Lebendige Erde 3/2005:

Berichte & Initiativen

Das "kosmische Element" ins Bewusstsein gerückt

von Michael Olbrich-Majer

Erschaffung der Gestirne, Narthex Halle, San Marco, Venedig
Erschaffung der Gestirne, Narthex Halle, San Marco, Venedig
Wem sagt der Kosmos heute noch etwas? War für viele Jahrtausende der Kosmos das Sinnbild für Harmonie, so gibt er uns heute nicht einmal Rätsel auf. Die Beziehungen von Erde und Kosmos, ob und wie der Mensch sie gestalten kann, das interessiert wohl nur Biodynamiker: So trafen sich fast 580 Menschen aus aller Welt im Februar im Goetheanum in Dornach zur jährlichen Tagung, die diesmal Landwirtschaft und Komsos zum Thema hatte. Erleben wir noch die Welt als Klang - wie Tagungsleiter Nikolai Fuchs von der landwirtschaftlichen Sektion zum Auftakt fragte? Wie können wir Kosmisches und dessen Wirkungen erkennen? Ist der Mensch durch sein Bewusstsein nicht auch Bindeglied zwischen elementarer und geistiger Welt und hat so Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeit zugleich?

Sehen wir noch etwas, wenn wir den Blick in einer klaren Nacht nach oben richten? Das fragte die Züchterin Brigitte von Wistinghausen und beschrieb wie die Sternenkunde als Kulturfaktor in der Menschheitsgeschichte wirkte, als eine Hilfe, sicher und richtig denken zu lernen. So ist unser Bild der Sterne heute noch von Bedeutung: Wem das All nur ein unheimlicher Ozean des Zufalls ist, der entwickelt schwerer Vertrauen in die Welt, sich und die Menschen. Mit unserem Verhältnis zum Himmel zwischen Projektion und Innerlichkeit beschäftigte sich Wolfgang Held, bis vor kurzem Leiter der astronomischen Sektion, in seinem Vortrag.

Dr. Michaela Glöckler von der medizinischen Sektion nahm Darwin und das kosmische Prinzip "Evolution" zum Ausgangspunkt, um bei der Verwandlung des Ego zu landen, das die Metamorphose zur kosmischen Liebe durch die Übung an Mensch und Natur erlernt. Was in den meisten Seminaren und Arbeitsgruppen vorgestellt und anfänglich geübt wurde war ein anderer Wahrnehmungsmodus, der im Irdischen auch das Kosmische entdeckt. Wie man sich durch Disziplin im "Denkraum" darin übt, Instrument für Gesten des Lebendigen im Nichtstofflichen zu werden, stellte der Gärtner und Forscher Dorian Schmidt eindrücklich vor, erläuterte Erkenntnisvorraussetzungen für Bildegesten, die in Pflanzen wirksam sind. Um gleichsam horchend zu üben, wurden die Tagungsgäste jeden morgen im großen Saal von zwölf Glockenschwingern eingestimmt: Zodiac- Bells, dem Tierkreis nachempfunden. Dass nicht alles mit dem Kosmos mitschwingen muss, wurde beim morgendlichen Lesen von Steiners Leitsätzen deutlich: der frei handelnde Mensch ist in gewissem Maße emanzipiert vom Kosmos. Denn dem scheinbar unverrückbar Ewigen des Himmels stehen Unregelmäßigkeiten und autonomes "Verhalten" der Himmelskörper gegenüber, was das Schlupfloch für Entwicklung ist. Wolfgang Held demonstrierte das in seinem Vortrag anhand der Beziehungen von Venus, Mars und Mond zur Erde. Die charakteristischen Qualitäten, die der Kosmos den irdischen Erscheinungen vorlebt, führte Ernst Michael Kranich weiter aus und beschrieb, wie sich Gebärden unserer planetarischen Begleiter im Pflanzenwachstum wiederfinden.

Was lässt sich davon für den Landwirt nutzbar machen? Dr. Hartmut Spieß, gefragter Fachmann zur Wirkung des Mondes auf das Pflanzenwachstum, führte in Grundlagen der Rhythmen und der Chronobiologie im Pflanzenreich ein. So gibt es z.B. lunare Reaktionstypen bei Pflanzen, Möhren werden besser vor Vollmond, Kartoffeln besser vor Neumond gesät bzw. gelegt. Er zeigte u.a. Zusammenhänge zwischen der Roggenkeimung zum Merkur-Rhythmus sowie der Löwenzahnblüte zur Häufigkeit der Sonnenflecken auf. Bisher gibt es zu solchen Fragen fast nur Untersuchungen am Institut für Biologisch-Dynamische Forschung. Hier allerdings fehlen die Mittel für Nachfolgeversuche. Speziell für die Landwirtschaft betonte Spieß die Fruchtfolge als Rhythmusorgan, den Mehrfacheinsatz biologisch-dynamischer Präparate und die zeitliche Koordination von Maßnahmen.

Maria Thun, die bereits als junge Gärtnerin mit ihren Untersuchungen wesentlich dazu beigetragen hat, dass das "kosmische" Element im Bewusstsein blieb, blickte in ihrem Beitrag auf ihre Arbeit zurück und postulierte Planetenkonstellationen als Ursache von Erdenphänomenen.

Dass der Kosmos in Form der Sonne existenziell für unser Leben ist, differenzierte Dr. Manfred Klett mit der Darstellung einer vierfachen Sonnenwirkung: Licht als Grund für Form und Weisheit, Tag und Nacht als Rhythmus für Stoff und Zeit, Hervorbringung von Farben als Gestaltungskraft für Lebendiges und zuletzt die Aufrichtekraft, all das kommt von unserem Zentralgestirn. Wie das mit Humus, Kalk, Kiesel und Ton in der Landwirtschaft korrespondiert, darin verbirgt sich der qualitative Auftrag für die Landwirtschaft. Und den repräsentierte zum Abschluss der erfolgreiche biologisch-dynamische Winzer Nicolas Joly. Er zeigte die besondere Beziehung der Rebe zur Sonne als Dirigentin des Wachstumsrhythmus und machte den Landwirten mit seinem Beispiel Mut, auf die Kraft biologisch-dynamischer Lebensmittel zu setzen.

Nun spielt sich eine Tagung nicht nur in Vorträgen oder Seminargruppen ab: es ist auch das Gespräch zwischendrin, Singen oder Eurythmie am Morgen, der Ausblick aus der Sternwarte, die eine solche Tagung für die Einzelnen zum Erlebnis machen. Rund um die Tagung liegen zudem zahlreiche Termine der internationalen biologisch-dynamischen Arbeit: Vertreterkreis, Demeter-International e.V. und die international tätigen Berater nutzen, dass viele bereits in Dornach sind.

Die Tagung präsentierte erstmals seit vielen Jahren einen Querschnitt hervorragender und verdienstvoller Vorarbeiten zum Thema Kosmos. Diese können anregen zum Erlernen des ABCs des Pflanzenwachstums. Denn wie die Aspekte der kosmischen Interdependenz sich zu einer "rationellen Landwirtschaft", wie Steiner es formulierte, fassen lassen, ist nach wie vor eine zu bearbeitende Frage. Das kommende Thema für 2006 sind denn auch Fragen nach Identität, Offenheit und Landbaukultur.