Lebendige Erde 2/2001:

Biodynamisch

Landschaft gestalten heißt Beziehungen herstellen

Dietrich Bauer, Dottenfelderhof

Abb.: Gestaucht, zurück gehalten, um sich im Innern zu entwickeln: Knospe
 
Im 7. Vortrag des Landwirtschaftlichen Kurs werden von Rudolf Steiner in gewisser Weise die Grundlagen gelegt für ein "ökologisches" Verständnis der Landwirtschaft. Auf die sogenannten "naturintimeren Wechselwirkungen" wird hingewiesen, die im Zusammenleben von Tier und Pflanze innerhalb eines landwirtschaftlichen Betriebes eine Rolle spielen. Und es werden in dieses Zusammenleben nicht nur die Haustiere einbezogen, sondern alle wild lebenden Tiere und der Wald, aber auch die Auen, wo sich Pilze und Bakterien beheimatet fühlen können. Die ganze Natur wird als durchlebt und von Aufmerksamkeit durchzogen beschrieben: Es heißt da, dass "ätherische" Strömungen und "astralische" Kräfte die Grundlage sind für das Zusammenleben.

Ausgegangen wird vom Baumwesen, das wird zunächst in das - auch bei dem Leben gebrauchte Bild von der "aufgestülpten Erde" gebracht. Dieses wird erweitert, indem Steiner hinweist auf die ungeheuer gesteigerte Vitalität, die den Baum hervorbringt im Wachstum und wie dadurch zugleich das astralische Wirken herangezogen wird.

Dieses braucht uns nicht ein leerer Begriff zu sein, können wir doch an jeder Knospe, an Rinde und Borke, an allerlei Formen von mehr oder weniger gestauchtem Triebwachstum bis hin zum Dorn die Auswirkungen der stauchenden, gestaltenden und verwandelnden Kraft mit Augen sehen und mit Händen betasten. Ein Kurztrieb z.B. weist uns auf die das Längenwachstum zurück stauchende Kraft hin, ein Triebdorn zeigt uns zusätzlich die lebensverzehrende Kraft, die ihn von der Spitze her absterben lässt. In der Knospe schließlich ist das Triebwachstum völlig unterbunden - die äußersten Blätter schützen den Vegetationspunkt vor diesen Kräften, so dass er sich ungestört ausdifferenzieren kann. Auch die Korkschicht als äußerste Schutzschicht ist ein Beispiel für die Auseinandersetzung der Wachstumskraft mit den Gestaltungskräften der Umgebung.

Bei genauer Beobachtung über eine gewisse Zeit bemerken wir, dass diese gestaltenden und verwandelnden Kräfte ihren stärksten Einfluss im Sommer haben und ihren Höhepunkt in der Wärmeperiode des Hochsommers. Ein Beispiel ist die Ausbildung der Korkschicht über der grünen Rinde der Jahrestriebe. So haben wir einen Anhaltspunkt dafür, dass ein Zusammenhang besteht zwischen diesen astralischen Kräften und der Wärmemacht der Sonne. So ergibt sich die Möglichkeit, die astralischen Kräfte sowohl im engen Zusammenhang mit dem, was von ihnen gestaltet wird, zu denken, aber auch losgelöst davon und allmählich auch gesondert von unseren mechanistischen Denkgewohnheiten. Wird das konsequent ins Auge gefasst, ist uns auch der Gedanke, Vögel und Insekten als "Trägerwesen" dieser Kräfte zu sehen, nicht mehr befremdend.

Tauchen wir dann ein in die Beobachtung einer Biene, die einen Wiesensalbei befliegt oder in die Dynamik eines Meisenschwarmes, der durch den winterlichen Wald zieht, so sind wir in der Lage mehr zu erleben, als allein die Biene, die Nektar sucht und nebenher zufällig die Blüte mit bestäubt oder den Meisenschwarm auf Futtersuche. Wir beobachten an diesen Vorgängen, wie überall Berührungen stattfinden und die gesamte Natur von Aufmerksamkeit durchzogen ist. Bedenken wir, wie sehr das Insekt eingebettet ist in den äußeren Licht- und Wärmeorganismus der Natur, der Vogel mehr ein Luft-Wärmewesen ist, mit immer etwas erhöhter Temperatur, so können wir uns an das Wesenhafte der zunächst wie zufällig erscheinenden Berührungen heran tasten, zum Vergleich uns erinnernd an den warmen Händedruck eines Freundes.
 

Vogelschutz, Insektenpflege, Heckenbau bekommen plötzlich ganz andere, tiefere Dimensionen. Es geht darum, die Landschaft so zu gestalten, dass alle diese Begegnungen und Beziehungen so gut wie möglich stattfinden können, dass Räume entstehen in denen sich die Naturwesen wohlfühlen können. Da entdecken wir nun auch an uns selber, wie wir in unserem Landschaftserleben eine ursprüngliche Fähigkeit haben, ein Landschaftsgefüge zu beurteilen. Auch wir fühlen uns wohl in einer Landschaft, in der Räume gestaltet sind, die unserem Auge und Gemüt Halt und Geborgenheit geben.

Im Verhalten unserer Singvögel haben wir ein weiteres Feld für unsere Wahrnehmung. Sie "ersingen" sich ihr Revier und behaupten es durch ihren Gesang ihren Artgenossen gegenüber. Fängt beispielsweise eine Kohlmeise an zu singen, antwortet das Männchen des angrenzenden Reviers usw. und je vielgestaltiger eine Landschaft ist, umso kleinräumiger und dichter beisammen können die Reviere der einzelnen Art liegen.
 

Letztendlich geht es darum, dass wir unsere Kulturlandschaft so vielgestaltig wie möglich machen: Mit den verschiedenen Gehölzarten, mit Feldsäumen durchziehen, heimelige Hecken in Abwechslung mit großzügigen Freiräumen gestalten, den Teich oder das Feuchtbiotop ebenso wie den Trockenstandort belassen oder einrichten usw. ... Eine solche Landschaftsgestaltung fördert und intensiviert vielfältige Beziehungen der Naturwesen untereinander. Der Blick des Landwirts ist dabei auch auf das bestmögliche Gedeihen seiner Feldkulturen und seiner Haustiere gerichtet. Nur in einer harmonisch gestalteten Landschaft ist letztlich auch die umfassendste Vorraussetzung gegeben für das Hervorbringen von Nahrung für den Menschen in höchst möglicher Qualität: Denn, wie Steiner sagt "...in der richtigen Verteilung von Wald, Obstanlagen, Strauchwerk, Auen mit einer gewissen natürlichen Pilzkultur liegt so sehr das Wesen einer günstigen Landwirtschaft, dass man wirklich mehr erreicht für die Landwirtschaft, wenn man sogar die nutzbaren Flächen des landwirtschaftlichen Bodens etwas verringern müsste."

Im Verlauf des Vortrages wird noch tiefer hineingewiesen in die Beziehungen der Naturwesen untereinander. Auf die "Verwandtschaft" von Vogelwelt mit dem Nadelwald wird aufmerksam gemacht, ebenso auf die Beziehung von Regenwurm und Kalk und die damit zusammenhängende Bildung von Dauerfruchtbarkeit unserer Kulturböden. Die Verwandtschaft von Rind und Heckengehölzen ist uns geläufiger, da sie die "zum Fressen gern haben" und es gut ist für ihren Stoffwechsel, wenn Blätter und Zweige ihr Futter bereichern können.

Abb.: Vielfalt bringt Leben in die Landschaft
 
Schwerer zu verstehen ist der Zu sammenhang von Pilzen und Bakterien, weswegen wir dafür sorgen sollen, dass Plätze in der Landschaft vorkommen auf denen Pilzwachstum möglich ist. Heute würde man sagen, man richtet "Feuchtbiotope" ein. Solche "intimeren" Zusammenhänge fordern ein tiefer gehendes Naturverständnis als wir zunächst zur Verfügung haben. Aber eine Ahnung können wir haben und die Hoffnung, dass es Menschen geben wird, die in diese Zusammenhänge erlebend einzutauchen in der Lage sein werden. Die Landschaftsgestaltung wird dann ein sicheres Instrument sein, ein gesundes Pflanzenwachstum auf den Feldern zu fördern und das Wohlergehen unserer Haustiere.

Zum Schluß stellt Steiner die Pflanzen- und Tierwelt als die Grundpolarität unserer lebendigen Naturumgebung hin. Das nach innen gewendet Sein des Tieres und das nach außen Verströmen der Pflanze, das "Geben und Nehmen in der Natur". Nicht ohne den Anreiz eines sehr anstößigen Gedankens: "So gibt die Pflanze und lebt vom Geben", heißt es da und diese Idee wird ganz allmählich auch unsere hartnäckigsten, materialistisch gefärbten Gedanken auf den Kopf stellen.
 

Studie über Ökologische Aspekte im Vortragswerk Rudolf Steiners

Finden sich Aspekte für ökologische Leitbilder im Vortragswerk Rudolf Steiners? Als Steiner 1924 den Landwirtschaftlichen Kurs hielt, existierte die "ökologische Frage" noch nicht, die Landwirtschaft war noch überwiegend "unkontrolliert biologisch", und der heutige Schwund an Arten und Lebensräumen in der Kulturlandschaft nicht einmal in Ansätzen erkennbar. Und niemand stellte Steiner Fragen zum Schutz von Natur und Umwelt. Ökologische Patentrezepte sind also von vornherein nicht zu erwarten in seinem Werk, das in über 300 mitstenographierten Vortragszyklen und Büchern vorliegt, aber doch in vieler Hinsicht bisher als kaum erschlossen gelten kann.

Naturschutzfragen auf biologisch-dynamischen Höfen waren Anlass zu einer Studie über ökologische Gesichtspunkte im Vortragswerk Rudolf Steiners, die 1995 durch ein Forschungsstipendium der Anthroposophischen Gesellschaft ermöglicht wurde. Einen ersten Ansatzpunkt für die Zusammenstellung von Auszügen aus rund 80 Vorträgen Rudolf Steiners bildete der 1912 in Helsinki gehaltene Vortragszyklus "Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen", in dem Steiner differenziert Zusammenhänge der uns umgebenden physischen Natur mit einer unserem Alltagsbewusstsein verborgenen "geistigen Welt" schildert. Von dort aus wurden weitere Darstellungen Steiners einbezogen: Schilderungen über den geschichtlichen Zusammenhang von Erde, Natur und Mensch, und über das sich ändernde Bewusstsein des Menschen im Umgang mit der Natur. Nachklänge von Bewusstseinszuständen, in denen die "Umwelt" als durchdrungen von Wesenhaftem erlebt wurde, lassen sich noch heute außerhalb der sogenannten zivilisierten Welt finden. Der Verlust solcher Fähigkeiten wird von Steiner als Entwicklungsweg geschildert, aus dem sich neue Menschheitsaufgaben im Umgang mit der Natur ergeben - Natur-Entwicklungsaufgaben, die weit über die Ansätze des Naturschutzes hinausgehen, aber auch über die Gesichtspunkte des Landwirtschaftlichen Kurses. Heute geht es darum, neue Fähigkeiten auszubilden, die auf zeitgemäße Weise einen neuen Zugang zu tieferen Schichten der Natur ermöglichen.

Die Studie (280 Seiten) ist als Manuskriptdruck für 32,- + Versandkosten direkt beim Verfasser erhältlich:
  Dr. Thomas van Elsen
  Universität Gh Kassel, Fachgebiet Ökologischer Landbau
  Nordbahnhofstr. 19
  37213 Witzenhausen
  E-Mail velsen@wiz.uni-kas sel.de