Lebendige Erde 6/2000:

Editorial

Wo sind denn die Tiere,

fragen zuerst die Kinder, wenn wir Freunde mit Hof besuchen. Lebewesen lieben die Nähe zu anderen Lebewesen, ob Tier oder Mensch. Auf einem Bauernhof gelten ganz offensichtlich auch andere Gesetze als in der wilden Natur, Mensch und Tier sind hier anders sozialisiert. Die Katze lässt die Pfoten von den Küken, der Hund schleckt der Katze das Fell, das herum laufende Schwein beschwert sich über die Hühner, die ihm den Trog leer gefressen haben. Zur Hofgemeinschaft gehört die Tiergemeinschaft - auch wenn sie in den seltensten Fällen die Romantik des Kleintierhofes hat, sondern der Erzeugung von Milch, Fleisch, Wolle etc. dient. Tiere sind die Sympathieträger für den Bauernhof, mit Getreide und Kartoffeln allein ist nichts herzumachen. Erst Tiere sprechen die Seele an, bedingen die Gestaltung von Hof und Landschaft.

In der Warenwelt ist das Nutztier als Kuh inzwischen ein Stück gesellschaftliche Alltagskultur: schwarzbunte Tassen, lila Alpenschokolade, Kuh-lisse für Landschaftspostkarten oder Projektionsfläche, auf der Prominente sich verewigen: Kuh-art auf der Expo. Nach Zürich und Chicago bringt die Cow-Parade, von Künstlern bemalte Kühe, jetzt ländliches Flair nach New York.

Der Landwirtschaft bleibt die Rolle der ungehobelten Realität: statt mit lackierten Kühen geht es hier mit echten zu. Doch Tiere, Stallarbeit und Mist auf der Straße sind sozial immer weniger tragfähig. Andrerseits wird Fleisch gegessen, ohne Gefühl dafür, mit dem Tod der Tiere oder deren Lebensbedingungen etwas zu tun zu haben. Auch die Landwirte entfremden sich ihren Tieren, wenn sie mit Rechtsstreiten um Weidezäune, mit Negativschlagzeilen um Rohmilch, mit der Einstufung ihrer Tiere als (BSE-) Sondermüll konfrontiert sind. Am Rinderwesen ist die Landwirtschaft genesen, vor allem am reichlichen Dung - im Vergleich zum Naturzustand. Doch dass das die Zukunft sei, bestreiten viele, u.a. Vegetarier. Rindviecher sind auch der Buhmann für die drohende Klimakatastrophe. Dabei macht das Methan der Kühe nur 2% der klimawirksamen Emissionen aus, und das den Rindern untergeschobene Ammoniak in der Atmosphäre kommt vor allem von Autos, wie Forscher heraus fanden.

Landwirtschaft viehlos oder die Herde, die sich per Chip selbst füttert und melkt, naturnah und tiergerecht, und fast ohne Menschen - das scheinen die Alternativen.

Dennoch: bei den Öko-Landwirten, speziell den biodynamischen, hat die Kuh Kult-Status, ob in Initiativen für hörnertagende Kühe, auf Websites oder im Verständnis der Kuh als idealem Verdauungstier. Dafür wird harte und immer wiederkehrende Arbeit in Kauf genommen: Leben mit den Tieren bedeutet, dass der Mensch für die Tiere da sein muss. Das erzieht den Menschen und nach einiger Übung auch die Tiere, wird teilweise sogar pädagogisch genutzt. Doch die Pferdeflüsterer und Kuhschmeichler werden weniger, wer versteht sich wirklich noch auf´s Tier? Auch hier schiebt sich mehr und mehr die Technik dazwischen.

Wenn wir glauben, dass die Menschheit sich entwickelt, wie ist das mit den Tieren? Sind sie nur intentionslose Werkzeuge von Evolution und Selektion? Ganz sicher nicht, in der Natur erfüllen oft unterschiedliche Arten in ähnlichen Lebensräumen gleiche Aufgaben, weidet das Känguru dort oder das Rind hier. Die Nutztiere hat der Mensch auf seinem Entwicklungsweg mit genommen. Wohin der führt, wissen wir heute selbst nicht - und müssen doch eine Antwort darauf haben, wenn wir Verantwortung auch für Tiere übernehmen wollen. Wie entstehen Arten, Rassen, warum lassen sich die Tiere überhaupt etwas durch Menschen bei bringen? Wie ist das Wesen Tier zu fördern?

Das sollte auch Tierschützer interessieren. Hier steht eine Diskussion an, die der Naturschutz schon hinter sich hat: Nicht Naturkonserven in Reservaten führen in die Zukunft, sondern das Ermöglichen von Entwicklung im Zusammenleben mit dem Menschen. Wäre das eine kulturelle Aufgabe?

Ihr
Michael Olbrich-Majer