kleiner Kreis von 25 Personen in der Wohnung der Mitveranstalter Gunhild und Uwe Pörksen aus Freiburg im Jahre 1990. Es war und ist immer noch der Versuch, der praktischen Landwirtschaft ein geistiges Fundament zu geben, welches aus der Debatte zwischen den beteiligten Menschen entsteht. "Eine Opposition zum Markt schaffen", wie Mitveranstalter Pörksen es dieses Jahr in seinem Vortrag formuliert hat.

Entsteht da etwas - über Kunden und Mitarbeiter hinaus?
Der Kreis der Debattierenden ist meist sehr bunt gemischt. Aus allen Himmelsrichtungen und aus allen gesellschaftlichen Gruppen kommen die TeilnehmerInnen. Ein Ziel ist, dass bei den Treffen etwas Konkretes herauskommen soll. Dies gelingt nicht immer, aber der Keim für etwas Neues kann meistens gelegt werden. Dieses Jahr war das Thema "Geld und Landwirtschaft" auf der Tagesordnung, dabei hatten wir uns die Diskussion über neue und zukunftsfähige Rechtsformen für landwirtschaftliche Betriebe vorgenommen. Diesbezüglich galt es die Bürgernetzidee zu besprechen und dabei deutlich zu machen, dass Landwirtschaft neben der Nahrungsmittelproduktion eine Reihe von kulturellen Aufgaben übernimmt. Diese Tatsache sollte in der Wahl einer neuen Rechtsform Berücksichtigung finden. Ein weiterer Punkt in der Debatte war die notwendige Trennung von Kaufgeld und Kreditgeld. Landwirtschaft hat einen vergleichsweise hohen Kapitalbedarf. Der Kapitaldienst kann gegenwärtig schwer aus den reinen Produkterlösen geleistet werden. Deshalb war die Idee Eigentum und Unternehmen zu trennen, so dass die Kapitallast von den Schultern Einzelner weg kommt.

Wie sieht Ihr Bürgernetz aus?
Grundlegend bedeutet die Bürgernetzidee, dass der landwirtschaftliche Unternehmer eine Gruppe von Menschen als Gegenüber hat, für die er Landwirtschaft betreibt. Er hat damit konkrete Auftraggeber für seine Arbeit und wird Dienstleister. Dies schließt alle Leistungen, wie Landschaftsgestaltung, Landschaftspflege, pädagogische und heilpädagogische Aufgaben, Naturschutz, Ressourcenschutz usw. mit ein. Und natürlich produziert er auch Lebensmittel, die im Gleichgewicht aller zu berücksichtigenden Faktoren entstanden sind. Wie sich die Menschen mit einem Betrieb verbinden ist dann eine weitere Frage. Da gibt es verschiedene Modelle und auch verschiedene Möglichkeiten. Wie unser Bürgernetz aussehen wird, konnte nicht abschließend diskutiert werden. Das wird die nächsten Monate ausgearbeitet und dann den Beteiligten wieder zur Debatte vorgelegt.