Lebendige Erde 6/2004:

Biodynamisch

Der landwirtschaftliche Kurs und wir

Von Ilse Oelschläger

In Frankreich ist es geläufig, den landwirtschaftlichen Kurs, "Cours aux agriculteurs" (Kurs für Landwirte) zu nennen. Dieser Titel liegt eigentlich dem Sinn dieses Vortragszyklus näher, wenn man ihn als Ganzes betrachtet. Rein landwirtschaftliche Belange werden ja wenig darin behandelt. Rudolf Steiner hatte zur Bedingung gemacht, dass nur Landwirte an diesem Kurs teilnehmen, so dass er sich auf deren berufliche Kenntnisse stützen konnte.
 
Steiners landwirtschaftlicher Kurs: anfangs gab es den Text nur intern für anthroposophische Landwirte, heute frei im Buchhandel
Steiners landwirtschaftlicher Kurs: anfangs gab es den Text nur intern für anthroposophische Landwirte, heute frei im Buchhandel
Weit wichtiger war ihm, Land-wirte zum Verständnis des realen Schaffens der Natur zu führen. Sie sind schon durch ihre tägliche Arbeit mit diesem Schaffen verbunden, so dass es ihnen leichter fällt, seinen Anregungen während ihrer Tätigkeit nachzusinnen und sie mit der lebendigen Wirklichkeit zu konfrontieren. Es war allerdings auch für ihn eine Herausforderung, diese Grundlagen in acht Vorträgen als Ganzes darzustellen, denn er hatte vordem kaum davon gesprochen. Den einzigen Vortrag, auf den er sich beziehen konnte, hat er in Penmaenmawr im Jahre 1923 (GA 227) gehalten, in dem er das komplexe Ineinanderwirken von kosmischen und irdischen Substanzen und Kräften im Menschen behandelte. So kann man auch die nicht enden wollenden Danksagungen an den Herrn Grafen und die Frau Gräfin und ihre Angestellten im 1. Vortrag leichter verstehen, denn es war wirklich nicht nur Höflichkeit. Rudolf Steiner war sich ebenso der fortschreitenden Schwächung seiner Gesundheit als auch der Notwendigkeit bewusst, die Landwirtschaft, die damals schon sich stark nach rein wissenschaftlichen und rationellen Gesichtspunkten richtete, auf den festen Boden der aus der Geisteswissenschaft geschöpften Kenntnisse zu stellen. Deshalb war er besonders dankbar dafür, dass das Haus Keyserlingk die praktische Organisation übernommen hatte und meisterhaft besorgte, so dass er sich auf den Inhalt der Vorträge konzentrieren konnte. Oft steht man jedoch ratlos vor seinen Ausführungen, die den heute geläufigen Begriffen sehr fremd sind. Man muss sich zuerst in die Gesichtspunkte einleben, nach denen er die Welt betrachtet. Als Beispiel sollen die radikal einander entgegengesetzten und doch wiederum eng zusammenwirkenden Lebens- und Formkräfte erwähnt werden, die den ganzen Kurs durchziehen.
 
Wie die aus den untersonnigen Planeten - Mond, Venus, Merkur - stammenden Lebenskräfte und die Formkräfte aus den obersonnigen - Mars, Jupiter, Saturn - in den Pflanzen zum Ausdruck kommen, gibt Rudolf Steiner schon im ersten Vortrag zu verstehen, indem er ausführt, wie unsere heutigen Pflanzen sein würden, wenn sich auf Erden das Verhältnis der Gesamtmenge von Kalk und Kiesel verschieben würde. Aus seiner Beschreibung geht hervor, dass bei einem Übermaß von Kalk, dieser völlig irdischen Substanz, die Pflanzen sich so nach unten ausbreiten würden, dass sie sich an die Erde schmiegen und fast mit ihr eins werden würden, dagegen der stark kosmische Kiesel sie so fein und zart in die Höhe streben ließe, dass sie keinen Halt mehr in sich selbst fänden und sich in Schlingpflanzen verwandeln müssten. Schon daraus kann man schließen, wie wesentlich das Zusammenwirken der kosmischen Form- und der irdischen Lebenskräfte sein muss und man wird zu dem Gedanken geführt, dass es ohne diese beiden Kräfte kein Geschöpf auf Erden geben könnte, auch kein Mineral, denn alles Anorganische ist einmal aus dem Organischen entstanden. Leben kann nur bestehen, wenn es sich in irgendeiner Form äußern kann und es gibt keine Form auf Erden, die nicht belebt oder ein Überrest früheren Lebens wäre. Dieser Gedanke wird durch Rudolf Steiners Ausführungen über das Entstehen einer Pflanze aus dem Samen (Seite 52-53) bekräftigt. Wenn einmal die kosmischen Kräfte das ins Chaos gefallene Eiweiß des Samens erfasst haben, sind es die vom Kalk in den Boden gezogenen Lebenskräfte, die den Pflanzenkeim dazu anregen, sich in die Breite, in den Umkreis auszudehnen. Erst durch das Zusammenwirken beider Kräfte entsteht die Substanz, durch die eine Pflanze in die sinnliche Sichtbarkeit tritt. In demselben Vortrag wird (Seite 54/55) deutlich dargestellt, was bei einer Pflanze kosmischen und was irdischen Ursprungs ist. Dies zu verstehen, ist bei Heilpflanzen, aber auch bei Nahrungspflanzen besonders wichtig. Wenn Rudolf Steiner im 3. Vortrag von den Schmetterlingsblütlern spricht, so deutet er dabei auf Pflanzen, die dadurch, dass sie zu Gunsten des Kalkes den Stickstoff in die Erde befördern, stärker den Lebenskräften auf Kosten der Formkräfte hingegeben sind. Deshalb haben sie nicht dieselbe Qualität für die menschliche Ernährung, wie zum Beispiel das Getreide, in dem die Form- und die Lebenskräfte in ausgewogener Art zusammenwirken. Auf Ähnliches deutet Rudolf Steiner im letzten Vortrag hin, den er mit Bemerkungen über den Tomaten- und Kartoffelgenuss schließt. Diesen Pflanzen sieht man schon rein äußerlich an, dass in ihnen ein wucherndes Leben die Formkräfte zurückdrängt. Beide Kräfte werden in praktisch allen Vorträgen erwähnt. Im 4. Vortrag sind es eindeutig die beiden Spritzpräparate, die einerseits die Lebenskräfte (Hornmistpräparat), andererseits die Formkräfte (Kieselpräparat) unterstützen. Der 5. Vortrag bespricht die Belebung der Erde durch die Kompostierung mit Hilfe der Kompostpräparate. Wenn man dabei die verschiedenen, für diese Präparate vorgeschlagenen Pflanzen betrachtet, bemerkt man, dass in ihnen ebenso starke Formkräfte wie Lebenskräfte zum Zuge kommen. Im 6. Vortrag werden u. a. die durch ein Übermaß von Lebenskräften entstehenden Schäden in der Vegetation (Seite 166) und ihre Heilung durch den so stark mit Kiesel durchsetzten Ackerschachtelhalm dargestellt, während man im 7. Vortrag sieht, wie im Baum die Natur selbst das Verhältnis zwischen den Formkräften, und den Lebenskräften reguliert, indem die ersteren sich in der Baumkrone konzentrieren, die letzteren im Stamm und in den Wurzeln heruntergedämpft werden. Man erfährt dann gleichzeitig, dass der heutige Artenreichtum der Tierwelt sich nur durch diese Besonderheit des Baumes entwickeln konnte, und dass diese Tiere wiederum die notwendigen Bedingungen für die Pflanzenwelt schaffen.
 
Demeter-Landwirt: Aus einem esoterischen Kurs für Landwirte wurde eine handfeste Praxis mit Ausstrahlung
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Diese kurze Skizze soll zeigen, wie man eine erste Orientierung in der Überfülle der von Rudolf Steiner gegebenen, oft nur leicht angedeuteten Hinweisen finden kann. Im Buch Denken und Düngen (Verlag die Pforte) wurde in vier Aufsätzen beschrieben, wie man überall in der Natur auf diese Gesetzmäßigkeiten stößt. Sie geben einen roten Faden in die Hand, mit dessen Hilfe dann auch schwierigere Dinge verständlich werden, wie z.B. die tieferen Gründe, warum Rudolf Steiner gerade diese Pflanzen und Organe für die Präparate vorgeschlagen hat. (Literaturempfehlungen s. Kästchen) Wer im landwirtschaftlichen Kurs leicht zugängliche Informationen über das Walten der Natur sucht, wird wenig finden, was ihm bei praktischen Problemen unmittelbar helfen könnte. Rudolf Steiner gibt oft nur an, von welchem Standpunkt aus man die Dinge betrachten soll, um ihren Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Erst daraus kann man sich langsam, aber sicher ein Gesamtbild erarbeiten. Im Grunde besteht auch dieser Kurs, wie Rudolf Steiner von seinem Buch Die Philosophie der Freiheit sagte, aus unbeschriebenen Blättern, die erst dann Inhalt bekommen, wenn Menschen sich aktiv mit dem Vorgetragenen auseinander setzen. Da er sich der damit verbundenen Schwierigkeiten voll bewusst war, gab er konkrete, aus dem zuvor Dargestellten hervorgehende Empfehlungen. Sicher würde sich Rudolf Steiner heute freuen, zu erfahren, dass aus seinen diversen, in der Praxis auf die Probe gestellten Angaben eine landwirtschaftliche Methode entstanden ist, die sich weltweit ausgebreitet hat. Jeder kann sie anwenden, ohne die Quellen verstehen zu müssen, aus denen sie geschöpft wurde. Ihm lag jedoch ganz besonders am Herzen - er hat dies ja selbst im Kurs angedeutet - dass Menschen mit Hilfe seiner Ausführungen lernen, mit den Gesetzmäßigkeiten des Naturschaffens selbständig umzugehen, so dass sie im Bedarfsfalle Lösungen finden können, die auf denselben Grundlagen beruhen. Geht es doch um nichts weniger als darum, auch unter unvorgesehenen Bedingungen die Lebensgrundlage für die weitere Entwicklung der Menschheit sichern zu können.
 
Literatur
  • Rudolf Steiner, Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft, GA 327, TB Nr. 640, Rudolf Steiner Verlag, Dornach
  • Ilse Oelschläger, Denken und Düngen, Verlag Die Pforte, Dornach 2001
  • Wolfgang Schaumann, Rudolf Steiners Kurs für Landwirte, eine Einführung, SÖL-Sonderausgabe Nr. 46, Verlag Deukalion, Holm 1996
  • Wolfgang Schaumann, Das Lebendige in der Landwirtschaft, Verlag Lebendige Erde, 2002