Lebendige Erde 6/2001:

Biodynamisch

Arbeit – ein besonderer Produktionsfaktor

Martin Hollerbach

Die Arbeit des Landwirtes hat besondere Qualitäten. Betrachtet man die Arbeit in Technik, Industrie, Handwerk oder in einem Büro, so bemerkt man, dass sie sich direkt auf den Gegenstand der Produktion, das Produkt richtet. An jedem Punkt der Herstellungskette vom Rohstoff bis zur Ware wird das Produkt oder ein Teil desselben direkt bearbeitet. Für und mit dem Produkt geht es Schritt für Schritt weiter. In manchen Fällen ist das Produkt erst in zweiter Linie der Gegenstand der Arbeit, z.B. bei der Herstellung von Produktionsmitteln. Hier sind jedoch die Produktionsmittel selbst so lange das Produkt, bis sie die Produktion von Produkten übernehmen. Produkt und Produktionsmittel sind völlig voneinander verschieden.

In der Landwirtschaft sind Produkt und Produktionsmittel identisch.

 

In der Landwirtschaft ist das ganz anders. Will ich Brotgetreide herstellen, so ist das Produktionsmittel hierzu das Brotgetreide selbst. Produkt und Produktionsmittel sind identisch. Im Falle des Erzeugens richtet sich meine Tätigkeit sogar auf einen ganz anderen Gegenstand, nämlich auf den Boden, der die Pflanzen tragen soll. Dieser Boden ist Ort der Produktion in einer Landwirtschaft. Dieser Ort ist speziell, jeder Ort verhält sich anders, hat ein anderes Klima usw. Es gibt Orte, wo man Weizen überhaupt nicht anbauen kann. Nicht nur der Ort ist bestimmt, auch die Zeit muss bestimmt sein. Ich kann nicht einfach irgendwann Weizen bauen. Raum und Zeit müssen bewusst gewählt werden, wenn die Produktion gelingen soll.

Die Tätigkeit richtet sich hier auf ein ganz anderes Objekt als das Produkt, in diesem Fall auf den Boden. Ist der Boden vorbereitet, so werden die Samen ausgelegt. Nun kann ich nichts tun als warten, was Boden und Pflanze zusammen tun. Schließlich kann ich die Kulturen noch pflegen, d.h., düngen, hacken, striegeln, bewässern und vielleicht noch spritzen. Selbst bei Pflanzenschutzmaßnahmen im konventionellen Landbau richtet sich die Maßnahme kaum auf die Pflanze, an ihr will man gar kein Gift haben. Dieses Gift ist Rückstand und gerade nicht stoffliche Beimischung des Produkts. Alles, was ich bis dahin tue, zielt auf die Umgebung und die Bedingungen der Produktion, während das Produkt sozusagen sich selbst überlassen wird. Erst mit der Ernte wird das Produkt ähnlich der sonstigen Wirtschaft, unmittelbar ergriffen. Das hat dazu beigetragen, die Landwirtschaft eher mit dem Bergbau als mit der eigentlichen produktiven Wirtschaft zu vergleichen.

Mit dem Produzieren hat der Landwirt zunächst gar nichts zu tun, dies besorgen die Pflanzen, der Boden und die Tiere für den Landwirt. Dessen Arbeiten gliedern sich in drei Bereiche, die Vorbereitung des Bodens und Bodenbearbeitung, die Pflege von Boden und Kultur, die Ernte. Diese drei Arbeitsbereiche gliedern auch die Maschinen in erstens die Bodenbearbeitungs- und Sä- Maschinen jeder Art, zweitens in die Pflegemaschinen von der Hacke bis zur Spritze mit allen gärtnerischen Maschinen dieses Bereiches und drittens in die Erntemaschinen.  

 

Nachhaltigkeit: Erzeugung der Erzeugungsfähigkeit
Alle diese Arbeiten lassen sich nochmals in zwei Qualitäten unterscheiden. Bodenbearbeitung und Düngung gelten nicht nur der Kultur, die gerade angebaut wird, sie dienen auch der folgenden Kultur, der Struktur des Bodens, sie soll den Boden nachhaltig fruchtbar machen. Beim Striegeln geht es nicht nur um die Vernichtung des Unkrautes für diese Kultur. Die Samen der Unkräuter sollen auch nicht die nächste Kultur stören, es geht zudem um Bodenlockerung und das Vermeiden von Spuren für die Folgekulturen. Das Gleiche gilt für die Ernte und den Einsatz der Erntemaschinen. Genau so hat die Arbeit mit den Tieren zwei Richtungen: Die Kuh bekommt das Kalb und gibt die Milch. Die Fütterung und die Pflege der Kuh müssen so eingerichtet sein, dass das Kalb eine gute Milchkuh werden kann. Sie darf unter den Maßnahmen nicht degenerieren, im Gegenteil, ihr Kalb muss ein wenig besser sein als sie. So ist in der Landwirtschaft immer ein Teil der Arbeit auf die zukünftige Produktionsfähigkeit, auf die Potenz, produzieren zu können, gerichtet, die Nachhaltigkeit der Naturgrundlage, und nur ein Teil der Arbeit auf die Produktion selbst. Es wird einfach zu leicht vergessen, dass ein Teil der Arbeit sich immer mit dem Produktionsmittel verbindet, in Boden Pflanze und Tier sich manifestiert und dort Voraussetzung für Zukunftsfähigkeit wird. Hier bildet sich im wahrsten Sinne das Kapital des Landwirts. Alle Aufgaben des Naturschutzes müssen diese Motive zur Arbeit enthalten. Nur auf dieser Grundlage kann sich biologisch-dynamisch langfristig die besondere Qualität überhaupt bilden. Als Landwirtschaft noch ein Kulturfaktor war, brauchten diese Überlegungen nicht angestellt werden. Die Arbeit stand unbewusst im Spannungsfeld zwischen Himmel – Zeit und Erde – Raum und wurde als Dienst an Erde und Mensch erlebt. Heute ist dies anders. Die Arbeit in der Industrie hat dieses Gefühl grundsätzlich verändert und der Raum- bzw. Zeitbezug fehlt vollständig. Die Arbeit ist heute käuflich und damit entwürdigt und tief verändert. Die Landwirtschaft wird wie jede andere Arbeit und wie jedes andere Unternehmen unter Kapitalgesichtspunkten geordnet und geführt. Damit hängt die Unterbewertung jeglicher Arbeit zusammen. So muss jede naturnahe Produktion mit dieser Unterbewertung durch den modernen Wirtschaftsprozess umgehen. Der Mensch kann, so sieht es aus, nur Mensch bleiben, wenn er sich innerlich von seiner Tätigkeit etwas distanziert. Er lernt dies schon als Schüler und erst recht als Lohnempfänger oder Angestellter. Der Landwirt lernt dies als kleiner Unternehmer im Rad der Weltwirtschaft.

 

Wir brauchen aber ganz neue betriebswirtschaftliche Bilder, die die Vorgänge um die Landwirtschaft aufzeigen. Gerade dieser Qualitätsaspekt der Arbeit wird gesellschaftlich nicht honoriert, ja die moderne Landwirtschaft ist das Mittel, diesen Teil der Arbeit abzuschaffen und die Produktion unter Rückdrängung der Natur zu steigern. Die Natur antwortet mit Abbau und Degeneration und zeigt Maschinenverhalten, Verschleiß. Gewissenlos wird auf die Zukunft vorgegriffen. Im Umweltschutz bezahlt die Gesellschaft die Leistungen, die sie dem Landwirt nicht erstattet. Schon heute ist absehbar, dass die Aufwendungen hierfür weiter steigen werden.

Der biologisch-dynamischen Arbeit kommt somit eine besondere Bedeutung zu. Sie steigert mit den Präparaten genau diesen Teil der Arbeit in die Zukunftsfähigkeit der Natur hinein. Sie schafft dadurch aus sich heraus wieder einen Kulturfaktor. Sie wächst hierdurch über die Landwirtschaft des Industrialismus hinaus, schließt an an die alte große Menschheitsaufgabe an der Natur, die wir heute Landwirtschaft nennen.

 

Ganz nett, denkt der Landwirt, doch was mache ich, wenn ich nicht mehr auskomme mit meinem Einkommen? Die Betriebe haben diese Aufgaben bisher zusätzlich geleistet und der Gesellschaft gezeigt, dass man anders arbeiten kann. Die Gesellschaft hat dies wenigstens teilweise über den Preis honoriert. Sie hat gleichzeitig das ökologische an unserer Arbeit verstanden und ist dabei, uns auf dieser Schiene zu überholen. Wir finden überall unsere Bilder. Doch die Schonzeit ist um.

Heute müssen wir den nächsten Schritt einleiten. Wir müssen zeigen, dass biologisch-dynamisch noch mehr kann. Die nächsten zu vermittelnden Schritte sind „Gesundheit” und „Qualität” bei unseren Produkten. Eine Verbraucherbindung im alten Stil wird immer schwieriger, aber die Verbindung zu Ärzten und Gesundheitsfachleuten muss bewusst gesucht werden, ebenso die zu Ernährungsfachleuten, dem Slow-Food Bereich und der gehobenen Gastronomie. Unsere Produkte können im Fachhandel nur bestehen, wenn sie wirklich hervorragend sind. Die Anerkennung muss daher mehr nach Qualitätsmaßstäben als nach einem Maßnahmenkatalog erfolgen. Wir können nicht mehr einfach alles irgendwie verkaufen, wenn wir uns nicht selbst schädigen wollen.
Moderne Landwirtschaft schafft pflegende Arbeit ab: Nachhaltigkeit rechnet sich nicht kurzfristig.

Für die Arbeit gilt: weniger ist mehr. Eigene, spezielle Maßstäbe sind zu setzen, nicht alles selbst machen, koste es, was es wolle. Die Nebeneinkommen und die Verbraucherbeziehungen müssen konsequent ausbaut und gesucht werden. Große Betriebe im Osten werden zu günstigen Preisen „Bio” für den Supermarkt produzieren. Da heißt es, sich umorientieren und die naheliegenden Gebiete Gesundheit, Qualität und Geschmack wirklich erobern. Alle Betriebe, denen diese Wende gelungen ist, haben Erfolg. Denn eine Trendwende bei den Preisen für landwirtschaftliche Produkte ist noch lange nicht in Sicht. Die Würde in der Arbeit wieder finden heißt, dies sich bewusst machen. Wir Landwirte werden immer mehr arbeiten müssen, für weniger Geld als die Anderen. Die Gesellschaft lebt von der Leistung der Vorreiter. Doch unsere Produkte müssen einfach und unmittelbar überzeugen, auch durch unser Markenzeichen und eine gute Selbstkontrolle.