Lebendige Erde 2/2001:

Editorial

Frischer Wind für eine neue Agrarkultur

Die Phänomene überschlagen sich, die Landwirtschaft kommt nicht aus den Schlagzeilen: BSE, Hormonschweine, Maul- und Klauenseuche, TBC...

Offensichtlich ist die Ausbeutung der Kreatur unter dem Preisdiktat endgültig zu weit getrieben. Eine Agrarwende liegt in der Luft. Doch das ist leicht festgestellt: Wohin geht die Reise? Mit welchen Mitteln? Warum gibt es bisher nicht mehr Ökolandbau? Was sollen die vielen, die jetzt ans Umstellen denken, mit ihren Rindern machen? Und, ist 20% Ökolandbau die Lösung, die alle glücklich macht?

Ob man die Wende, so sie wirklich Fuß fasst, auch in zehn, zwanzig Jahren an der Landschaft erkennen kann? Auch die ist geschunden, nicht nur durch das uneingeschränkte Asphaltieren und Betonieren landauf, landab, nein vor allem in ihren nicht sofort sichtbaren Funktionszusammenhängen. Ob wir zukunftsfähig sind, hängt unmittelbar davon ab, ob wir die Ressourcen, die unsere Landschaften bieten, pflegen.

Nur wenn aus der Wende eine wirklich andere Kultur im Umgang mit dem Lebendigen entspringt - wird sie dauerhaft sein, werden unsere Kinder das auch an der Landschaft ablesen können. Bisher bezahlt keiner die Bauern für das, was sie dem Land Gutes tun könnten: 2% Land-Wirte als Randgruppe der Bevölkerung nutzen und pflegen 50% der Fläche, oft mehr schlecht als recht. Zwar gibt es behördliche Fachplanung, jeder Quadratmeter ist zigfach beplant, doch wirklich gestalten und vor allem pflegen kann nur der Eigner bzw. der Nutzer.

Es kommt darauf an, wie lebendig unsere Landschaften sind, nicht nur auf deren Wert als Kulisse oder ihre Funktionen wie Lieferung von Trinkwasser, Reinluft oder Erholung. Das fängt bei einer Wirtschaftsweise, die das Leben im Boden und die Vielfalt auf den Äckern und Wiesen ermöglicht. Doch reicht weder das allein, noch eine Erfüllung ästhetischer Vorgaben aus. Es kommt auch darauf an dem Zusammenspiel der Lebewesen eigene Kraft zu verleihen, ihnen ungestörte Ecken, Vielfalt und Vernetzung zu gönnen. Erst dann finden ausreichend Wechselwirkungen statt, erst dann spricht durch die Ästhetik die Glaubwürdigkeit einer Landschaft. Dazu gibt es klare Vorstellungen - Ökologen fordern 10% der Flächen, die jeweils vor Ort geprüft werden müssen: An jedem Ort leben andere Qualitäten, ist etwas anderes passend. Auch bedingen sich Landschaft und menschliche Aktivität gegenseitig: Landschaft prägt Mentalität ebenso wie geistige und ökonomische Realitäten die Landschaft formen.

Heimat hat eine landschaftliche und eine soziale Seite. Heute ist es zur unsentimentalen Herausforderung geworden, der Landschaft wieder Würde zu verleihen, sowohl für Landwirte, wie für reine Landschaftsnutzer.

Auf manchen biologisch-dynamischen Höfen finden sich Ansätze dazu, die weiter Schule machen sollten. Schließlich ist gerade die Landschaftsgestaltung ein Mittel, den landwirtschaftlichen Organismus in Vielfalt anzulegen und zu stärken. Eine Beratung oder das innere Gespräch, das die landwirtschaftliche Individualität als Entwicklungsziel hat, ist hier eine Hilfe. Doch gibt es neben den Landwirten viele Menschen, für die es eine Freude ist, in konkrete Naturentwicklung eingebunden zu werden, vom Anlegen und Pflegen von Hecken und Biotopen, bis zur Begleitung eines Hofes. Als Hof offen für das Umfeld und seine Bedürfnisse sein - miteinander über die Landschaft und die Landwirtschaft vor Ort ins Gespräch kommen, eröffnet neue praktische Möglichkeiten. Schließlich ist Landschaft seit alters her Spiegel für die soziale Aktivität eines Ortes.

Ihr
Michael Olbrich-Majer