Lebendige Erde 5/2001:

Editorial

Macht Gentechnik unfrei?

Gentechnik birgt nicht nur Risiken für Ernährung und Umwelt - mehr noch: Sie forciert auch ein neues, altes Weltbild, propagiert mit Macht einen Glauben an die Materie. Wissenschaftler und aufstrebende Firmen etablieren diesen mit viel PR in den Medien und in unserem Bewusstsein: Leben ist demnach nur eine Erscheinungsform von DNA. Dieses Bild allerdings ist Zweck, es geht um Forschungsmittel, Standortbedingungen und Patente. Gerne wird dabei gezielt zu kurz gegriffen. Wie zum Beispiel bei der Meldung "Gentomate wächst auf salzigem Boden - Maßnahme gegen zunehmende Versalzung". Es ist eben kein Schritt gegen die Versalzung, was ja hieße, etwas für den Boden zu tun, was übrigens mit speziellen Gräsern machbar ist. Und praxisreif ist diese Tomate auch noch nicht.

Aber die Gentechnik weckt Phantasien - die der Allmacht und die der Aktionäre. Als Folge geht es zur Zeit ums Eingemachte: Wie verstehen wir uns als Menschen, was macht den Menschen, seine Souveränität aus? Wieweit darf man die Natur manipulieren? Was sind unsere Werte? Werden sie angesichts der technischen Möglichkeiten obsolet?

Da hat auch die Frage nach Würde oder Integrität von Pflanzen ihren Sinn, die in diesem Heft gestellt wird. Wird daran doch deutlich, dass es nicht nur um eine kleine Eiweißveränderung irgendwo im Labor geht, sondern darum, die Welt zu verändern. Das wird erkennbar an den Prämissen, die den Argumenten der Gentechnikfans zugrunde liegen:

  • Die Natur ist nicht gut genug.(Vielleicht verstehen wir sie nur nicht richtig?)
  • Die Ökonomie muss angekurbelt werden. (Vielleicht sollten wir ihre "Gesetze" einmal überprüfen - vom Wesen des Geldes bis hin zum Eigentum an Genen)
  • Firmen, Forscher und Nationen stehen im Wettbewerb um Markt und Kapital, müssen sich davon sich ein großes Stück sichern. (Vielleicht müssen wir unsere Ziele verändern und unsere Geldanlagen.)
  • Die Forschungsfreiheit darf nicht beschränkt werden. (Dürfen wir uns von Experten unsere Werte vorschreiben lassen? Wie frei sind Forscher, die zunehmend auf Industriekooperationen setzen und Aktienpakte ihrer Partner halten bzw. selbst Unternehmer sind? Müssen Life sciences nicht durch Kulturwissenschaften und Gesellschaft eingebunden werden? Braucht es nicht ergänzend eine Wissenschaft für das Leben, die genau andersherum ansetzt, vom Ganzen ausgeht und nicht vom biochemischen Detail?)
Es geht um sehr viel Geld für Firmen und Forscher, deswegen gibt es Salven voreiliger Erfolgsmeldungen. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, vor einiger Zeit verkündet, war z.B. unvollständig und zum Teil Datenschrott. Wer profitiert wirklich von den Investitionen, die stark aus öffentlichen Mitteln getätigt werden? Kommt bei den Menschen, für die die Forschung sein soll, etwas an? Wer kann in der dritten Welt Patente auf Saatgut bezahlen oder teure Gentech-Arzneien? Würde man nicht besser Beratung und Ausbildung in Entwicklungsländern fördern, statt bereits mehr als ein Jahrzehnt auf teure gentechnische Wunderpflanzen zu warten? Würde man nicht besser einen Teil der Milliarden, die Forscher in Talkshows fordern, in eine menschenwürdigere Betreuung und Pflege von Kranken investieren? Die Mühsal der Ebene lockt eben nicht mit Forscherruhm und satten Aktienkursen.

Es geht, wie grundsätzlich bei jeder Innovation, auch um Umverteilung, um lukrative Abhängigkeiten, national und global. Die muss sich aber an den Werten der Gesellschaft messen lassen, diese muss diskutieren, was sie nun will. Aber Voraussetzung dazu ist, Alternativen nicht zu verbauen, sondern zu entwickeln, z.B. Wahlfreiheit für die Verbraucher, die sich ohne Gentechnik ernähren möchten oder Schutz für Ökobauern, deren Arbeit durch die ersten Zulassungen genmanipulierter Pflanzen gefährdet wird. Für diese alltägliche Freiheit der Wahl, ob auf dem Acker, auf dem Teller oder beim Arzt, müssen wir heutzutage kämpfen.

Ihr
Michael Olbrich-Majer