Lebendige Erde 3/2002:

Editorial

Die Agrarwende geht weiter

Für die meisten Menschen hierzulande ist die Agrarwende schon vorbei: Aktuelle BSE- Fälle erregen kein Aufsehen mehr, das Abschlachten von Millionen von Tieren in England ist schon vergessen, im Supermarkt kann man Ökoprodukte kaufen und außerdem gibt es Wichtigeres.

Doch fängt die Wende gerade erst an: Die Politik hat - immerhin - eine Richtung vorgegeben und der Ökolandbau gehört zur Gewinnerseite. Ideell. Doch reell verdienen die Ökobauern schon im dritten Jahr weniger als vergleichbare konventionelle Kollegen, steht im Agrarbericht. Ökolandbau ist Modell für die Politik, doch die Vorreiterrolle wird ihm zunehmend streitig gemacht: Zeitschriften testen jetzt, mehr oder weniger aussagekräftig, Ökolebensmittel im Vergleich zu anderen, nicht immer positiv. Die FAZ polemisiert mit dem Artikel "Blut und Bohnen" gegen eine andere Agrarpolitik. Biohändler legen mehr Wert auf Schadstofffreiheit als auf heimischen ökologischen Anbau. Die Wissenschaft macht das Fass wieder auf, versucht, die positiven Wirkungen des Ökolandbaus durch den niedrigeren Ertrag zu relativieren. Längst erledigte Diskussionen werden wieder belebt und halten die Protagonisten des Ökolandbaus umso mehr in Atem, je mehr er an Bedeutung gewinnt. Gleichzeitig sind selbst die ärgsten Gegner von gestern "teilgewendet", benutzen flüssigst den Begriff "Nachhaltigkeit". Es geht auch darum, wer künftig Ökolandbau definiert: allein durch Verordnungen geregelt, dem Erfindungsreichtum der Biobauern und ihrer Mitstreiter entzogen und irgendwann vom integrierten Anbau nicht zu unterscheiden, das hätten viele gerne, denen die Innovationsfähigkeit des Ökolandbaus schon immer ein Dorn im Auge war.
Und: Das politische Rollback in die Vorwendezeit steht fest- sollte die Koalition nicht weiter regieren. Fragen Sie Ihre Vertreter im Bundestag, wie sie´s mit Ökolandbau und Gentechnik halten!

Die Rechtfertigung durch Forschung und die Begründung durch den gesellschaftlichen Willen ist also noch bei weitem nicht ausreichend, der Kampf in der Politik nicht ausgefochten. Hier liegen nach wie vor Aufgaben, bis hin zur WTO. Dabei hat der Ökolandbau auf dem vorläufigen Höhepunkt seines Erfolges ganz eigene Probleme: Druck vom Markt zur industriellen Produktion, Wachsen oder Weichen, Generationswechsel, hohe Investitionen in Ställe, Wandel des Selbstverständnisses und der Standards, Veränderung der Szene zur Branche.

Für viele Ökobetriebe und Hersteller heißt es, neue Wege suchen. Man ist nicht mehr Außenseiter, doch ist man da, wo man sein wollte? Man muss als Bauer auch genießen können, sagt Georg Stadler im Portrait und trifft es: Sich selbst entwickeln, den Hof mitnehmen und attraktiv machen, das macht moderne Landwirte aus, sie sind nicht mehr die Mengenanpasser der klassischen Agrarökonomie. Zukunft entsteht aus der Phantasie der Menschen, nicht aus einer absolut gesetzten Ökonomie. Das bedeutet auch, sich neu einstellen auf neue Bedürfnisse. Was bietet man noch, außer Öko-Lebensmitteln? Schulbauernhöfe, Hofcafe, Buffetservice, Landbau für Veganer - Ökolandbau ist gut für viele Wege. Auch die Bedürfnisse der jungen Menschen ändern sich, die Arbeit in der Landwirtschaft, bietet sie eine Perspektive - auch und vor allem sozial?

Agrarwende - das bedeutet nicht nur, dass die konventionelle Landwirtschaft sich wandelt, nein, der Wandel betrifft auch uns, die Ökobauern und ihre Organisationen.

Ihr
Michael Olbrich-Majer