Lebendige Erde 4/2001:

Editorial

Wühlen oder wachsen lassen?

Der Garten, das ist für jeden etwas anderes. Ort der Muße und Beschaulichkeit für die einen, die eigene Scholle zur Selbstversorgung für die nächsten, gestylte Repräsentationsfläche für manch anderen.

Gärten gibt es auch im übertragenen Sinne, z.B. Kindergarten. Allen gemeinsam ist, dass in einem geschützten Raum etwas wachsen darf, gedeiht. Das Wie und das Was ist denen, die ihn pflegen, überlassen. Da gibt es Bonsais oder Landschaftsgärten, korrekt kurz gehaltene Rasen und wuchernde Wildnis, Gartenzwerge, Grillkulissen, Kinderschaukeln oder kahle Kartoffel- und Spargelhügel.

Ob durch dichte Hecken dem Einblick entzogen oder einladend dem Publikum geöffnet: immer haftet dem Garten das Private, das Refugium und auch die persönliche Hand an. Er ist gestaltet aus dem eigenen Blick auf die Natur, die Welt. Über nichts anderes gibt es denn auch soviel Streit zwischen Nachbarn.

Hier fanden häufig unsere ersten Naturerfahrungen statt, die unser Bild von ihr prägten: ob Brennnesseln und Dornen oder kindliches Naschen, ob Plackerei oder Sonnenbank zwischen Rosen, die Eindrücke von Erde, Pflanzen, Vögeln und Krabbeltieren, vom Wachsen und Welken sind nachhaltig. Das Bild des Gartens stand Modell in der Sozial- wie in der Baugeschichte (Schrebergartenbewegung, Siedlung Eden oder Garten-vor-städte). Der Garten, der Gärtner, das ist zudem ein kulturelles Urbild, eines des Hegens und Pflegens, und eines der Erziehung, es kann sowohl Erfahrungsraum als auch Ausdruck unserer Beschränkung sein.

Kaum ein Gärtner, der nicht bitter berührt davon ist, wenn seine Lieblinge Opfer von Fraß oder Krankheit wurden. Hier wird nach wie vor viel gesündigt, gespritzt und überdüngt, in zähem Kampf penibel eine Handvoll Radies gegen die Unbill der Natur verteidigt. Und über Schnecken kann man sich als Gärtner stundenlang unterhalten. Der Garten dient dem Ausgleich auch über Erfolgserlebnisse.

Die gibt es - Gott und dem Wetter sei Dank - genug, und wenn es auch nur das Genießen von Sonne und frischer Luft ist. Selbstverständlich gibt es eine Geschichte der Erfolge dessen, was gehegt wurde. All die unglaubliche Vielfalt an Kulturpflanzen, die uns heute in Gärten begegnen, sind in gärtnerischer Zuwendung entstanden - das persönliche Verhältnis ist Bedingung der Züchtung. Historisch geht der Land bewirtschaftende, kulturelle Mensch vom "Garten Eden" aus, folgt der Möglichkeit, Wein, Olive, Gerste, Obst in Kultur zu nehmen vom fruchtbaren Halbmond nach Europa und mit ihm die verschiedensten Pflanzen.

Der Garten ist die dritte Natur: Nach der Wildnis, in der wir nur sammeln, nach Feld, Wald und Wiese, wo wir Nahrung anbauen ist der Garten frei für andere Zwecke, für das Lauschen an der Natur oder unsere Projektionen - Kultur im weitesten Sinne. Hier wird Natur verwandelt, und das ist eine Sache des persönlichen Verhältnisses. Das drückt sich deutlich aus, man muss ja nicht gleich einen grünen Daumen erwarten (doch kann man auch dafür etwas tun). Hier ist Platz, um mit dynamischen Aspekten zu experimentieren, mit Nützlingen, Samenbau, Züchtung, biologisch-dynamischen Präparaten, Konstellationsanbau und vielem anderen. Es gibt Höfe, die aus so einer Gärtnerei entstanden sind.

Und: es gibt noch viel zu erfahren und zu erforschen in den Geheimnissen zwischen Natur und Kultur. Im Garten können wir der Natur ein Angebot machen, sich neu zu zeigen.

Ihr
Michael Olbrich-Majer