Lebendige Erde 4/2000:

Editorial

Wir hatten Mitleid mit dem Boden,

berichtet Rudolf Trossen, biologisch-dynamischer Winzer, vom Anfang der inzwischen 15 Jahre des ecovin-Verbandes. (siehe auch Seite 31). Die Arbeit an der Erde als pflegende Aufgabe ist ein starkes Motiv vieler biologisch-dynamischer Landwirte. Dass daraus dann Lebensmittel bestimmter Qualität hervorgehen, ist für manchen Bauern zweitrangig. Der Boden soll eine lebendige Gare haben, mehr als nur krümeliger Wurzelraum sein, die Erde soll in den Genuss der Präparate kommen. Das Streben nach Bodenkultur ist das, was die Ökolandwirte eint.

Als Konsumenten setzen wir fruchtbare Böden als selbstverständlich voraus, schließlich gibt es Nahrung im Überfluss. Genauso selbstverständlich nehmen wir in Kauf, dass in Deutschland täglich 120 Hektar - meist beste Böden - zubetoniert werden und damit unwiderruflich zerstört. Da auch die ländlichen Regionen zunehmend verstädtern, hat unsere Gesellschaft kein Gespür mehr für Böden, zumal deren Zerstörung schleichend vor sich geht. Geben die Böden wirklich aus ihrer Fülle an Lebendigkeit her, was wir brauchen? Oder sind sie nicht in Wahrheit abgehärmte Leistungssportler, fit gemacht durch die Segnungen der Chemie? Bei "Dopingkontrollen" findet man dann Nitrat im Grundwasser oder die Reste der 30000 Tonnen jährlich hierzulande ausgebrachter Pestizide. Zu billige Lebensmittel haben eben Folgen: Auch der Humusgehalt nimmt eher ab als zu - sogar mit Folgen für das Weltklima, denn so wird CO2 entbunden statt gespeichert.

Als Käufer von Lebensmitteln bestimmen wir, wie morgen produziert wird - wir können Bodenkultur auch als Nicht-Landwirte fördern. Noch besser, wenn damit mehrere Ziele erreicht werden: Ökolandbau ist nicht nur beim Wasser, auch bei der Energieeffizienz oder beim Naturschutz vorne. Doch was kommt, wenn wie angekündigt, der Markt für Trinkwasseranbieter privatisiert wird? Gerade erst beginnen die kommunalen Wasserwerke umzustellen, mit ökologischem Landbau Vorsorge zu betreiben. Wenn Wasser dann überall her kommen kann, Global Player mit Wasser Geschäfte machen wollen, dann wird die Entstehung keine Rolle mehr spielen. Das Trinkwasser reinigen notfalls Filter und technische Aufbereitung, leiden werden die Böden. Der Schutz von Trinkwasser und Böden braucht einen besseren gesetzlichen Rahmen.

Fruchtbare Böden sind Kapital in einer Volkswirtschaft. Gingen wir vorbildlich damit um, angefangen von der Pflege der Bodenfruchtbarkeit bis hin zu flächensparendem Bauen, wäre das auch für viele arme Länder ein Signal: Denn fruchtbare Böden sind allemal nachhaltiger als Chemieimporte für die Äcker, geben einem Land eine solidere wirtschaftliche Basis als der Zukauf als von Gentechnikprodukten, welche die Mängel der Böden versuchen auszugleichen. Nur - Gentechnik ist ein Markt mit Aktienphantasien, Bodenfruchtbarkeit ist ein Bildungsgut. Entsprechend müssen wir uns dafür einsetzen - als Landwirte wie als Bürger mit Weitsicht.

Ihr
Michael Olbrich-Majer