Lebendige Erde 4/2005:

Berichte & Initiativen

Taugt der Weinstock nur zu Wein
Im April fand die erste biodynamische Winzertagung statt

von Annekathrin Mähler

Die Gestalter der Tagung: Fuchs-Jacobus, Feth, Saahs, Kauer, Fritz, Heintz, Leopold
Die Gestalter der Tagung: Fuchs-Jacobus, Feth, Saahs, Kauer, Fritz, Heintz, Leopold
Seit achttausend Jahren wird die Weinrebe kultiviert. Im Christentum ist der Wein Metapher für das Blut Jesu, Wein steht für Lebenskraft und Lebendigkeit. Muss diese Lebenskraft, die der Weinstock in den Trauben ausdrückt, immer in Verbindung mit Alkohol stehen? Und: Wie ist diese vitale Qualität messbar? Das waren die Ausgangsfragen zur ersten biologisch-dynamischen Weinbautagung in Deutschland, zu der Demeter-Winzer und der Forschungsring am 21. April eingeladen hatten. "Wie hat Weinbau Zukunft?", hieß das Motto des Tages auf Schloss Freudenberg.

Den Auftakt der Veranstaltung übernahmen die Demeter-Winzer Volker Feth, Hartmut Heintz und Wilfried Jacobus. Moderiert von Prof. Kauer, von der Fachhochschule Geisenheim, berichteten sie über ihre Motive zur Umstellung auf die Biodynamik, die Entwicklung ihrer Winzergemeinschaft und die Entstehung des Leitbildes für biologisch-dynamische Rebbaukultur. Mit Biodynamik konnten sie im Einklang mit der Natur wirtschaften und fühlten sich nicht länger als "Störenfriede" in der Natur, so Feth und Jacobus. Bei Heintz führte die Geburt seines Kindes und die Frage "Was is(s)t der Mensch?" zur Umstellung.

Die Gründung des Vereins für biologisch-dynamische Rebbaukultur in Mitteleuropa gemeinsam mit anderen Winzern folgte ihrem Wunsch, gemeinsam zu einem tieferen Verständnis der Rebkultur zu kommen. Mit Unterstützung der Biodynamiker Kurt Theodor Willman und Ernst Becker sollte die Rebe neu entdeckt werden, auch mit der Intention, ein neues Produkt zu entwickeln, das Zielgruppen über die Weingenießer hinaus eröffnet. Alkohol als gesellschaftliches Problem - in Deutschland sind 2,7 Mio Menschen alkoholkrank - ist schließlich eine Kehrseite des Weines. So kam es zur Komposition von Kristdyn, einem Elixier, in dem die Rebbauern ihren Traubensäft mit ausgesuchten Traubenkernölen und Weinblattauszügen anreichern. Laut Heintz ein "Red Bull, aber mit 100% Inhalt", gemeint ist ein natürliches Stärkungs- und Wellnessmittel.

Schwerpunkt des Vormittags war die Präsentation eines Leitbilds für biologisch-dynamische Rebbaukultur. Ausgearbeitet von Winzern und dem Forschungsring konnte es Immo Lünzer, ehemaliger Geschäftsführer des Forschungsring, erstmals der Öffentlichkeit vorstellen.

Nach Verkostung von Wein, Saft, Kristdyn und der Gelegenheit, beim Mittagessen Bekannte zu treffen, Erfahrungen auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen, war die zweite Tageshälfte biologisch-dynamischen Weinbau in Praxis und Forschung gewidmet.

Christine Saahs vom Nikolaihof, preisgekrönter Demeterbetrieb und ältestes Weingut Österreichs, betonte in ihrem Vortrag: "Wir müssen sagen, was Qualität ist". Der Nikolaihof beobachtet bei der Anwendung der biologisch-dynamischen Präparate nicht nur eine bessere Widerstandsfähigkeit gegen Pilze und Schädlinge, sondern auch eine Stabilität der Reben gegenüber Jahresschwankungen. Für Christine Saahs kommt die Qualität aus dem Weinberg und wird durch die Präparate "vollendet". Weine müssen Ihrer Meinung nach auch einer sensorischen Probe, geöffnet über mehrere Tage, standhalten: "Eine seriöse Weinbewertung braucht unbedingt Zeit." Die Untersuchung mit bildschaffenden Methoden rundet ihren Qualitätsansatz ab.

Die mögliche Steigerung der Traubenqualität und somit der Weinqualität kann ein entscheidender Beweggrund für die Anwendung der Biodynamik im Weinbau sein, das geht als Ergebnis aus einer Betriebsbefragung im biologisch-dynamischen Weinbau hervor, die Prof. Kauer vorstellte. Diese Qualitätsverbeserung könnte rasch zu einem Impuls für die Umstellung vieler Betriebe werden, wenn auch die Demeter-Marke als Marketinginstrument dient.

Eine selbst für Laien äußerst anschauliche Darstellung der Bildschaffenden Methoden, was sie sind und was sie leisten, gab Dr. Jürgen Fritz vom Institut für Organischen Landbau der Universität Bonn. So wurde das Publikum aktiv in die beispielhafte Auswertung der Steigbilder, Rundchromatogramme und Kristallbilder eingebunden, deren Ziel es ist, die Vitalqualität der Lebensmittel bildhaft sichtbar zu machen. Damit vermittelte er eine Vorstellung davon, wie die Methoden auch zur Differenzierung von dynamischem, organischem und konventionellem Anbau bzw. von Züchtungswegen geeignet sind.

Nach so vielen Worten rund um die Rebe folgten im schlosseigenen Kirschbaumgarten schließlich Taten. Referenten und Teilnehmer pflanzten pünktlich zum Rebaustrieb zwölf mitgebrachte Weinreben. Schloss Freudenberg war nicht nur wegen seiner Nachbarschaft zu den Weinhängen des Rheingaus ein gelungener Rahmen für die Winzertagung. Da es mit dem dort beheimateten Erfahrungsfeld auch die Entfaltung der Sinne anspricht, passte das Thema Wein bestens: ging es doch um den Genuss des Riechens, Schmeckens und Fühlens.
 

Leitbild biologisch-dynamische Rebkultur

Ziel ist es, die Rebbaukultur auf biologisch-dynamischer Grundlage weiter zu entwickeln und die Rebe für die menschliche Ernährung neu zugänglich zu machen. Die Hinwendung zu Saft, Extrakten und Elixieren ohne Alkohol bringt dabei eine gesellschaftliche Aufwertung der Rebbaukultur. Wein soll sich nicht vorrangig durch Alkohol, Körper und Volumen auszeichnen, sondern mehr durch erlebbare innere und äußere Qualität. Auch ist das richtige Verhältnis von Rebbau und anderen Kulturen (Acker, Wiese und auch Wald) zu finden, eine Entwicklung von der Landbaukultur zur Landbaukunst. Die Wieder-Kultivierung der Europäer-Rebe mit Hilfe der Züchtung bietet für den Weinbau die Chance einer unverwechselbaren europäischen Qualität.