Lebendige Erde 1/2003:

Biodynamisch

Die Landwirtschaft braucht eine andere Ökonomie

Zur Situation der Landwirtschaft

von Martin Hollerbach

In der Landwirtschaft sind Produktionsmittel und Produkt identisch

 

Mit der Landwirtschaft geht es weltweit bergab. Selbst die ökologische Landwirtschaft, zwar im Aufwind, muss um ihre Existenz kämpfen. Die Erzeugerpreise sinken und sinken. In unserem Wirtschaftssystem ist wohl nur noch bei einer großen Versorgungskrise eine Wende zu erwarten, wenn selbst extreme Tötungsaktionen wie bei BSE und MKS das Preisgefüge kaum beeinflussen.

Dabei könnten höhere Erzeugerpreise nicht nur die finanzielle Situation in der Landwirtschaft verbessern, sondern würden auch bewirken:

  • sinkende Arbeitslosigkeit;
  • eine größere Bereitschaft zu ökologischer Landbewirtschaftung
  • die Stärkung der Regionalität;
  • die Stärkung des ländlichen Raumes;
  • einen vermehrten Einfluss und Zugriff auf Boden, Landschaftspflege, Saatgut und die Tierzucht für diejenigen, die damit umgehen;
  • die Zurückgliederung der Pflege der Naturlandschaft in die Arbeit des Landwirtes;
  • die Verringerung des Verkehrs und der Lebensmitteltransporte.

Viele positive Folgen für die gesamte Volkswirtschaft - potenziell. Die Wirtschaftspolitik sucht ihr Heil jedoch genau in der anderen Richtung. Auch Subventionen ändern dies nicht. Jede an einen Bauern gezahlte Mark, die nicht im Betrieb verdient werden muss, wird von diesem Bauern im Konkurrenzkampf an den Händler via Preisabschlag weitergeleitet. Die Subvention kommt nur für den günstigen Preis auf, nicht für den Bauern.


Warum will niemand etwas ändern?
Der Verbraucher bezahlte 1960 37 % seines Einkommens für Lebensmittel, heute sind es noch 15 %, Tendenz weiter sinkend. Wir sind in Europa das Land mit den absolut billigsten Lebensmitteln. Muss das sein? Der Anteil des Preises, der am Ende beim Erzeuger ankommt, geht ebenfalls extrem zurück. 1950 bekam er von einem Brötchen für 5 Pfennige die Hälfte - heute wären das 20 Cent, tatsächlich bekommt er 0,05 Cent. Die Preise für Maschinen und Betriebsstoffe, die der Landwirt benötigt, sind dagegen um mehrere 100 % angewachsen. Diese Preisschere der Landwirtschaft geht immer weiter auseinander, die Landwirte versuchen das mit Ertragssteigerungen und Rationalisierung zu kompensieren, viele geben auf. Die Wirtschaft hat die Aufgabe, die Menschen mit Waren und Einkommen möglichst rationell und optimal zu versorgen. Kümmert man sich in den Wirtschaftswissenschaften noch um diese Frage?

Was ist eigentlich Kapital?
Zunächst: landwirtschaftliche Erzeugung und industrielle Produktion unterscheiden sich in wichtigen Grundgegebenheiten: Das "Kapital" der Landwirtschaft ist das Saatgut, die gesunde Herde und der fruchtbare Boden. Diese enthalten in sich - durch permanente Pflege - die zukünftige Produktionsfähigkeit. Weltweit riesige Erosion und Bodendegradation, Aussterben von lokalen Sorten, monopolfestigende Hybridzüchtungen im Gemüsebau, Verschwinden von Landrassen: wie in der Technik scheint sich in der Landwirtschaft Abnutzung bemerkbar zu machen. Wir sind dabei unser Kapital aufzuzehren, Folge der Kompensationsversuche. Die Wirtschaft erfüllt ihre Aufgabe nicht mehr.

Was wir gewöhnlich Kapital nennen, hat den Charakter, universeller Same für jede Art von Produktion zu sein. Kapital schwingt immer zwischen den Polen Weizen und Gold: am Pol Weizen speziell für die konkrete Erzeugung, am Pol Gold universell für jede mögliche Produktion. Die Verfügung über das Kapital in beiden Formen findet sich heute in den gleichen Händen - wobei diese Hände ganz subtil keinen offenbaren Einfluss nehmen, jedoch die Natur und die Menschen die Verlierer sind. Beide Kapitalarten sind aber ein Menschheitsgut, welches in treuhänderische brüderliche Verwaltung auf Zeit gehört - nicht eine Wirtschaftsangelegenheit. Es geht um Verfügungsgewalt, Ausschluss und Entzug von Einkommen unter Gleichgestellten. Wem nützen die Vorgänge in der Wirtschaft, so wie sie ablaufen?

In der Wirtschaft sind beide Pole für die Nachhaltigkeit gleichermaßen wichtig. Doch auch das Geldkapital verdirbt. Wenn es nicht sachgemäß verwendet wird, stört es die volkswirtschaftlichen Prozesse. Börsenverluste sind offene Alterung des Kapitals. Der spezielle Same (Weizen) des Landwirtes und der Universalsame (Gold) des Bankiers haben etwas Gemeinsames: Wenn das eine ungesteuert ins Unendliche wächst, dann muss die andere Seite ihren Wert verlieren.
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Arbeit hat den anderen Menschen zum Ziel
Die Arbeit wird heute weitgehend als Broterwerb definiert und damit ihrer eigentlichen Zielrichtung beraubt. Von ihrem Wesen und Ergebnis her ist Arbeit aber auf den anderen Menschen gerichtet. Durch das Geld, das wir für unsere Arbeit erhalten, kehren wir dies um, machen Arbeit zu etwas egoistischem und korrumpieren unser eigenes Motiv. Der Busfahrer fährt der alten Frau weg, weil er nur Geld verdienen und nicht Leute fahren möchte. Dieses Lohnsklaventum wird schon in der Schule mit der Notengebung trainiert. Diese Dinge werden erlebt wie das Wetter und es wird weder erkannt, dass sie gemacht sind, noch werden sie wirklich wissenschaftlich bearbeitet.

Heute ist klar, dass kein Landwirt biologisch oder biologisch-dynamisch weiter arbeiten kann, ohne eine direkte Beziehung zum Verbraucher zu haben. Diese Beziehung hat W. E. Barkoff (GLS- Bank) in seiner Idee der Landwirtschaftsgemeinschaften ausgestaltet. Landwirte haben zum einen wirkliche Landwirtschaftsgemeinschaften gegründet und zum anderen haben sie mit der Direktvermarktung begonnen.

Reiche Länder verbieten heute den armen Ländern die Wirtschaftsschranken, die sie selbst zu ihrer eigenen Wirtschaftsentwicklung nötig hatten. Diese Wirtschaftsgrenzen sind aber zur Entwicklung einer Selbstversorgungswirtschaft in kleineren Räumen nötig. Das gilt auch für die Nahrungsmittelversorgung - mindestens zeitweise, für die Landwirtschaft immer. Sonst findet nur Ausverkauf von Ressourcen statt. Versorgung mit Lebensmitteln kann nicht ganz im Markt aufgehen. Sie muss immer mit einem gewissen Überschuss arbeiten, damit volle Versorgung stattfinden kann und sie ist kleinräumig und absolut ortstreu.

Maschinen prägen heute das Bild der Landwirtschaft 

Diese Idee steht auch hinter den Landwirtschaftsgemeinschaften. Als Ergänzung des Euro bedarf es einer Art landwirtschaftlicher Regionalwährung, die die Naturpflege vor Ort erst erlaubt und ermöglicht. Sie liegt z.B. den beiden Agrarfonds der GLS Bank zugrunde: Weizen als Rendite, nicht wie Gold, sondern wie Währung, die verdirbt. Denkt man das ins Große, so entsteht eine Ermöglichungsgeste für regionale Landwirtschaft mit positiver Wirkung auf den Preis. Das hätte auch Bedeutung für die sogenannten Entwicklungsländer. Die großen Währungssysteme fordern geradezu eine Ergänzung nach der Region, eine regionale Währung. Interessant sind unter diesem Gesichtspunkt auch Tauschringe. Jeder Mensch muss essen. Kümmere ich mich etwas um meine Nahrungsmittel, wird sofort klar: Dasjenige, womit ich mich am allermeisten verbinde, was in mich hineingeht, es muss doch vieles an mir verändern. Deshalb muss Qualität die erste Rolle spielen bei den Nahrungsmitteln. Qualität und Regionalität werden dabei langfristig wieder ein Stück näher zusammengehen. Weshalb schauen wir hier nur nach dem Preis?

Bauen wir Landwirtschaftsgemeinschaften auf und aus, so sind sie die Stätte der unmittelbaren Begegnung von Erzeuger und Verbraucher. In den USA haben sich Landwirtschaftsgemeinschaften schon zu tausenden gebildet. Die Landwirte dort gehen ihrer Arbeit nach und werden von den Verbrauchern bezahlt. Auf dem Hof kosten dadurch die Waren etwa den Preis, den die Leute sonst im Supermarkt dafür zahlen. Der Landwirt braucht sich dann nicht noch um alle möglichen Nebenaufgaben zu kümmern.

 

 
landwirtschaftliche Produktion industrielle Produktion und Handel
Die Produktionsmittel der Landwirtschaft sind speziell und drücken die Eigenarten des Standortes aus.

Die Produktionsmittel sind nicht ortsgebunden.

Die Arbeit richtet sich nur zum Teil auf das Produkt selbst. Die Pflege der Produktionsmittel hat keinen eigenständigen Wert.
Die Arbeit des Menschen hat immer zwei Richtungen, auf die Produktion sowie auf das Produktionsmittel selbst, dessen Pflege und Erhaltung. Die Arbeit richtet sich direkt auf das Produkt.
Die Maschinen sind keine Produktionsmittel. Die Maschine ist wirkliches Produktionsmittel.
Die landwirtschaftlichen Produkte sind neue Rohstoffe, sind wirkliche Neuschöpfungen wie aus dem Nichts. Nachhaltigkeit muss hergestellt werden und ist nur in gewissen Grenzen möglich. Die Produktion beruht auf dem Verbrauch von Ressourcen.
Bei der landwirtschaftlichen Produktion sind Produkt und Produktionsmittel identisch: das Produktionsmittel bringt sich selbst im Produktionsprozess neu hervor. Das Produktionsmittel unterscheidet sich prinzipiell vom Produkt.
Das betriebswirtschaftliche Ziel einer Landwirtschaft sind gute Böden, gesunde Pflanzen und gesunde Tiere. Aus diesem Grunde entsteht in der Landwirtschaft kein frei verfügbares Kapital. Das betriebswirtschaftliche Ergebnis muss immer die Kapitalbildung sein. Sie ist notwendig für die zukünftige Produktion.
Gute Böden, gesunde Pflanzen und gesunde Tiere sind das Kapital, d.h. die Voraussetzung für zukünftige und nachhaltige Landwirtschaft. Frei verfügbares Kapital entsteht dort, wo in der Produktion die Kapitalbildung über die notwendige Kapitalrückführung hinausgeht. Dadurch werden neue Möglichkeiten für zukünftige Produktion geschaffen.
Landwirtschaftliche Produktion ist absolut regional. Produktionsform ist von den Standortfaktoren unabhängiger (bis hin zu globaler Standortunabhängigkeit)
Landwirtschaft ist naturnahe Produktion. Produktion ist naturfern, die Natur liefert bestenfalls die Rohstoffe.
 

 

Martin Hollerbach arbeitet auf dem Dottenfelderhof, 61118 Bad Vilbel