Lebendige Erde 2/2002:

Editorial

Milchmädchenrechnung

Auf dem Land, da sieht man in klaren Nächten noch die Milchstraße. Und man weiß, wie viel Arbeit in einem Liter Milch steckt. Beides ist anders in der Stadt. Hier kommt die Milch zwar mit Bedeutung aufgeladen ins Kühlregal - idyllisches Landleben auf dem Etikett. Der Preis für den Liter Milch und das halbe Pfund Butter aber ist der Maßstab dafür, was wir uns leisten können. Deswegen muss er auch möglichst niedrig sein. In den meisten Einkaufsstätten, egal ob Supermarkt oder Bioladen - ist er Signalgeber für´s Preisniveau.

Wir leben in einem Land, wo Milch und Honig reichlich fließen, aber denken wir zu Ende, was das bedeutet? Imker z.B. finden keinen Nachwuchs - in der Regel sind es hierzulande Rentner. Billigsthonig aus Übersee, meist denaturiert, hat die Wertschätzung unterminiert. Auch die Bauern sind auf dem Weg dorthin, nur auf einem weit kapitalintensiveren Niveau und mit einschneidenderen Folgen für unsere Landschaft. Schon stehen manche neben ihrem Melkroboter und betrachten ihre Kühe nur noch aus der Ferne.

Ökobauern haben dagegen einen anderen Weg eingeschlagen - doch ob der für alle taugt, muss sich noch erweisen. Von Wertschätzung entfernt sind manche Preise für Ökomilch im Supermarkt, geringer als die der romantisch bebilderten konventionellen Flaschenmilch gleich daneben. Auch so mancher Joghurt im exotischen oder funktionellen Design erzielt einen höheren Preis als Bioware und bessere Margen für Handel und Verarbeitung. Das sind die "Kleinigkeiten", an denen eine Agrarwende scheitern könnte. Auch Biobauern leben im Druck des "Wachse oder Weiche".

Nur unser Bewusstsein für eine Qualität, die dem Lebensmittel innewohnt, die nicht aufgeklebt ist, wird auf Dauer den Ausstieg der Landwirtschaft aus dem Zwang, Industrie zu werden, ermöglichen. Das bedeutet, sowohl beim Einkauf wie bei der Erzeugung zu Ende, an die Folgen, zu denken, als auch darauf achten, dass es Unterschiede bei äußerlich gleichem gibt. Diese haben nicht nur Bedeutung für den Genuss, ich denke da an Höhepunkte für Gourmets mancher Hofkäserei, sondern auch Bedeutung für die Gesundheit: Es kommt eben darauf an, wie die Milch erzeugt und verarbeitet wird. Ein Maßstab dafür ist sicher die Demeter- Milch. Zu Ende denken heißt zusätzlich auch, über den Preis Leistungen die im Lebensmittel verborgen sind, wert zu schätzen: den Erhalt und Aufbau des Bodens, Artenvielfalt, tiergerechte Haltung und Erhalt der Landschaft, aber auch die Kultur, die das ermöglicht. Dazu muss hoffentlich nicht mehr allzuviel Milch der frommen Denkungsart fließen.

Logisch ist es da, dass der Demeter-Verband mit einer Kampagne für Milch und Milchprodukte der Agrarwende von der Nachfrageseite her Dampf machen will. Demeter Milch und Milchprodukte ziehen einerseits Käufer an und andrerseits sind Demeter-Höfe nur mit Tieren denkbar. Umstellungsbereiten Landwirten wird so signalisiert, wo die Chancen der Zukunft liegen.

 

Ihr
Michael Olbrich-Majer