Lebendige Erde 4/2003:

Biodynamisch

Das ABC der Natur

Klonieren und Chaos im Samenkorn - Kosmische und irdische Kräfte

von Ilse Oelschläger

Als Dolly vor kurzem getötet werden musste, wurde das Thema Klonieren erneut in der Öffentlichkeit diskutiert. Die Krankheit des ersten klonierten Schafes habe zwar nichts mit dessen künstlicher Erzeugung zu tun, so erfuhr man, jedoch machten andere, beim Klonen auftretende Phänomene stutzig, so dass die Wissenschaft heute etwas vorsichtiger geworden sei. Als Beispiel wurde angeführt, dass alle klonierten Ratten ohne Ausnahme - man sprach von Hunderten - fettleibig sind. Wenn aber diese aufgedunsenen Ratten sich auf natürliche Art fortpflanzen dürfen, erhielten ihre Nachkommen wieder eine normale Rattengestalt.

Vorphase der Zellteilung (Mitose C): wer oder was ordnet die elementaren Lebensprozesse?

Solche Begleiterscheinungen werden verständlich, wenn man die überall in der Natur waltenden kosmischen und irdischen Kräfte ins Auge fasst, wie sie Rudolf Steiner im landwirtschaftlichen Kurs besprochen hat. Er unterscheidet zwischen dem Samenkorn, das die Mutterpflanze lange Zeiten überlebt und allen anderen Teilen der Pflanze, die es nicht bis zum Samenkorn bringen und deshalb früher oder später in die Verwesung gehen müssen. Im Samenkorn kann sich ein "Chaos"1) bilden, wodurch die chemischen Elemente der Eiweißsubstanz ihre ursprüngliche Reinheit wiederfinden, während sie in allen irdischen Substanzen stets in den verschiedensten Kombinationen miteinander verbunden sind und dabei ihren Eigencharakter verlieren. In diese Substanzen können kosmische Kräfte nicht eingreifen, sondern nur, wenn sich das Chaos gebildet hat. Dann liegen die chemischen Elemente sozusagen frei und können entsprechend dem zu schaffenden Pflanzenwesen neu kombiniert werden. Es ist die Neuschöpfung der aus dem Samen gezogenen Pflanzen, welche die grundlegende Regeneration der Pflanzenwelt bewirkt, die im Frühling so herrlich zum Ausdruck kommt.

Im Chaos greifen Kräfte ein, die laut Rudolf Steiner aus den obersonnigen Planeten2) (Mars, Jupiter, Saturn) stammen. Es sind sogenannte Formkräfte, die den Farben, den Formen, den Konturen, dem Duft, dem Geschmack, der Konsistenz einer Pflanze die ihnen angemessene Prägung verleihen. Die Formkräfte allein genügen jedoch nicht, um Pflanzen in die sinnliche Erscheinung treten zu lassen. Gleichzeitig müssen irdische Kräfte zur Wirksamkeit kommen. Sie stammen aus den untersonnigen Planeten (Merkur, Venus, Mond) und bewirken vor allem das Wachstum und die Fortpflanzung. Aus ihnen bildet sich auch die Fruchtbarkeit der Erde, die ja letzten Endes stets aus der großen Masse derjenigen Teile der Pflanzen entsteht, die nicht bis zum Chaos vordringen.
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Wie diese Fruchtbarkeit auf das Pflanzenwesen wirkt, beschreibt Rudolf Steiner folgendermaßen: Die eben aus dem Samenchaos entstandene, sinnlich noch nicht erscheinende Pflanze treibt, der Bodenfruchtbarkeit gemäss, Keime aus, die von der Tendenz alles Lebendigen ergriffen werden, sich zügellos auszubreiten und allen Zwang, den ihnen die Formkräfte auferlegen wollen, zurückzuweisen. Da jedoch die Macht der kosmischen Planeten3) stärker ist als die der irdischen, wird diese Eigentendenz des Lebendigen von den Formkräften bezwungen. Erst das Zusammenwirken beider Kräfte bringt die physische Substanz hervor, durch die alle Lebewesen in die sinnliche Erscheinung treten können. Auch alle leblosen Substanzen sind aus diesem Kräftewirken entstanden. Es gibt auf der Welt keine Materie, die nicht irgend eine Form besitzt, es gibt keine Form ohne Materie, in der sie sich sinnlich offenbaren kann.

Man kann die Wirkensweise beider Kräfte in jeder Pflanze, in der Art oder der Einzelpflanze erfassen. Man sieht z.B. deutlich, wie in der stengeligen Form des Ackerschachtelhalms die Formkräfte, in den wasser- oder schattenliebenden Pflanzen mit ihren rundlich breiten, oft großen und bodennahen Formen die irdischen Kräfte vorherrschen. In kargem Boden oder bei zu starken Licht- und Wärmeverhältnissen schießt die Einzelpflanze in die Vertikale, wird langgezogen und schmächtig. Wenn andererseits die Lebenskräfte durch eine zu starke Düngung und zu viel Feuchtigkeit überhand nehmen, bewirken sie eine horizontale Ausbreitung.

In den letzteren Fällen handelt es sich um Störungen des Gleichgewichts. Diese Störungen kann man besonders gut bei Krebskrankheit beobachten. Der Krebs kann nichts Neues schaffen. Er vervielfältigt eine bestehende Zelle, die ja zu den Teilen zählt, die der Verwesung unterliegen - übrigens auch eine Art von Klonen. Krebs tritt auf, wenn im menschlichen Leib die Formkräfte geschwächt sind. Dann wuchern die irdischen Kräfte übermäßig, indem sie dem beschriebenen Eigenimpuls der Ausdehnung folgen.

In der Natur muss immer ein bestimmtes Gleichgewicht zwischen beiden Kräften bestehen. Bei Kulturpflanzen obliegt es dem Menschen, für das Gleichgewicht zu sorgen. Hier wurden die Lebenskräfte durch die Züchtung der Pflanzen geschwächt. Die Pflanze hat ja nun die zusätzliche Aufgabe, Nahrungssubstanz zu bilden. Diese Substanzen müssen ebenfalls von den Formkräften durchdrungen sein, sonst wären sie nur aufgedunsene Pflanzenmasse ohne Nährkraft. Wenn die Pflanze durch den oben beschriebenen Prozess zwischen Form- und Lebenskräften in der sinnlichen Welt erschienen ist und sie Nahrungssubstanzen erzeugen soll, müssen deshalb erneut Formkräfte auf sie einwirken. Diese kommen aber jetzt nicht von unten her, über das Urgestein, sondern wirken direkt von außen auf die Pflanze und setzen, zusammen mit den Lebenskräften, die Nahrungssubstanz an. Dabei, so scheint es, müssen die untersonnigen Kräfte zum Ausgleich nach unten gezogen werden, um von dort aus zu stärkerer Wirksamkeit zu gelangen, als dies oberhalb der Erde möglich ist.

 

Raumschleifen der Venusbewegung 1960-68 von der Erde aus betrachtet (gestrichelt: der Sonnenlauf)

Den Kulturpflanzen muss der Mensch durch entsprechende Maßnahmen beistehen. Sie können sich nicht aus eigener Kraft anderen Pflanzen gegenüber behaupten. Zur Unterstützung ihrer Lebenskräfte brauchen sie gute, organische Düngung. Wenn diese zu stark ist oder aus salzartigen Substanzen bestehen, die zu starker Bewässerung zwingen, werden die irdischen Kräfte verstärkt und die kosmischen verdrängt. Dann entsteht zwar Pflanzenmasse, aber dieser mangelt es an Qualität. Zu geringe Düngung schwächt die Lebenskräfte, weshalb die Pflanze durch die Übermacht der kosmischen Kräfte in die Höhe schießt.

So kann man die kosmischen und irdischen Kräfte an jeder Pflanze, an jedem Tier, selbst an jedem Menschen ‚ablesen'. Bei den klonierten Ratten deutet die Fettleibigkeit auf ein Überhandnehmen der irdischen Kräfte, das sich dadurch erklärt, dass die kosmischen Kräfte bei ihrem Entstehen keine Möglichkeit hatten, zum "Zuge zu kommen". Erst bei einer natürlichen Befruchtung durch das Chaos können die Tiere ihre artgemäße Gestalt wiederfinden.

Man kann sich nun fragen, ob die zunehmende Fettleibigkeit westlicher Menschen auch mit diesen Grundkräften der irdischen Existenz zu tun haben könnte. Hier handelt es sich zwar nicht um Klonen, aber es deutet sich eine ähnliche Tendenz an. Man will heute, dass alles so bleibt, wie man es einmal als schön empfunden hat: jung bleiben und das Leben ewig genießen. Das Denken beschränkt sich auf die irdischen Gegebenheiten. Geistige Impulse, die doch das irdische Leben erst erschaffen, werden als illusorisch abgetan. So geht die geistige und damit auch die physische Regsamkeit der Menschen verloren, sie ermüden leicht und vermeiden weitmöglichst jegliche Anstrengung. Die selbst erschaffene Öde führt schließlich zu Bedürfnissen nach Zerstreuung und nach Schleckereien.

Das Streben, bestehendes Leben z.B. durch Klonen für alle Zeiten festzuhalten, zeigt, wie sehr das Vertrauen in geistige Kräfte abhanden gekommen ist. Es kann erst dann wiedergefunden werden, wenn das Wirken der Kräfte in der Natur konkret in den verschiedensten Lebewesen aufgezeigt werden kann. Die biodynamische Landwirtschaft könnte viel zu diesem Verständnis beitragen, denn dort macht man schon bei der täglichen Arbeit die schönsten Beobachtungen und kann leicht das Kräftewirken verfolgen. Durch diese landwirtschaftliche Methode wird auch deutlich, dass die Natur nur dann ihr Bestes von sich geben kann, wenn sie im Verstehen der Naturkräfte gepflegt wird.

Ilse Oelschläger
3, Av. du Maréchal Joffre,
F-78400 Chatou

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1) Weitere Aspekte dieses Vorgangs wurden im Buch Denken und Düngen ausführlich behandelt. 2) Steiner betrachtet das All und dessen Wirksamkeiten von der Erde aus, geozentrisch. 3) Der Kräfteunterschied geht schon aus der Fähigkeit der kosmischen Kräften hervor, bis ins Urgestein der Erde vorzudringen, um, von dort zurückgeworfen, senkrecht über Wurzel und Stengel bis ins Samenkorn vorzustoßen, während die irdischen Kräfte vom Kalk angezogen werden müssen, um in die Erde einzudringen.