Lebendige Erde 6/2001:

Editorial

mit Idealen wirtschaften...

Geht das heute und in Zukunft noch, wo mehr und mehr die Kräfte des Marktes zehren? Leiden wir nicht häufig unter der Spannung zwischen Ideal und Alltag und so vielleicht auch die Qualität unserer Arbeit? Von unseren Mitabeitern, Kollegen und Kunden ganz zu schweigen.

Wenn uns heute immer mehr im geschäftigen Alltag verlieren, haben wir die Zeit und den Blick für´s Wesentliche? Gehört zur Nachhaltigkeit nicht auch, Zeit für die Kinder zu haben? Oder mal alle Kühe in Ruhe anzuschauen? Oder eine Stunde mit Präparaterühren zu verbringen? Vielleicht sogar ein Buch lesen, das nichts mit Arbeit zu tun hat? Als Landwirt bstimmt man selbst das"Was" und das "Wie" siner Arbeit. Und, man hat die einmalige Chance, durch die Rhythmen der Tiere und Pflanzen gebremst, täglich zum Beobachten angehalten zu werden. Man kann das Melken natürlich auch vom Melkroboter erledigen lassen und die Gewächshausarbeit vom Computer und Billiglohnkräften.

Jeder Mensch muss sich heutzutage, da die Arbeit meist mit der eigenen Entwicklung vebunden ist, fragen, gibt mir die Arbeit das, was ich brauche? Und - kann ich das schon, was ich will? Habe ich ein konkretes Bild davon?

Denn, wenn es nicht immer nur größer und vorwärts geht, wie geht es dann? In diesem Moment zählen auch andere Tugenden und Eigenschaften, wie Einfallsreichtum, Einsichts- und Wandlungsfähigkeit, Kommunikation und Fähigkeit zur Muße. Woher sollen denn neue Ideen kommen, wenn der Weg schon festgelegt ist, und nur noch das Tempo beschleunigt werden muss?

Als Landwirt hat man häufig den Eindruck, alle arbeiten immer weniger, nur ich immer mehr. Da ist was dran, denn es gibt genug Arbeit rund um die Landwirtschaft. Man kann sie aber organisieren und finanzieren - wie das Beispiel Schepershof im Portrait zeigt oder die Gärtnerei von Christian Hiß, der diesmal das Essay verfasst hat. Wie behält man im Betrieb die Oberhand? Mit schlagkräftiger Technik, die teuer abzuzahlen ist, aber hoffentlich einen Zeitgewinn verschafft? Oder Arbeit verlangsamen, um Verarbeitung auf dem Hof, Ausbildung, oder Arbeit als Angebot in der Therapie zu gestalten?

Zwar müssen auch die politischen Weichen umgestellt werden, mehr Qualität der Lebensmittel heißt auch mehr Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Doch letztlich ist die Qualität der Arbeit Thema fürs Management, sich selbst eingeschlossen. Und so sollte man es auch angehen, nämlich professionell. Das heißt, sich ernsthaft Zeit dafür nehmen, gründlich arbeiten, fachlichen Rat suchen, gemeinsam mit anderen das Besondere der eigenen Situation einschätzen lernen, sich fortbilden nicht nur in technischen Fragen. Biologisch-dynamische Betriebe haben damit begonnen: In Hessen gab es im letzten Jahr einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch, viele Betriebsgemeinschaften lassen sich schon länger beraten bei Zwischenmenschlichem wie auch hinsichtlich geeigneter Arbeits- und Rechtsformen. Die Demeter-Höfe in den Niederlanden lassen sich professionell begleiten, zu deutsch "coachen" und prüfen so im Gespräch, wieweit sie selbst mit sich, ihrem Ideal und ihrem Betrieb sind. Trotz aller Arbeit das Motiv lebendig halten, das geht am besten gemeinsam.

In der dazu erforderlichen Muße liegt schöpferische Kraft. Und in der Freude an dem, was man tut, lebt Schönheit. Und die wirkt letztlich überzeugend, weil ansteckend.

 

Ihr
Michael Olbrich-Majer